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„Wir setzen mit der Auferstehungshoffnung ein klares Zeichen“

Interview mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl

Seit mehr als 100 Tagen ist Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl nun im Amt. Im Interview mit elk-wue.de spricht er über seine ersten Eindrücke, sein Amtsverständnis, über Schwerpunkte und Ausblicke angesichts herausfordernder Zeiten für Gesellschaft und Kirche.

Bild: Thomas Rathay

Herr Gohl, Sie sind seit ca. 100 Tagen im Amt. Was waren bislang Ihre schönsten Erfahrungen?

Landesbischof Gohl: Die Begegnung mit vielen netten Menschen. Beispielsweise die Besuche im Sommer in verschiedenen Kirchengemeinden: bei der ehrenamtlichen Initiatorin des Pfarrgarten-Projekts in der Verbundkirchengemeinde Türkheim-Aufhausen, beim Flüchtlingskreis in der Kirchengemeinde Schmiden-Oeffingen, einem Ehepaar in Freudenstadt sowie bei Pfarrerin Sara Stäbler in Balingen, die bei Instagram sehr aktiv ist, fand ich wirklich eindrücklich. Und dann sind es viele alltägliche Begegnungen, bei denen man denkt „Mensch, das ist toll, wie die Leute hier arbeiten“.

Wie hat sich mit den ersten Erfahrungen Ihr persönliches Verständnis des Bischofsamts gewandelt?

Landesbischof Gohl: Ich bin gerade noch dran, mein persönliches Verständnis zu entwickeln (lacht). Ich habe mich aber immer als Pfarrer gesehen: Dass man mit den unterschiedlichsten Menschen im Gespräch ist über das Evangelium. Das fand ich im Pfarramt auch schon schön und als Dekan war ich Pfarrer – und als Bischof bin ich auch Pfarrer.

Welche Ihrer neuen Tätigkeiten erfüllen Sie am meisten? Und bei welchen müssen Sie die Zähne zusammenbeißen?

Landesbischof Gohl: Die Vielfalt finde ich wirklich erfüllend. Was mich auch erfüllt, ist das Team um mich herum. Also sowohl im engeren Sinn das Bischofsbüro, als auch die Mitarbeitenden im ganzen Oberkirchenrat. Da erlebe ich ein ganz großes konstruktives Mitdenken und Mitarbeiten, das finde ich echt toll.

Die Zähne zusammenbeißen muss ich bei den vielen E-Mails. (lacht)

Was für ein Bischof möchten Sie sein?

Landesbischof Gohl: Ein niederschwelliger Bischof, bei dem Menschen sich einfach trauen, einander offen und ehrlich zu begegnen. Nur so kann man ins Gespräch kommen.

Man ahnt, dass ein Bischofsamt ein 24/7-Job ist, aber jeder Mensch braucht Verschnaufpausen. Wie verschaffen Sie sich diese?

Landesbischof Gohl: Indem ich viel zu Fuß laufe, ich gehe außerdem joggen. Meine Ruhepause morgens ist natürlich, wenn ich die Losungen lese, selbst wenn der Zeitplan eng ist. Dass man sich eine Auszeit für das geistliche Leben nimmt. Das Bibellesen in der Bahn gehört ebenso dazu. In der freien Zeit treffe ich mich gerne mit Menschen, selbstverständlich habe ich dann auch Zeit für Freunde und Familie. Das ist mir wichtig, auch dabei erlebe ich geistliche Stärkung.

In welchen Themen war der Perspektivenwechsel vom Dekan und Synodalen zum Landesbischof für Sie besonders überraschend?

Landesbischof Gohl: Der größte Perspektivenwechsel ist für mich der Oberkirchenrat, wo ich jetzt als Bischof arbeite. Im Außenbild erscheint der Oberkirchenrat oftmals als Behörde, die nur Verwaltungsvorgänge vollzieht. Ich erlebe hier viele Menschen, die bewusst die Kirche als Arbeitgeber gewählt haben, mit hohem Engagement und hoher Identifikation, die in ihrem Aufgabenfeld das Bestmögliche für Kirche erreichen möchten.

Mich überrascht – wenn ich etwas frei denke und sage – dass das plötzlich durchs Haus geht: „Der Bischof hat doch gesagt …“ (lacht). Der gleiche Satz, den ich zuvor sicher schon häufiger ausgesprochen habe, wird nun anders gehört, weil ich Bischof bin. Dass Aussagen in diesem Amt ein anderes Gewicht haben, obwohl ich ja immer noch die gleiche Person bin, damit mit umzugehen lerne ich noch.

Es gibt viele Veränderungen und Herausforderungen. Wie nehmen Sie die Stimmung in der Landeskirche wahr?

Landesbischof Gohl: Ich erlebe, dass Strukturprozesse – auch Pfarrpläne – die Menschen auslaugen. Es ist wichtig, das zu sehen und ernst zu nehmen. Aber auch zu erklären, warum es solche Anpassungen braucht. Anschließend werden wir eine gute Basis haben, um unsere kirchlichen Aufgaben weiterhin gut erfüllen zu können. Die andere Seite ist, dass viele Menschen die Notwendigkeit sehen und Freude daran haben, etwas Neues auszuprobieren. Es ist Aufgabe der Kirchenleitung, auf die bereits bestehenden Möglichkeiten hinzuweisen, wo nötig, die Voraussetzungen zu schaffen, zu neuen Schritten zu ermutigen und damit Freude und Zufriedenheit zu stärken.

