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Auf anderen Wegen ins Pfarramt: Quereinstieg ist möglich

Interview mit Pfarrerin Annette Roth

Annette Roth, Pfarrerin in Sim­mozheim, hat die „Berufsbegleitende Ausbildung im Pfarrdienst“ absol­viert. Vorher hat sie unter anderem als Orthoptistin an der Augenklinik in Tübingen, als Gemeindediakonin und als Referentin bei den „Evangelischen Frauen in Württemberg“ gearbeitet. Im Interview spricht sie über ihren Weg ins Pfarramt, Erfahrungen, die sie als Quer­einsteigerin macht und die Bedeutung theologischer Ausbildung.

Annette Roth kam nicht über das klassische Theologiestudium in den Pfarrberuf.Privat

Frau Roth, Sie haben als Orthoptistin (Fach­kraft im Bereich der Schielbehandlung und Neuro-Ophthalmologie) an der Augenklinik in Tübingen gearbeitet. Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie wussten: Jetzt will ich Pfarrerin werden?

Annette Roth: Es gab nicht den einen Moment, sondern vielmehr einen lan­gen persönlichen wie beruflichen Ent­wicklungsweg, der schließlich im Pfarr­dienst mündete. Der Gedanke, Pfarrerin zu werden, hat sich in meinem Leben aus vielen verschiedenen Mosaikstei­nen entwickelt: Das ehrenamtliche Engagement in meiner Heimatgemein­de hat mir vielfältige Erfahrungs- und Erprobungsräume eröffnet. Aufenthalte in Klöstern und geistlichen Zentren haben mir zu wertvollen und prägen­den Impulsen für das eigene geistliche Leben verholfen. Und mit meiner zeit­weiligen Tätigkeit als Pfarramtssekretä­rin konnte ich intensivere Einblicke in die Verwaltungsaufgaben des Pfarramts gewinnen.

Nicht zuletzt trugen auch motivie­rende Rückmeldungen und Ermuti­gungen anderer Gemeindeglieder und Freunde zur Entscheidung bei. Im Jahr 2003 war schließlich für mich klar: Ich möchte Theologie studieren, um Pfarrerin zu werden. Ziemlich schnell musste ich dann aber erfahren, dass ich die damals geltende Altersgrenze für die Aufnahme in den Pfarrdienst schon überschritten hatte beziehungsweise sie zum Ende des Stu­diums überschritten haben würde.

Welchen alternativen Weg sind Sie dann gegangen?

Annette Roth: Das Studium Religionspädagogik und Soziale Arbeit an der Evangeli­schen Hochschule in Ludwigsburg war dann die mögliche Alternative. Nach dem Studium war ich zunächst als Religionslehrerin, dann als Gemeinde­diakonin und zuletzt als Referentin für gemeindebezoge­ne Frauenarbeit bei den „Evangelischen Frauen in Württemberg“ EFW tätig. Gerade meinem letzten Arbeitsplatz als Diakonin bei den EFW habe ich als besonderes Geschenk empfunden. Und trotzdem begleitete mich der Gedanke ans Pfarramt weiter …

Waren Sie in Ihrem alten Beruf als Orthoptistin unzufrieden?

Annette Roth: Nein. An der Uniklinik in Tübin­gen hatte ich ein sehr interessantes und vielfältiges Arbeitsfeld. Es waren viel mehr die äußeren Rahmenbedin­gungen, die mich von diesem Beruf Abstand nehmen ließen: Der Wohnort war weit weg vom Arbeitsplatz, eine 100 %-Stelle, die nicht mit dem dann neuen Dasein als Mutter zu vereinbaren war und unbefriedigende Anstellungs­möglichkeiten bei niedergelassenen Augenärzten.

Ihr früherer Beruf war eher natur­wissenschaftlich. Hatten Sie denn als Schülerin vor allem Interesse an Naturwissenschaften oder auch schon an Religion bzw. war das Theologie­studium damals schon eine Option?

Annette Roth: Als Schülerin mochte ich in der Tat die naturwissenschaftlichen Fächer am liebsten. Aufsätze und Sprachen waren nicht meine Leidenschaft. Manchmal muss ich jetzt selbst darüber schmun­zeln, dass ich nun Woche für Woche eine Predigt schreibe, Andachten vorbereite ...

