| Landeskirche

„Eine Frage der Haltung und der Offenheit“

Pfarrer Johannes Reinmüller über Innovation in der Kirche

In der württembergischen Landeskirche sind in den letzten Jahren zehn halbe Pfarrstellen eingerichtet worden, um Innovationen in Kirchengemeinden zu entwickeln und umzusetzen. Das Ziel: Kirche soll auch in Zukunft interessant und attraktiv bleiben. Dr. Johannes Reinmüller betreut dieses Projekt „Innovatives Handeln und neue Aufbrüche“ und berät die gemeindlichen Versuchslabors. Was braucht es für Innovationen, wie verbreiten sich gute Ideen, und was macht gute Innovationskultur aus? Im Hochgeschwindigkeits-Interview haben wir Johannes Reinmüller 19 Fragen gestellt, auf die er spontan und knapp geantwortet hat.

Innovationen in der Kirche können in viele Richtungen gehen. Die Evangelische Landeskirche hat auf Initiative der Synode zehn halbe Innovations-Pfarrstellen ins Leben gerufen.Pixabay

Drei persönliche Kriterien für gute kirchliche Innovationen?

Johannes Reinmüller: Erstens: Sie werden nicht nur von Hauptamtlichen, sondern auch von geistlich emanzipierten Ehrenamtlichen mitgetragen. Zweitens: Sie erreichen Menschen, die nicht mehr oder noch nie etwas mit Kirche zu tun hatten. Drittens: Die Innovation soll nicht Effekthascherei, sondern lebensverändernd sein. Innovationen müssen Menschen ins Reich Gottes und in die Nachfolge rufen.

Ein Beispiel?

Reinmüller: Es gab in Stuttgart vor einigen Jahren ein christliches Nagelstudio. Kirche besitzt für Menschen, die so einen Ort aufsuchen, häufig kein Angebot. Ein christliches Nagelstudio erreicht Menschen, die durch die klassischen Angebote Kirchenchor, Jungschar oder Männergesprächskreis nicht erreicht werden.

Pfarrer Johannes Reinmüller ist in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg für „Innovatives Handeln und neue Aufbrüche“ zuständig.privat

Eine Innovation, die Sie sich wünschen würden?

Reinmüller: Mehr Gemeinden für Menschen mit Migrationshintergrund.

Drei Eigenschaften eines „Innovationspfarrers“ oder einer „Innovationspfarrerin“?

Reinmüller: Geduld, Flexibilität und Durchhaltevermögen, um dicke Bretter zu bohren.

Ein Ort für einen innovativen Gottesdienst?

Reinmüller: Ein Ort ist richtig, wenn man den Gottesdienst nicht von dem Ort abhängig macht. Ein Gottesdienst kann immer innovativ sein, auch in einer gotischen Kathedrale. Und er kann auf einer grünen Wiese, auf einem Floß oder in einem Club langweilig sein.

Innovativ ist …

Reinmüller: … wenn etwas überraschend ist und dadurch Menschen anspricht, die man sonst nicht erreichen würde.

„Innovativ ist, wenn etwas überraschend ist und dadurch Menschen anspricht, die man sonst nicht erreichen würde.“

Johannes Reinmüller

Analog oder digital?

Reinmüller: Beides. Nicht das eine oder andere absolut setzen. Innovativ ist, wenn man je nach Situation das Richtige wählt.

Alt oder jung?

Reinmüller: Ich kenne alte hochinnovative und junge langweilige oder eingefahrene Leute. Das ist eine Frage der Haltung und der Offenheit.

Stadt oder Land?

Reinmüller: Innovationen kommen oft von den Rändern der Landeskirche. Sie kommen in Hohenlohe, auf der Alb, im Oberland und dem Schwarzwald vor. Ich wünsche mir, dass die Städte etwas mehr aufholen.

Lokal oder in der Landeskirche?

Reinmüller: Landeskirche ist immer Kirche vor Ort. Sie ist dort, wo die Gemeinde ist. Kirche von unten. Dort, wo sich Menschen versammeln.

Als Gruppe oder allein?

Reinmüller: Immer als Gruppe: Wer allein beginnt, muss sich eine Gruppe suchen, denn sonst fährt man eine Innovation gegen die Wand.

Ich packe meinen Innovations-Koffer und nehme mit …

Reinmüller: Offenheit, Geduld und Gebet.

