| Landeskirche

Ein einzigartiges Wahlsystem

Nur Württembergs Protestanten wählen ihr Kirchenparlament direkt

Als einzige evangelische Kirche in Deutschland dürfen Kirchenmitglieder der württembergischen Landeskirche ihre Landessynodalen direkt wählen. Das nächste mal am 1. Dezember. Dabei stand die Urwahl schon einmal auf der Kippe.

Abstimmung während der SynodeEMH/Gottfried Stoppel

Stuttgart. Evangelische Landessynoden werden häufig auch als Kirchenparlament bezeichnet. In Württemberg vielleicht mit mehr Berechtigung als in anderen Kirchen des Landes, denn nur hier bestimmen die Kirchenmitglieder direkt, wer sie in der Synode vertritt - das nächste Mal am 1. Dezember. In allen anderen Landeskirchen entscheiden zwischengeschaltete Gremien - in der Regel Bezirks- oder Kreissynoden - über die Zusammensetzung der Landessynode. Doch auch in Württemberg wäre die sogenannte Urwahl 1964 fast gekippt.

Jede Stimme ist gleich gewichtet

Die Urwahl gibt den Kirchenmitgliedern mehr Macht. Jede Stimme zählt, jedes wahlberechtigte Kirchenmitglied kann Einfluss auf die Zusammensetzung des Kirchenparlaments nehmen. Sie verbessert auch die Wahlchancen von Frauen, die in zwischengeschalteten Gremien häufig unterrepräsentiert gewesen sind. Außerdem haben in Zwischengremien wie Bezirkssynoden Pfarrer ein ungleich stärkeres Gewicht, weil für sie ein fester Anteil an Sitzen reserviert ist. Bei der Urwahl dagegen zählt ihre Stimme nicht mehr als die jedes anderen Gemeindemitglieds.

Die Nachteile der Urwahl

Doch das System hat auch Nachteile. Der Aufwand für eine Urwahl ist für Kirche und Kandidaten sehr viel größer. Vorausgeht ein Wahlkampf, der Zeit und Kraft kostet. Die Profilierung der Gesprächskreise, die Parteien ähneln, führt zu Fraktionierungen. Der Ton im württembergischen Kirchenparlament war in den vergangenen Jahrzehnten deutlich rauer als anderswo, die Wahl eines konsensfähigen Bischofs konnte bis zu 17 Wahlgänge in Anspruch nehmen. 

Bei der mittelbaren Wahl stimmen nur Menschen ab, die die Kirche bestens kennen. Das Amt des Kirchengemeinderats und des Bezirkssynodalen wird aufgewertet, wenn die Amtsträger auch über die Landessynodalen bestimmen dürfen. Das könne ein "Anreiz zu organisierter Mitarbeit auf Gemeindeebene" darstellen, mutmaßt der Kirchenrechtler Nikolaus Närger, der die verschiedenen Wahlsysteme analysiert hat. 
    
Hinzu kommt ein theologisches Problem: Betrachten evangelische Christen die Landessynode als Ort, wo Vertreter des Kirchenvolks zusammenkommen - oder als Versammlungsort für Vertreter von Gemeinden? In der Geschichte der Reformation hat laut dem Kirchenrechtsexperten Thomas Barth letzteres vorgeherrscht. Am deutlichsten sichtbar ist das beispielsweise noch in der kleinen Bremischen Kirche, in deren Synode jede der 61 Einzelgemeinden mindestens einen Sitz hat. Das Demokratieprinzip, das den Menschen heute so selbstverständlich ist, hätten die Protestanten die längste Zeit ihrer Geschichte nicht akzeptiert.

Württemberg bleibt bei Direktwahl

Die Nachteile der Urwahl haben in Württemberg offenbar viele im Kirchenvolk und in der Synode Mitte des 20. Jahrhunderts dazu bewegt, auf das System der mittelbaren Wahl umzuschwenken. 1959 sprach sich die Mehrheit der Kirchenbezirke für die Einführung indirekter Wahlen zur Landessynode aus. Fünf Jahre später kam das Thema in der Landessynode zur Abstimmung. Der Oberkirchenrat sowie der synodale Rechtsausschuss hatten dem Kirchenparlament einen Gesetzentwurf zur mittelbaren Wahl vorgelegt. Dann die Überraschung: 35 Synodale stimmten für die Beibehaltung der Urwahl, 27 dagegen, zwei enthielten sich.

Professor Dr. Christian Heckel, Präsident des Verwaltungsgerichts Sigmaringen und Vorsitzender des Rechtsausschusses der württembergischen Landessynode.Gottfried Stoppel/EMH

Heute steht die Urwahl in Württemberg nicht mehr zur Disposition. Keiner der vier Gesprächskreise rüttelt an dieser Art der Wahl. Auch Christian Heckel nicht, der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Landessynode und Präsident des Verwaltungsgerichts Sigmaringen. Sein Vater Martin Heckel war es noch gewesen, der 1964 ebenfalls als Rechtsausschussvorsitzender den Vorstoß in der Synode unternommen hatte, die mittelbare Wahl einzuführen.