Welche Schwerpunkte haben sich für Sie herauskristallisiert?

Landesbischof Gohl: Ich halte es für nötig, dass wir Prozesse wie den Pfarrplan oder die Verwaltungsreform schnell umsetzen, damit man wieder Zeit für die eigentliche Arbeit hat. Diese Prozesse werden immer wieder infrage gestellt. Da sind wir gut drin. Wir wollen ja gute Entscheidungen treffen und die Menschen beteiligen. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem alle Argumente ausgetauscht sind und eine Entscheidung getroffen und umgesetzt werden muss.

Wichtig ist mir auch, dass man sieht, wie viel Gutes bereits geschieht: Selbstvergewisserung und Ermutigung halte ich für ganz entscheidend. Wir können nur einladende Kirche sein, wenn wir zuversichtlich sind und Hoffnung haben. Sonst widersprechen wir unserer Botschaft. Deshalb haben wir beispielsweise spezielle Prälaturtage durchgeführt, um ins Gespräch zu kommen. Und so wie ich gehört habe, hat das den Menschen gutgetan, dass man sich trifft, austauscht und ermutigt.

Viele Menschen wenden sich aber auch enttäuscht von der Kirche ab.

Landesbischof Gohl: Hier finde ich das Gespräch wichtig, um herauszufinden, warum die Menschen enttäuscht sind. Dass wir klarmachen, wir sehen das und reden es uns nicht schön. Und dass wir unsere Botschaft stärker ins Bewusstsein bringen. Wir setzen in Zeiten, in denen viele Fragen und Verunsicherungen spürbar vorhanden sind, mit der Auferstehungshoffnung ein klares Zeichen: Es gibt im Leben eine tragende Kraft, Gott trägt uns. Das und unser diakonisches Wirken sind Faktoren, die der Gesellschaft und uns als Kirche guttun.

Ich bin unsicher, ob sich wirklich viele enttäuscht abwenden oder ob es auch Gleichgültigkeit ist.

Da wird es sogar schwieriger, wenn jemand sagt: „Kirche brauche ich nicht“. Ich glaube auch, dass viele aus finanziellen Gründen austreten. Hier müssen wir deutlich, transparent und offensiv erklären, was wir mit der Kirchensteuer machen (Link). Und dafür werben, dass die Kirchensteuer eine sinnvolle und einkommensgerechte Form ist, Kirche zu unterstützen, um in die Gesellschaft hineinwirken zu können. Beispielsweise mit Kindertagesstätten, der Telefon- und Notfallseelsorge oder Diakoniesozialstationen, um nur ein paar Beispiele neben der Gemeindearbeit zu nennen. Alle unsere Angebote sind für jeden offen, egal ob evangelisch oder nicht. Vieles davon könnten wir nicht machen, wenn es die Kirchensteuer nicht gäbe.

Sie betonen, dass Sie den Blick mehr auf das Gelingende richten möchten, das in der Kirche passiert. Welche Punkte sind das für Sie?

Landesbischof Gohl: Kirche wird flexibler, vielseitiger und konzentriert sich auf die Botschaft der Hoffnung. Ich erlebe in den Gemeinden einen großartigen sozialen Zusammenhalt, ein Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung, in dem Menschen Halt finden. Ich finde es wunderbar, dass sich unterschiedliche Gottesdienstformen und -stile bis hin zur Musik entwickeln und ihren Platz haben. Und die vielen diakonischen Tätigkeiten, die es vor Ort in den Gemeinden gibt. Gelingend finde ich auch, wie wir als Kirche – die Gemeinden und Pfarrerinnen und Pfarrer – allmählich auch den digitalen Raum mit guten Inhalten und menschlicher Nähe bis hin zur Seelsorge ausfüllen.

Sie sind ja auch als Landesbischof bei Instagram und Facebook aktiv. Viele Leute denken: „Soziale Medien – da sind ja keine echten Beziehungen möglich, Kirche braucht sowas nicht.“ Warum soll sich Kirche also hier engagieren?

Landesbischof Gohl: Junge Menschen – und auch gar nicht mehr so junge – sagen: Was nicht im Netz oder in Social Media ist, das gibt es für mich nicht. Das nehmen die gar nicht mehr wahr. Und deshalb gibt es da natürlich auch sehr verlässliche Beziehungen, weil Menschen diese auch über Social Media leben. Da ist es wichtig, das nicht abzuwerten, sondern als Teil des Lebens wahrzunehmen. Das haben wir während der Pandemie gemerkt, wie gut und wichtig Beziehungen auch auf digitalen Kanälen sind. Nicht als Notnagel und auch nicht besser oder schlechter, sondern gleichwertig als eine Kommunikations- und Begegnungsform.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Nadja Golitschek


Schon gewusst?

Grafik: elk-wue.de

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