Außerdem bin in einer katholischen Familie aufgewachsen und war zum Zeitpunkt meines Abiturs auch selbst noch katholisch. Insofern war ein Theologiestudium für mich zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Thema. Der Glaube und die Mitarbeit in der Gemeinde aber schon. Ich war damals sowohl meiner katholischen Kirchen­gemeinde verbunden, in der ich in einem Jugendchor mitsang, wie auch der evangelischen Jugendarbeit des örtlichen CVJMs.

In der Berufsbegleitenden Ausbil­dung im Pfarrdienst kommt man ja recht schnell in die Gemeinde. Ein Sprung ins kalte Wasser sozusagen. Wie haben Sie das erlebt? Haben Sie sich darauf vorbereitet gefühlt? Oder am Anfang vielleicht oft überfordert?

Annette Roth: Als Quereinsteiger oder Quereinstei­gerin kommt man ja schon aus einem kirchlichen Arbeitsfeld. Insofern gibt es immer Bereiche, in denen man wertvol­le Vorerfahrungen und Kenntnisse mit­bringt. Aber natürlich dann auch viele Bereiche, in denen es tatsächlich der Sprung ins kalte Wasser ist. In Summe habe ich mich gut vorbereitet gefühlt. Dass die erste vorbereitende Kurswo­che im Pfarrseminar den Schwerpunkt „Trauerfeiern - Umgang mit Trau­ernden“ hat, ist gut gewählt. Denn in diesem Bereich sind die wenigsten Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen erfahren.

Überfordert war ich nicht, aber sehr gefordert. In den ersten Monaten als Pfarrerin habe ich manchmal erst gegen Abend bemerkt, dass ich ja den Tag noch nichts gegessen hatte. Bis sich eine gewisse Routine breit­macht, dauert es einfach.

Annette Roth über die erste Zeit und die Reaktionen aus der Gemeinde

Wie hat Ihr Umfeld auf den Wunsch Pfarrerin zu werden, reagiert?

Annette Roth: Die Menschen in meinem privaten Umfeld waren, ehrlich gesagt, nicht sonderlich erstaunt. Es war wohl für viele tatsächlich die logische Konsequenz eines lan­gen Weges, den sie ja auch alle auf ihre Weise begleitet hatten.

Wie hat die Gemeinde reagiert? Gab es da Vorbehalte gegenüber einer Quereinsteigerin?

Annette Roth: Die Sorge, dass das so sein könnte, hatte ich im Vorfeld durchaus. Sie hat sich aber als völlig unbegründet her­ausgestellt. Es war ganz im Gegenteil viel mehr so, dass die Menschen es sehr geschätzt haben, eine Pfarrerin zu bekommen, die das ganz normale Arbeitsleben kennt, vielfältige Erfah­rungen mitbringt und eben gerade nicht aus „universitären Höhen“ in der ganz bodenständigen Gemeinde landet.

Denken Sie Ihre berufliche Erfah­rung hilft Ihnen für den Pfarrberuf? Waren Sie vielleicht sogar besser vorbereitet, als jemand der direkt von der Uni kommt, weil Sie mehr Erfahrung im Umgang mit Men­schen haben, mehr Lebenserfahrung insgesamt?

Annette Roth: Ich will kein Urteil über bessere oder schlechtere Zugänge fällen. Auch, weil ich davon überzeugt bin, dass der Pfarrberuf jenseits aller Kenntnisse und Fähigkeiten ganz stark von der perso­nalen Kompetenz eines Menschen lebt. Aber ich denke schon, dass im ganz konkreten Gemeindealltag an vielen Stellen anderes gefordert ist, als allein die theolo­gische Kompetenz. Mit meinem Werdegang war und bin ich relativ breit aufgestellt. Das empfinde ich schon hilfreich. Und dazu kommt natürlich auch, dass man mit 40 oder 50 Lebensjahren schon manches erlebt und auch erlitten hat. Das lässt einen vielleicht noch mal anders mit schwierigen Lebenssituati­onen umgehen, die einem im seel­sorgerlichen Kontext begegnen. Man fällt vielleicht weniger schnell innere Urteile.

Sie sind jetzt schon eine Zeit lang Pfarrerin. Wenn man das so sagen kann: Was gefällt Ihnen an Ihrem jetzigen Dienst besser als in Ihrem vorherigen Beruf?