Christian Heckel hatte die Kirchenparlamentarier bei der jüngsten Synodaltagung daran erinnert, dass nach 1919 noch fast die Hälfte aller Landeskirchen in Deutschland die Urwahl praktiziert hätten. Sie sei nach und nach abgeschafft worden - außer in Württemberg. Es gebe keinen Grund, auf die Urwahl stolz zu sein, denn auch für andere Systeme sprächen gute Gründe. Da allerdings niemand eine Wahlreform anstrengt, ist es wahrscheinlich, dass nicht nur am 1. Dezember 2019, sondern auch in sechs Jahren wieder nach württembergischer Art die Landessynode basisdemokratisch bestimmt wird.

Quelle: epd

Mehr News

  • Datum: 03.05.2024

    „Begeisterung für Fußball erleben“

    Vom 14. Juni bis 14. Juli findet in Deutschland die Fußball-EM der Männer statt. Fünf der Spiele werden in Stuttgart ausgetragen. Die Landeskirche begleitet das Großereignis unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit vielen Angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 03.05.2024

    TV-Tipp: Vierfacher Vater plötzlich Witwer

    Innerhalb weniger Wochen änderte sich Stefan Bitzers Leben komplett. Er verlor seinen Job, seine Frau, seinen Vater – und blieb zurück mit vier Kindern. Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb spricht mit ihm darüber, wie er diese kritische Lebensphase bewältigte.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.04.2024

    „Stadtradeln“ mit Gottes Segen

    Die württembergische Landeskirche unterstützen die Aktion „Stadtradeln“ mit dem Landesarbeitskreis „Kirche und Sport“ und mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart sowie dem Württembergischen Landessportbund. Unter dem Motto Achtsamkeit werden ein Andachtsentwurf und kostenfreie Aufkleber „Bleib behütet auf all deinen Wegen“ angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.04.2024

    So begeistert Gemeinde – sieben Projekte

    Unter dem Motto #gemeindebegeistert stellen Menschen auf dem Innovationstag Projekte vor, die auf neue Weise Kirche der Zukunft gestalten: Von „4 Pfarrer auf 1 Streich“ bis „Schwätzbänkle“. Wir haben gefragt, was die Ideen besonders macht und welche Vision dahintersteckt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.04.2024

    Video: „Gottesdienste sind fast wie Urlaub“

    Was macht an dem Beruf der Mesnerin besonders Spaß? Welche Herausforderungen bringt er mit sich, und warum fühlt er sich manchmal wie Urlaub an? Rundfunkpfarrerin Barbara Wurz hat bei SWR1 Begegnungen Gabi Sauer, die Mesnerin der evangelischen Veitskirche in Nehren, zu Gast.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. Martin Rößler

    „Wir gratulieren Martin Rößler und wünschen ihm Gottes Segen. Einen passenderen Sonntag als diesen gibt es für Martin Rößler nicht: Sonntag Kantate, der das geistliche Singen in den Mittelpunkt stellt.“ Landesbischof Gohl gratuliert Prof. Dr. Martin Rößler zum 90. Geburtstag.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    „Das Gesangbuch ist ein Lebensbuch“

    „Singen ist Lebenshilfe. Das Gesangbuch ist mehr als eine Sammlung von Liedern für wechselnde Jahreszeiten und sonstige Anlässe. Das Gesangbuch ist ein Lebensbuch.“ Das sagt Landesbischof Gohl in seiner Predigt aus Anlass des 500-jährigen Jubiläums des evangelischen Gesangbuchs.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    „Wo wir der Hoffnung Stimme geben, wächst die Zuversicht“

    „Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt?!“ war das Motto des Herzschlaggottesdienstes in Nellmersbach, in dem Landesbischof Gohl am 21. April gepredigt hat. Hier finden Sie die Predigt zu einem Vers aus Psalm 18: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.04.2024

    Innovationstag: Jetzt anmelden!

    Frische Ideen fürs Gemeindeleben: Unter dem Motto „#gemeindebegeistert – Kirche lebt, wo dein Herz schlägt“ veranstaltet die Landeskirche am 4. Mai einen großen Innovationstag. In Projektpräsentationen und Workshops gibt’s Austausch und Tipps. Jetzt anmelden

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.04.2024

    KI in der Gemeindearbeit einsetzen

    Was ist Künstliche Intelligenz und was ist damit anzufangen? Eignet sich KI auch für die Gemeindearbeit und wo konkret kann sie dort zielgerichtet angewendet werden? Mit diesen Fragen befasst sich am 16. Mai ein Online-Seminar des Evangelischen Medienhauses.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.04.2024

    „Konfirmanden ist Glaube wichtiger als Geschenke“

    Frontalunterricht gibt es kaum noch im Konfi-Unterricht, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ilg von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg im Interview. Die Konfi-Arbeit sei nach wie vor das Angebot mit der größten Reichweite in der Evangelischen Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    „Kirche mit Kindern“ ist einfach lebendig

    Vom Kindergottesdienst zu einer Kirche für die ganze Familie: Lebendiger und spannender Gottesdienst mit neuen Herausforderungen. Wir haben Sabine Foth gefragt, wie sich die Kirche mit Kindern zu einer Familienkirche gewandelt hat und was ihr an der Arbeit besonders gefällt.

    Mehr erfahren
Mehr laden