| Landeskirche

Der Kirche ein Gesicht geben

Polizeipfarrerin Eva-Maria Agster geht in den Ruhestand

16 Jahren war sie geschäftsführende Pfarrerin im Pfarramt für Polizei und Notfallseelsorge. Am 26. September wird Kirchenrätin Eva-Maria Agster in den Ruhestand verabschiedet. Im Gespräch mit Jens Schmitt blickt sie auf Höhen und Tiefen zurück und gibt einen Einblick in die kirchliche Arbeit in der Polizei, die sie jahrelang mit Herzblut mitgestaltet hat.

Polizeipfarrerin Eva-Maria AgsterEMH - Jens Schmitt

Frau Agster, was hat Sie bewogen, sich als Polizeipfarrerin zu bewerben?

Persönlich sah ich mich durch meine psychotherapeutische Ausbildung gut für diese Aufgabe aufgestellt und durch meine kirchenpolitische Arbeit hatte ich eine Ahnung davon, was es heißt, von politischen Rahmenbedingungen abhängig zu sein. Außerdem waren mein Schwiegervater bei der Schutzpolizei und meine Schwägerin bei der Kripo. Berührungsängste mit der Polizei hatte ich also noch nie. Mir ist wichtig, dass die Kirche von sich aus an sensiblen Nahtstellen von Kirche und Gesellschaft präsent ist. Dass sie zu den Menschen geht, wo sie sind, wo sie arbeiten, wo sie leiden.

Wie haben Sie das umgesetzt?

Ich habe mir zu Beginn vorgenommen, alle Arbeitsbereiche anzusehen. Und das habe ich auch getan. Ich bin sehr oft Streife mitgefahren, bei Tag und bei Nacht, zu Wasser und zu Land. Ich bin sogar Hubschrauberüberwachungsflüge mitgeflogen. Auch in allen Bereichen der Kriminalpolizei ist man mir sehr offen entgegengekommen. Ich habe die Polizeidienststellen in ganz Nordwürttemberg immer wieder ohne einen Anlass besucht. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns als Kirche auch zeigen müssen, um damit der Kirche ein Gesicht zu geben. Nicht nur sonntags im Gottesdienst, sondern vor Ort, im Begleiten der Arbeit, um zu spüren und auch wertzuschätzen, was die Polizei für unser Land, unseren Staat und das heißt auch für die einzelnen Menschen tut.

In den vergangenen 16 Jahren ist das eine oder andere passiert, das einem in Erinnerung bleibt. Der Amoklauf in Winnenden fällt einem da beispielsweise ein. Hart in der Kritik standen die Beamten beim „Schwarzen Donnerstag“ bei Stuttgart 21. Wie haben Sie diese Ereignisse erlebt?

Nach dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen hat die Polizei sehr viel Empathie der Bevölkerung erfahren, weil jeder meinte sich vorstellen zu können, was es heißt, in einer Schule, in der erschossene Kinder liegen, kriminalpolizeiliche Arbeit machen zu müssen. Ähnlich nach dem Absturz der Flugzeuge in Überlingen oder bei der Ermordung von Michèle Kiesewetter. Auch ohne Details zu kennen, gab es hier viel Mitempfinden für die Polizei und für das, was sie aushalten musste. Stuttgart 21 war etwas ganz anderes. Der sogenannte „Schwarze Donnerstag“ war Teil eines gesamtgesellschaftlichen Geschehens in Stuttgart rund um Stuttgart 21 und bot eine Projektionsfläche für Vieles, was mit der polizeilichen Arbeit nur bedingt etwas zu tun hatte. Das war ein äußerst schwieriger Einsatz. Die Polizei ist nicht glücklich darüber, wie er verlaufen ist. Durch diesen Einsatz wurden Menschen verletzt und er hat in der Polizei Wunden hinterlassen. Sie setzt sich bis heute kritisch mit ihm auseinander. Den völlig unterschiedlichen Ereignissen war gemeinsam, dass sie eine ohnmächtige Wut zur Folge hatten, die die Polizeibeamtinnen und -beamten verspüren, wenn ihnen bewusst wird, welche Situationen ihnen ihr Beruf zumutet. Das geht an die Substanz.

Wie gehen Sie so etwas an?

In der Polizeiseelsorge versuchen wir, den Menschen einen Raum zu eröffnen, in dem – theologisch gesprochen – wieder spürbar wird, dass auch die Menschenwürde einer Polizistin beziehungsweise eines Polizisten, die aus dem bedingungslosen „Ja“ Gottes stammt, nicht angegriffen werden kann. In den genannten Beispielen war das richtig harte Arbeit und gelingt leider nicht immer.

Diese Extremfälle mal außen vor: Mit welchen Sorgen und Nöten kommen die Beamten denn zu Ihnen?

Da scheue ich mich immer einzelne Dinge herauszunehmen, weil es nichts gibt, was es nicht gibt, und das ist in jedem Seelsorgefeld so. Mit was wir es oft zu tun bekommen, hat mit dem Maß an Belastung in der Grenzsituation von Sterben und Tod, mit der Verelendung von Menschen in unserer Gesellschaft und mit der eigenen Veränderung durch die häufige Berührung mit den dunkelsten Seiten des Lebens zu tun. Das macht sehr viel mit den Menschen im Polizeiberuf und es verändert sie auch. Meist kommen sie an dem Punkt zu uns, an dem sie selbst ein Problem nicht mehr lösen können, nachdem schon vieles versucht wurde. Und dann ist das Kind meistens schon sehr tief in den Brunnen gefallen.