Annette Roth: In besonderer Weise schätze ich den Gestaltungsspielraum, den ich als Pfar­rerin habe. Die Möglichkeit, entspre­chend meiner eigenen Leidenschaft und Fähigkeit Schwerpunkte zu setzen. Ich empfinde es auch als großes Geschenk, Menschen in Schwellensitu­ationen des Lebens begleiten zu dürfen – dann, wenn sich die wirklich großen Fragen des Lebens stellen.

Fazit: eine gute Entscheidung!

Was würden Sie jemandem raten, der überlegt einen „Quereinstieg“ in den Pfarrberuf zu machen?

Annette Roth: Der Quereinstieg in den Pfarrdienst fordert einen schon sehr umfäng­lich. Wer privat noch anderweitige Verpflichtungen hat, wie zum Beispiel Angehörige zu pflegen oder Kinder zu betreuen, sollte sich gut überlegen, ob und wie er/sie das organisieren kann. Und: Pfarrerin oder Pfarrer muss man wirklich aus Überzeugung und mit Herzblut sein wollen, sonst wird man in diesem Beruf kaum glücklich werden – so meine Einschätzung.

Es wird immer wieder diskutiert, ob es eigentlich nötig ist, dass die allermeisten Pfarrerinnen und Pfarrer Theologie studiert haben oder ob man den Beruf nicht für mehr andere Zugänge öffnen sollte. Wie sehen Sie das?

Annette Roth: Eine solide theologische Grund­bildung halte ich schon für zentral im Pfarrdienst – nicht nur wegen des Verkündigungsauftrags. Sie hilft ja auch dazu, das eigene Tun in und mit der Gemeinde zu reflektieren und immer wieder im Geiste Jesu Christi neu auszurichten. Ob es das klassische Theologiestu­dium an der Universität sein muss, ist eine andere Frage. Natürlich ist der zeitliche Umfang der theologischen Fächer im Religions­pädagogikstudium, wie ich es absol­viert habe, im Vergleich zum Theolo­giestudium gering. Und doch sind wir auch da intensiv mit biblischen Texten umgegangen, haben uns grundlegen­des Wissen und „Handwerkszeug“ angeeignet und sind – vielleicht am allerwichtigsten – in Diskussion gegan­gen mit unterschiedli­chen Überzeugungen und hermeneutischen Zugängen.

Wenn man den Zugang zum Pfarrdienst weiter öffnen möchte, also auch für Berufs­gruppen jenseits aller kirchlichen Arbeitsfelder, dann wäre aus meiner Sicht zu klären, wie die theologische Grundbildung sicherzustellen ist. Dass es Menschen in ganz anderen Berufen gibt, die durchaus fürs Pfarramt geeig­net wären, das steht für mich außer Frage.

Vermissen Sie es manchmal, dass Sie nicht Theologie studiert haben?

Annette Roth: Im kirchengemeindlichen Kontext vermisse ich das nicht. Natürlich kann ich bei der Predigtvorbereitung die Textstelle nicht im Urtext lesen. Aber es gibt viele Kommentare, mit denen ich mir die entscheidenden Dinge erschließen und diese für die Predigt fruchtbar machen kann. Wenn im Kollegenkreis mal der ein oder andere mit lateinischen Sätzen um sich wirft, dann verstehe ich davon – über manch angeeignete klassische Wendung hinaus – nicht viel. Aber das trage ich mit Fassung.

Das Gespräch führte Malte Jericke


Über die berufsbegleitende Ausbildung

Voraussetzungen für die Teilnahme an der Berufsbegleitende Ausbildung im Pfarrdienst sind unter anderem eine theologische Ausbildung (zum Beispiel an der Evangelischen Hochschule Reutlingen-Ludwigsburg) und eine mehrjährige Tätigkeit im kirchlichen Dienst, zum Beispiel als Diakon oder Diakonin. Während der Ausbildung übernehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine eigene Pfarrstelle und werden in Vorbereitungskursen in praktischtheologischen Arbeitsfeldern, Kirchenrecht, Kirchengeschichte, Dogmatik etc. aus- und weitergebildet. Nach ungefähr zwei Jahren folgt die „Kirchliche Anstellungsprüfung“.


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