Rainer Scheufele spricht über Vesperkirchen in Corona-Zeiten
Stuttgart. Jetzt beginnt sie wieder, die Vesperkirchensaison. In Zeiten der Pandemie eine große Herausforderung für die Organisatoren und die weit überwiegend ehrenamtlich Mitarbeitenden. Elk-wue.de sprach mit Rainer Scheufele vom Diakonischen Werk in Württemberg über das, was vor Ort möglich ist – und was nicht. Über Unsicherheit, Frustration, großes Engagement und neue kreative Ansätze.
Sie sind Ansprechpartner für die Vesperkirchen in Württemberg. Wie ist die Stimmung vor Ort?
Die Stimmung ist bei vielen Gemeinden etwas deprimiert. Die Mitarbeitenden vor Ort sind unsicher, welche Regelungen denn gelten, wenn die Vesperkirche bei ihnen beginnt. Sie sind unsicher, wie sie die vielen Ehrenamtlichen und Gäste am besten schützen können und wie sie die Idee des gemeinsamen Tisches retten können. Wir wollen ja nicht nur eine Suppenküche sein. Wir wollen, dass Menschen zusammenkommen und Gemeinschaft erfahren, die sonst nicht die Gelegenheit dazu haben. Trotz dieser großen Unsicherheit und deprimierenden Stimmung erlebe ich die Engagierten vor Ort als ungeheuer kreativ. Sie wollen unbedingt die Idee der Vesperkirche retten und für die Menschen da sein, die wenig Geld haben und oft einsam sind.
In neun Orten, in denen es bisher Vesperkirchen gab, wird es diese Mal keine geben können. An was scheitert es?
Das scheitert teilweise daran, dass viele Ehrenamtliche schon aufgrund ihres Alters zu den Risikopersonen zählen. Manche wollen selber kein Infektionsrisiko eingehen. Und die Verantwortlichen vor Ort wollen natürlich auch niemanden gefährden. Hinzu kommt, dass häufig passende Räume fehlen, in denen wir etwa die Abstands- und Lüftungsregelungen einhalten könnten. Manchmal scheitert es auch daran, dass sich viele schwer vorstellen können, wie sie etwa Essensausgaben im Schichtbetrieb organisieren sollen. Einige Vesperkirchen haben sich deswegen ein Anmeldesystem überlegt. Andere können sich nicht vorstellen, dass unsere Zielgruppe sich darauf einlässt. Und schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass die Vesperkirchenarbeit vor allem von Ehrenamtlichen getragen wird. Und für die ist das ganz schön viel, was da an neuen Herausforderungen und Unwägbarkeiten zu bewältigen ist.
Was heißt das für die Vesperkirchengäste?
Also für Leute mit wenig Geld und Wohnungslose fällt echt was weg. Das gilt auch für einsame Menschen, eine Gruppe, deren Anteil unter unseren Gästen in den vergangenen Jahren immer größer wurde.
Wie wirkt sich das auf die Mitarbeitenden aus?
Da macht sich eine große Frustration und Traurigkeit breit. Wir dürfen nicht vergessen: Unter ihnen sind ja auch Gäste, die gleichzeitig mitarbeiten und dadurch Anerkennung und Bestätigung erfahren. Sie alle haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie gut das allen Seiten tut, wenn sich Menschen mit sehr unterschiedlicher Herkunft, Prägung und Möglichkeiten treffen und Gemeinschaft erleben. Als positiv erfahre ich, dass die Pandemie dazu beiträgt, dass viele darüber nachdenken, welchen Stellenwert die Vesperkirchen für die Kirche haben und wie sie dieses Angebot weiter entwickeln können.
„Wir können doch einem Wohnungslosen auch nicht sagen: Bitte bleibe daheim.
In anderen Kirchenbezirken hofft man noch, plant und organisiert.Was beobachten Sie dort?
Derzeit sieht es noch danach aus, dass 25 der ehemals 34 Vesperkirchen stattfinden können. Dafür bin ich sehr dankbar und habe großen Respekt vor dieser Leistung. Dort plant und organisiert man viel und ist im engen Austausch mit den Gesundheits- und Ordnungsämtern. Die Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Das macht es so schwierig. Aber wir wollen, dass so viele Vesperkirchen wie nur möglich stattfinden. Wir können doch einem Wohnungslosen auch nicht sagen: Bitte bleibe daheim.
Was beeindruckt Sie am meisten?
Davon, wie sich die Leute vor Ort engagieren, bin ich echt beeindruckt. Wie die mit den Ämtern nach Ideen suchen, um wenigstens irgendetwas möglich zu machen. Das führt bisweilen zu neuen, kreativen Ansätzen. Etwa Restaurants mit einzubeziehen, die Vesperkirchen an einem öffentlichen Ort im Freien stattfinden zu lassen oder zu einer „Vesperkirche zuhause“ einzuladen.
Wie kannmansichdas vorstellen?
Das ist die Idee, dass Gemeindemitglieder Leute zu sich nach Hause einladen. Da kann dann ein Verwandter zu Gast sein, den man schon lange nicht mehr gesehen hat oder eine einsame Nachbarin. Oder man kann sich über die Website der Vesperkirche einen Gast vermitteln lassen. Dazu gibt es dann einem Impuls, den der Gastgeber über die Vesperkirche bekommen kann, wenn er dies möchte. Ob das unter Corona-Bedingungen möglich wird, ist derzeit natürlich fraglich. Aber unabhängig von Corona ist das eine kreative Erweiterung der ursprünglichen Vesperkirchenidee.
Worüber machen Sie sich die meisten Sorgen?
Das sind die zwei Sorgen, die sich alle machen. Wir wollen unsere Gäste nicht mit nichts dastehen lassen. Und wir wollen weder die Gäste noch die Mitarbeitenden einem Infektionsrisiko aussetzen. Das treibt uns wirklich um.
Was muss geschehen, damit Sie Ende März sagen können: Wir haben das gut hinbekommen?
Wir wollen umsetzen, was geht. Und wenn es nur das Minimalversprechen ist, Essen zu verteilen, kleine Impulse zu setzen und zu Gottesdiensten einzuladen. Wir wollen, dass sich die Menschen wahrgenommen fühlen, die sonst nicht wahrgenommen werden. Wenn das gelingt, ist das vielleicht auch ein Signal an die Politik: Vergesst die nicht, die ohnehin wenig haben.
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