Die Stuttgarter Brenzkirche zwischen Denkmalschutz und Aufbruch
Flachdach, großformatige, asymmetrische Fensterfronten und eine gerundete Ecke, dennoch schlicht und funktional: Die evangelische Brenzkirche auf dem Stuttgarter Killesberg galt als beeindruckendes Beispiel Neuen Bauens. In seiner Architektursprache lehnte sich der in der Endphase der Weimarer Republik geplante Stahlskelettbau an die Weißenhofsiedlung an. Davon ist heute kaum mehr etwas zu erkennen. Die im April 1933 eingeweihte Kirche trennt Welten von dem Bau der heutige Brenzkirche. Das könnte sich ändern.
Denn die Brenzkirche muss renoviert werden. Der Architekt und Leiter des Bau- und Liegenschaftsamtes der Stuttgarter evangelischen Gesamtkirchengemeinde, Thilo Mrutzek, will nicht ausschließen, dass nach der Renovierung einiges an das ursprüngliche Bauwerk erinnern wird. Auch wenn von der ursprünglichen Bausubstanz „erstaunlich wenig erhalten“ ist, wie er sagt. Derzeit gebe es zwischen der Brenzkirchengemeinde und der Gesamtkirchengemeinde Gespräche über die künftige Nutzung und um das, was vom ursprünglichen Bau wieder sichtbar gemacht werden könnte.
„Der Integrität der Kirche ist übel mitgespielt worden.“
In ihrer derzeitigen Form jedenfalls sei die Kirche „verunstaltet“, betont der landeskirchliche Kunstbeauftragte, Kirchenrat Reinhard Lambert Auer. „Der Integrität der Kirche ist übel mitgespielt worden.“
Modernes Bauwerk im besten Sinn
„Die Brenzkirche ist zwar nicht die erste moderne Kirche der Landeskirche“, betont Auer. „Aber in ihrer Reduktion und klaren Lineatur der architektonischen Formgebung ist sie eine Steigerung und eine besonders eindrückliche Umsetzung des Neuen Bauens.“ Bei keinem anderen Kirchenbau sei damals das Konzept der Multifunktionalität so weit vorangetrieben worden wie bei der Kirche auf dem Killesberg – bis hin zum mobilen Altar.
„Heute verlangt das kirchliche Leben neben einem großen Saal für den Sonntagsgottesdienst kleine Versammlungsräume. Dadurch wird die äußere Erscheinung des Bauwerks ganz wesentlich mitbestimmt.“ Das machte damals schon der Brenzkirchen-Architekt und Regierungsbaumeister Alfred Daiber deutlich, der zuvor den Wettbewerb zum Neubau der AOK in Stuttgart gewonnen hatte. Er legte den Gottesdienstraum in das Obergeschoss, Gemeinderaum und Kindergarten ins Erdgeschoss und Wohnungen in einen Querbau.
„Das Besondere der Brenzkirche von 1933 war jene Offenheit, jener Atelier- und Werkstattcharakter, der ihr von Anfang an zum Vorwurf gemacht wurde“, führt Karl-Eugen Fischer, Pfarrer an der Brenzkirche, aus. „Das hob sie von allen anderen Kirchen Stuttgarts ab.“ Die Zeitschrift „Neue Bauformen“ schrieb damals, wenn der Geist des neuen Bauens als Unterordnung des Architektonischen unter die Aufgabe bezeichnet werden dürfe, sei die Brenzkirche „im besten Sinne ein modernes Bauwerk“ und stellte den Bau in einer Reihe mit dem Stuttgarter Tagblattturm, dem Mittnachtbau und Breuninger.
Der Shitstorm geht los
Bereits kurz nach der Einweihung 1933 geht der Shitstorm los. Dr. Ulrike Plate vom Landesamt für Denkmalpflege hat das in einem Beitrag nachgezeichnet. Der Schwäbische Merkur spricht von einem „Seelensilo, der eine Kirche sein will und aussieht wie ein Getreidespeicher oder wie eine Turnhalle oder ein Spritzenhaus“. Der NS-Kurier, das gleichgeschaltete Stuttgarter Neue Tagblatt, schreibt: „Diese Kirche ist das wohl Ungeheuerlichste, was ein Architekt sich in den letzten Jahren geleistet hat.“
"Seelensilo, der eine Kirche sein will und aussieht wie ein Getreidespeicher"
Und in der Süddeutschen Zeitung ist zu lesen, den Eindruck einer „deutschen“ Kirche mache dieses turmlose Bauwerk nicht. „Was besonders unangenehm daran auffällt, ist die Anbringung der Glocken, die nach beinahe afrikanisch anmutender Manier etwa zwei Meter über dem Dachstuhl frei sichtbar an Balken aufgehängt sind.“
Unter Druck
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zeigt ihre Wirkung auch in der Landeskirche. Einen Monat nach der Einweihung wird Friedrich Hilzinger als erster Pfarrer der Brenzkirche investiert, der den „Deutsche Christen“ angehört, einer Organisation, die den Protestantismus an die Ideologie der Nationalsozialisten anpassen will. Landesbischof Theophil Wurm wird denunziert und kurze Zeit in Schutzhaft genommen und Stadtdekan Theodor Traub, der sich für den Bau der Brenzkirche eingesetzt hatte, in den Ruhestand gedrängt.
