| Gesellschaft

"Nutznießerin des langen Kampfs der Frauen"

Der steinige Weg bis zur ersten Pfarrerin Württembergs

Theologie studieren können Frauen in Württemberg schon seit 1904. Doch erst 64 Jahre später, 1968, machte die Landessynode den Weg frei zur Frauenordination. Als erste Pfarrerin Württembergs wurde Heide Kast in Ludwigsburg eingesetzt. Anlässlich des diesjährigen Internationalen Frauentags am 8. März hat Nadja Golitschek mit ihr über ihren ungewöhnlichen Werdegang gesprochen.

Heide Kast, die erste Pfarrerin Württembergs.EMH – Nadja Golitschek

Als Pionierin sieht Heide Kast sich nicht. „Eigentlich bin ich die Nutznießerin des jahrzehntelangen Kampfs der Frauen gewesen“, lacht die 76-Jährige. Dennoch musste sie sich als erste Pfarrerin Württembergs so manchen Weg erkämpfen. Heide Kast wurde 1938, ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, geboren. Dass sie 32 Jahre später die erste Pfarrerin in Württemberg werden würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Denn in ihrem Geburtsjahr konnten Theologinnen lediglich als „Praktikantinnen“ und „Pfarrgehilfinnen“ in der Kirche mitarbeiten – nicht sozialversichert und gering bezahlt. Als Heide Kast 1957 ihr Abitur in Stuttgart ablegte, erkundigte sie sich im Oberkirchenrat nach den Aussichten für Theologinnen. Bis Heide Kast ihr Studium beendet habe, würde die Frauenordination beschlossen sein, so die optimistische Prognose. „Doch als ich 1962 fertig war, konnten Frauen noch immer nicht Pfarrerinnen werden“, erzählt sie mit einem Augenrollen.

Aufbruchstimmung in den 50er und 60er Jahren: warten und hoffen

Dennoch herrschte in dieser Zeit Aufbruchstimmung, gerade auch bei den Frauen, deren Rechte immer mehr gestärkt wurden. Männer konnten das Dienstverhältnis ihrer Ehefrauen nicht mehr fristlos kündigen, Frauen durften ein eigenes Konto eröffnen und mussten ihre Ehemänner nicht mehr um Erlaubnis fragen, wenn sie einer Arbeit nachgehen wollten. Auch in der Kirche waren die Frauen auf dem Vormarsch. „Wir haben alle gehofft, dass auch die Frauenordination kommt, egal ob es ein Jahr länger dauert oder nicht. Das ist der Vorzug der Jugend, dass man die Dinge nicht so eng sieht“, berichtet Heide Kast.

Als Vikarin in Aalen begann sie vor allem mit „Frauengeschäft“: Sie übernahm die Bezirksleitung des Mädchenwerks. Predigen durfte sie zwar – aber nicht in der Stadtkirche. „Die drei Pfarrer haben sich untereinander um jeden wichtigen Feiertag gestritten. Da war klar, dass ich nicht auf die Stadtkirchenkanzel komme“, schmunzelt Heide Kast. Ihre Gottesdienste hielt sie im Kreiskrankenhaus und in einer Werkskantine.

Ihren Wunsch, Pfarrerin zu werden, verfolgte sie zielstrebig weiter. Sie suchte Synodale auf und leistete Überzeugungsarbeit: „Bei Rotwein saß man zusammen und diskutierte. Ich wollte vermitteln, dass es jetzt einfach dran ist und nicht unbiblisch, wenn Frauen Pfarrerin werden.“ Die Diskussionsfreude ist ihr auch knapp 50 Jahre später noch anzumerken. Ein Argument gegen Frauen im Pfarramt, das sie oft hörte: Der Mann ist das Oberhaupt der Frau. „Diese Begründung hört man auch heute noch immer mal wieder“, berichtet Heide Kast. Dagegen hält sie gerne den Bibelvers: „... hier ist nicht Mann noch Frau …, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

Breite Mehrheit für die Frauenordination

Am 15. November 1968 war es endlich so weit: Die Landessynode stimmte bei elf Gegenstimmen und neun Enthaltungen mit breiter Mehrheit für die Frauenordination. Theologinnen konnten nun die Amtsbezeichnung „Pfarrerin“ führen, ordiniert werden sowie ständig und im sakramentsverwaltenden Gemeindepfarramt tätig sein.

Heide Kast wurde 1970 in ihr Amt eingeführt.Wilhelm Röckle - Ludwigsburger Kreiszeitung

1970 war es für Heide Kast so weit. Sie wurde Pfarrerin an der Auferstehungskirche in Ludwigsburg. An den ungewohnten Anblick einer Frau im Talar gewöhnten die Gemeindemitglieder sich schnell. Nur einmal stieß die junge Pfarrerin auf Ablehnung: Die Witwe eines Oberfeldwebels empfand es als unpassend, wenn eine Frau die Beerdigung ihres Mannes übernehmen würde. Ihre Kollegen arrangierten sich überwiegend schnell mit einer Pfarrerin. „Der Zuffenhausener Dekan wollte mich für die Leitung der Kindergartenarbeit einsetzen. Da habe ich gesagt, er soll für diese Aufgabe einen jungen Vater suchen, ich bin weder Mutter noch bin ich jung“, lacht Heide Kast. „Manchmal wurden den Frauen eben noch Aufgaben zugeschanzt, die ‚typisch weiblich‘ sind – egal ob die nun passten oder nicht.“

Trotz der Gleichstellung von Theologinnen und Theologen gab es weiterhin Unterschiede. „Wir durften keine Beffchen tragen, wir hatten ‚Krägele‘“, erzählt die 76-Jährige. Doch nicht nur modisch waren Pfarrerinnen benachteiligt. Eine Eheschließung konnte als „zu erwartende Beeinträchtigung des Dienstes“ gesehen werden und zur Beendigung des Dienstverhältnisses führen. 1977 fiel aber auch diese Regelung.

„Du musst dein Geschäft anständig machen“

Über ihre Rolle als erste Pfarrerin sagt sie ganz pragmatisch: „Es ist wie immer: Du musst dein Geschäft anständig machen, sonst blamierst du die Innung.“ 1978 wechselte Heide Kast von Ludwigsburg in die Gemeinde Wolfbusch in Stuttgart-Weilimdorf und führte von 1991 bis zu ihrer Pensionierung 2001 die Kirchengemeinde in Stuttgart-Wangen. Auch in ihrem Ruhestand ist die ehemalige Pfarrerin noch sehr umtriebig: Sie engagiert sich im Kreisseniorenrat, im Bezirksarbeitskreis Senior, leitet einen kleinen theologischen Arbeitskreis und ist im Vorstand der SPD-AG 60plus aktiv. Seit Neuestem ist sie in einem Begrüßungskomitee für Asylbewerber tätig.

Auf die Frage, welche Erkenntnis sie aus ihrem Werdegang zieht und welche Tipps sie Kolleginnen geben würde, überlegt Heide Kast kurz und antwortet mit einem verschmitzten Lächeln: „Aufpassen, dass man sich nicht unterbuttern lässt.“ Ruhig wird Heide Kast auch mit ihren 76 Jahren nicht werden.

Der erste Weltfrauentag wurde 1911 gefeiert. Damals kämpften die Frauen vor allem für das Frauenwahlrecht, bessere Arbeitsbedingungen und den Mutterschutz. Heute nutzen Frauenorganisationen den 8. März vor allem dazu, um auf weiterhin bestehende Ungerechtigkeiten hinzuweisen.

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