Ich packe meinen Innovations-Koffer und lasse da …

Reinmüller: Die Sprüche „Das haben wir noch nie gehabt“ oder „Das haben wir schon immer so gemacht“. Und „Ich will alles kontrollieren“ oder „Ich weiß schon, wie es geht“.

„Wer allein beginnt, muss sich eine Gruppe suchen, denn sonst fährt man eine Innovation gegen die Wand.“

Johannes Reinmüller

Wie lernt die Landeskirche aus den Innovationspfarrstellen?

Reinmüller: Durch „Trial und Error“: Sie erfährt, was gelingt und was sie vielleicht auch vervielfachen kann. Und wie es nicht geht. Wir sind im Labor. Manchmal ist ein Experiment nur eine Lösung für bestimmte Menschen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Aber Experimente können auch für andere ihre Türen öffnen. Pionierinnen und Pioniere können sich vernetzen und sich darüber austauschen, was gut lief und was nicht geklappt hat. Es tröstet, wenn andere das gleiche Problem hatten und vielleicht immer wieder mit demselben Problem an die Wand gefahren sind. Und es macht Mut, dass etwas bei anderen geklappt hat, und inspiriert, dass ein Projekt etwas angepackt und gewagt hat. Man kann sich gegenseitig bestärken.

Wen kann die Kirche mit den Innovationspfarrstellen neu gewinnen?

Reinmüller: Ich hoffe, Menschen, die noch nie oder nicht mehr mit Kirche unterwegs waren oder sind. Und vielleicht auch die, die gerade auf dem Absprung sind.

Innovationsstellen sollen nicht …

Reinmüller: Es soll nicht darum gehen, dass Pfarrerinnen und Pfarrer ihre Hobbys ausleben, sondern dass sie ihre Gaben für die Landeskirche einbringen können.

Kirche bleibt wichtig, wenn sie ...

Reinmüller: Ein Liedvers als Antwort: „Sing, bet‘ und geh auf Gottes Wegen, verricht‘ das deine nur getreu“ aus dem Kirchenlied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Ein alter Spruch.

„Wir brauchen mehr Offenheit für Experimente und auch mehr Liebe zum Scheiterndürfen.“

Johannes Reinmüller

Experiment oder Tradition?

Reinmüller: Wir brauchen mehr Offenheit für Experimente und auch mehr Liebe zum Scheiterndürfen. Die Kirche setzt immer noch einen Großteil ihrer Kraft für den Erhalt der Tradition ein. Wir müssen keine Tradition abschaffen, aber Experimente zulassen.

Ich bin froh, in der Kirche zu sein, weil …

Reinmüller: … die württembergische Landeskirche meine geistliche Heimat ist, weil in ihr so vieles möglich ist und in ihr tolle Menschen mit verschiedenen Gaben unterwegs sind. Die gilt es zu wecken und mit ihnen am Reich Gottes zu bauen.


Innovationen und „neue Aufbrüche“

•    Seit März 2018 ist Dr. Johannes Reinmüller für „Innovatives Handeln und neue Aufbrüche“ im Pädagogisch-Theologischen Zentrum der Landeskirche tätig. Ziel ist es, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, wie Kirche in Zukunft bestehen kann.

•    Kirchenbezirke und Kirchengemeinden konnten sich mit innovativen Ideen bewerben, zehn Projekte wurden ausgewählt. Die erste Innovationspfarrstelle wurde im Herbst 2019 besetzt, die letzten beiden Stellen am 12. und 26. September.

•    Im nächsten Jahr beginnt die Evaluierung der Projekte, um festzustellen, ob sie sich verändern müssen.

•    Alle Pfarrerinnen und Pfarrer sind mit einer halben Stelle in einer Kirchengemeinde tätig, damit die Innovationen mit der Arbeit in Kirchengemeinden verbunden werden. Es wurden keine neuen Pfarrer eingestellt.

•  Eine Familienkirche in Crailsheim, ein Ackerbau-Projekt oder ein Tourismus-Pfarramt: Eine Übersicht über die Stellen gibt es auf der Website des Projekts.

Durch die Wiedergabe dieses Videos speichert YouTube möglicherweise persönliche Daten wie Ihre IP-Adresse.


Schon gewusst?