„liberalistische Baugesinnung der verflossenen Systemzeit“
1938 fragt sich der Kirchengemeinderat, ob die Kirche wegen der bevorstehenden Reichsgartenschau nicht umgestaltet werden müsse, weil sie sich im „Gegensatz zur Bauauffassung des Dritten Reiches“ befinde. Kurz darauf wendet sich die Stadt Stuttgart an den Oberkirchenrat, moniert die „liberalistische Baugesinnung der verflossenen Systemzeit“ und fordert die Kirche zum Umbau auf.
Die Kirche folgt der Aufforderung und vergibt den Planungsauftrag an das Vorstandsmitglied im Verein für christliche Kunst, Rudolf Lempp. Der ist Mitglied der Reichskunstkammer, gehört der Gemeinde an und war im Wettbewerb zum Bau der Brenzkirche Alfred Daiber unterlegen.
Die „Arisiserung“ folgt
Jetzt wird die Brenzkirche „arisiert“, ihr baulicher Charakter wandelt sich vollständig. Die Brenzkirche erhält ein Satteldach, wie das auch in anderen Städten mit Bauten geschah, die man als „baubolschewistisch“ verunglimpfte. Die gerundete Ecke – ein Markenzeichen – wird durch den Vorbau eines neuen Mauerwerks rechtwinklig geschlossen. Der Bau verliert seine schrägen, dem Treppenverlauf folgende Verglasung der Nordfassade. Es verbleibt nur noch eine Glasfläche auf der Höhe des oberen Foyers, das zudem von vier auf drei Fensterfelder verkleinert wird. Der Glockenstuhl erhält eine Ummantelung und ebenfalls ein Satteldach. Die Kosten dafür trägt die Landeskirche, die dazu nicht verpflichtet gewesen wäre.
Wiederaufbau mit Lempp
Im Zweiten Weltkrieg wird die Kirche – vor allem durch Bombardements und deren Folgen – schwer beschädigt. Konstruktiv bleibt sie aber weitgehend intakt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kirchen in Stuttgart. Nach dem Krieg folgt der Wiederaufbau – unter der fachlichen Leitung von Rudolf Lempp. Er hat den Auftrag, die Kirche in der von ihm geschaffenen Formensprache wieder herzustellen. Lempp nutzt dies auch für Veränderungen: den Einbau neuer, hoher, rechteckiger Fenster in der zuvor fensterlosen Ostfassade. Die Fensterwand in der Westseite lässt er weitgehend zumauern. Im Lauf der Jahre folgen weitere Änderungen.
Denkmal zum 50. Jubiläum
1983, 50 Jahre nach ihrer Einweihung, wird die Brenzkirche zum Denkmal erklärt. Die 1939 in Zusammenhang mit der Reichsgartenschau ausgeführten Umbauten seien höchst bezeichnend für den Kampf, der zur Zeit des „Dritten Reiches“ gegen die moderne Kunst geführt wurde, heißt es in der Begründung.
Ulrike Plate vom Landesamt für Denkmalpflege führt aus: „Die Zerstörung der Kirche während des Zweiten Weltkrieges, der Wiederaufbau und weitere Umbauten haben den heutigen Bau immer weiter von der neusachlichen Brenzkirche entfernt, die 1933 für überregionale Aufregung gesorgt hatte, und deren moderne Gestaltung uns bis heute so reizvoll erscheint.“
Brenzkirche wohin?
Wie geht es weiter? „Die Brenzkirche sollte die Chance haben auf eine Weiterentwicklung. Sie sollte gleichzeitig in ihrem Äußeren sichtbar machen, was 1933 zum Selbstverständnis der Gemeinde gehörte: nämlich offen zu sein und gleichzeitig eingebunden zu sein in das Ambiente der Weißenhofssiedlung in der Nachbarschaft“, sagt Auer. Es geht ihm dabei nicht um eine Restaurierung des Zustands von 1933. Aber wesentliche Elemente des Baus von damals sollten wieder sichtbar werden, wie etwa die gerundete Ecke, die großformatige, asymetrische Fensterfront und das Flachdach.
„Wir wollen die ursprüngliche Form weitgehend wieder freilegen und sie zum Ausgangspunkt für eine Neugestaltung machen“, betont Karl-Eugen Fischer. „Ein schönes Ziel wäre es, wenn der Umbau bis zur IBA 2027, der Internationalen Bauausstellung in Stuttgart, fertig wäre.“
„Wir sind uns einig: wir wollen den alten Baukörper wieder sichtbar machen, dort wo es bautechnisch möglich, von der Weiterentwicklung der Kirche sinnvoll und mit dem Landesdenkmalamt machbar ist“, sagt die Leiterin der Kirchenpflege der Gesamtkirchengemeinde Stuttgart, Sonja Schürle. „Und wir wollen die engagierte Bürgerschaft mit einbeziehen.“ Ein Schritt dazu ist die Gründung eines Kirchbauvereins am 9. Juli.
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