Welche Momente Ihrer Arbeit bleiben Ihnen in Erinnerung?

Auch wenn ich die eindrücklichsten Erinnerungen ausgraben würde, wären das noch immer unzählige. Erst kürzlich habe ich mit einem Polizisten gesprochen, der seit langer Zeit Präventionsarbeit macht. In diesem Gespräch habe ich wieder einmal erfahren, wie menschenfreundlich man in der Polizei ist. Ich habe so viele großartige Menschen getroffen, die auch trotz persönlicher Nachteile ihren geraden Weg gegangen sind, die einen umfassenden Blick auf das Geschehen in der Gesellschaft haben. Davon bin ich tief beeindruckt. Es hat mich berührt, wie viel Sorgfalt dieser Beamte in der polizeilichen Präventionsarbeit an den Tag legt, damit wir gut zusammenleben können. In seiner Freizeit ist er in der Flüchtlingshilfe aktiv.

Ich habe eine Meldung gelesen, in der es um die Gewalt gegen Vollzugsbeamte in Gefängnissen ging. Dort ginge es gewalttätiger zu als noch vor fünf Jahren. Der Hauptpersonalrat des Justizministeriums, Georg Konrath, sagte dabei auch, es gebe keinen „Respekt vor der Uniform“ mehr. Sehen Sie das in der Polizeiarbeit ähnlich?

Ich habe in diesem Zusammenhang ein gespaltenes Verhältnis zum Wort Respekt. Ich glaube auch nicht, dass man Respekt vor der Uniform haben sollte, sondern Respekt vor den Menschen in der Uniform und für das, wofür sie steht. Aber es stimmt: Die Gewaltbereitschaft steigt. Das belegen auch entsprechende Untersuchungen. Ursachen gibt es viele: Alkohol etwa bei Jugendlichen, Alkohol im Allgemeinen. Das berichten auch Rettungsdienste und Feuerwehren. Oder auch das Verhältnis zu Uniformträgern, das kulturelle Hintergründe hat.

Wie meinen Sie das?

In einigen Ländern steht die Polizei für etwas ganz anderes als für Rechtsstaatlichkeit, Bürgernähe und den korrekten Umgang mit der Menschenwürde. Menschen aus diesen Ländern haben mit der Polizei dort sehr schlechte Erfahrungen gemacht, und diese Erinnerungen sitzen tief. Die Polizei macht sich hierzu intensiv Gedanken. Gerade in der Präventionsarbeit versucht man mit Migrantinnen und Migranten auf vielfältige Weise ins Gespräch zu kommen und zu vermitteln, für was die Polizei hier bei uns steht.

Wie sieht es eigentlich mit dem zweiten Standbein des Pfarramtes aus, der Notfallseelsorge?

Dieses Arbeitsgebiet hat sich in den vergangenen 16 Jahren stark professionalisiert. Das macht die Vereinbarkeit der drängenden Aufgaben für die Notfallseelsorge mit denen für die Kirchliche Arbeit in der Polizei in einer Pfarrstelle bisweilen schwieriger. Die Kirche muss in der Notfallseelsorge ihrer Kernaufgabe, nämlich eine Kirche des Trostes zu sein, gerecht werden. Es nützt nichts, das Arbeitsgebiet als wichtig zu empfinden, sondern wir müssen an den angemessenen strukturellen Rahmenbedingungen arbeiten. Da haben wir als Landeskirche sehr große Herausforderungen vor uns. Die Notfallseelsorge darf innerhalb des Landespfarramts für Polizei und Notfallseelsorge nicht in Konkurrenz zur Polizeiseelsorge treten. Das würde auf Dauer ein Problem, auch für die Glaubwürdigkeit und Wirkung der Kirche in beiden Arbeitsbereichen.

Nach 16 Jahren Eva-Maria Agster, wie werden die Polizisten Ihren Nachfolger Ulrich Enders aufnehmen?

Zu meiner Verabschiedung hat mir ein Beamter geschrieben: „Die Arbeit wird mit Ihrem Nachfolger gewohnt gut weitergehen, aber diejenigen von uns, die sie kennenlernen durften, werden Sie vermissen." Das bringt es auf den Punkt, was mein Kollege vorfinden wird. Er darf sich auf diese Zeit freuen und man wird ihn mit offen Armen empfangen, da bin ich mir sicher. Ich hoffe, dass er seinen Humor und seine Heiterkeit behält und dass es ihm gelingt, bei der großen Fülle des Schweren, die diese Arbeit mit sich bringt, seine Sorgen dem lieben Gott ans Herz zu legen.

Was haben Sie nun vor?

Ich habe bewusst keine Pläne geschmiedet. Es ist das erste Mal seit 40 Jahren, dass ich in keiner beruflichen oder ehrenamtlichen Verpflichtung bin. Ich möchte mich nun einfach neugierig weiter ins Leben schmeißen und schauen, was kommt. Ich habe leidenschaftlich meinen Beruf ausgeübt und nun bin ich freudig gespannt, wie ich weiter leidenschaftlich leben kann.

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