Grafik: elk-wue.de

Mehr News

  • Datum: 19.04.2024

    „Konfirmanden ist Glaube wichtiger als Geschenke“

    Frontalunterricht gibt es kaum noch im Konfi-Unterricht, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ilg von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg im Interview. Die Konfi-Arbeit sei nach wie vor das Angebot mit der größten Reichweite in der Evangelischen Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    „Kirche mit Kindern“ ist einfach lebendig

    Vom Kindergottesdienst zu einer Kirche für die ganze Familie: Lebendiger und spannender Gottesdienst mit neuen Herausforderungen. Wir haben Sabine Foth gefragt, wie sich die Kirche mit Kindern zu einer Familienkirche gewandelt hat und was ihr an der Arbeit besonders gefällt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    Video: Multitalent mit Down-Syndrom

    Tamara Röske hat viele Talente: Schauspielern, Modeln und Leichtathletik – trotz Handicap. Die 28-Jährige hat das Down-Syndrom. Wie bringt sie alles unter einen Hut? Darüber spricht sie zusammen mit ihrer Mutter Antje mit „Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.04.2024

    „Der Segen Gottes gilt uns allen“

    Mit einem Gottesdienst in der Klosterkirche Mariaberg bei Gammertingen hat am 13. April die ökumenische Woche für das Leben begonnen. Sie stellt unter dem Motto die Lebenswirklichkeiten Jugendlicher und junger Erwachsener mit Behinderungen in den Mittelpunkt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Innovationstag: Jetzt anmelden!

    Frische Ideen fürs Gemeindeleben: Unter dem Motto „#gemeindebegeistert – Kirche lebt, wo dein Herz schlägt“ veranstaltet die Landeskirche am 4. Mai einen großen Innovationstag. In Projektpräsentationen und Workshops gibt’s Austausch und Tipps. Jetzt anmelden

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Segen, Mut & Traubenzucker

    In diesen Wochen stehen an vielen Schulen Abschlussprüfungen an - für Schülerinnen und Schüler eine stressige Zeit. Die Ev. Jugendkirche Stuttgart macht mit einem speziellen PrüfungsSegen Mut und stellt auch anderen Gemeinden Materialien zur Verfügung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Digitaler Notfallkoffer für die Seele

    Hilfe in persönlichen Krisenmomenten bietet die KrisenKompass-App der Telefonseelsorge fürs Handy und Tablet. Sie bietet Unterstützung, um schnell wieder auf positive Gedanken zu kommen oder bei Bedarf rasch professionelle Hilfe finden zu können.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Zum 200. Todestag von Beata Regina Hahn

    Vor 200 Jahren starb Beata Regina Hahn, die zweite Ehefrau des Mechanikerpfarrers Philipp Matthäus Hahn, Tochter von Johann Friedrich Flattich und Mutter der Schulgründerin Beate Paulus. Als Herausgeberin von Hahns Schriften prägte sie dessen Bild für viele Jahre.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    „Wir beten, dass die zerstörende Gewalt ein Ende nimmt“

    Die Landeskirchen in Württemberg und Baden haben den Jüdinnen und Juden im Land Grüße zum Pessach-Fest übersandt. Darin nehmen Landesbischof Gohl und Landesbischöfin Springhart Bezug auf den Angriff der Hamas wie auch auf den Raketenangriff des Iran auf Israel.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    Hoffnung wird durch Menschen vermittelt

    Bei einer religionspolitischen Tagung der SPD-Bundestagsfraktion am 12. April in Berlin unter dem Titel „Mehr Zuversicht! Mit Hoffnung die Zeiten wenden“ betonte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, wer die Verwurzelung in Jesus Christus spüre, werde für andere zur Hoffnung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 13.04.2024

    Landesbischof Gohl: "Wir stehen an der Seite Israels"

    "Der Angriff des Iran bedroht die Existenz Israels. Wir müssen daran erinnern, dass alles mit dem Pogrom der Hamas an Israel begann." Gohl weist weiterhin auf die israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas hin.

    Mehr erfahren
  • Datum: 12.04.2024

    Klassik und Pop Hand in Hand

    Die Evangelische Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen hat schon früh einen Studiengang für populare Kirchenmusik eingerichtet und war damit in der EKD Vorreiter. Prof. Thomas J. Mandl und Prof. Patrick Bebelaar erklären, was das Besondere an der HKM ist.

    Mehr erfahren
Mehr laden