| Landeskirche

„Sich der Perspektive der Betroffenen stellen“

Erste Reaktionen zu den Ergebnissen der ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie

Heute, am 25. Januar 2024, hat der unabhängige Forschungsverbund „ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit vorgestellt. Der Forschungsverbund hat in mehrjähriger Arbeit systematisch Fälle sexualisierter Gewalt in allen EKD-Gliedkirchen zusammengetragen und analysiert, auch aus dem Raum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und seinem Diakonischen Werk.

Da die württembergische Landeskirche – wie alle EKD-Gliedkirchen – erst heute zeitgleich mit der Öffentlichkeit Kenntnis von den Ergebnissen der Studie erhalten hat, kann heute nur eine erste, vorläufige Reaktion erfolgen. Eine fundierte Bewertung und Reaktion setzt die genaue Analyse der Ergebnisse durch die Kirchenleitung voraus.

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl.Bild: Gottfried Stoppel

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl

Die ForuM-Studie bildet nicht den Abschluss, sondern einen wichtigen Meilenstein bei der Aufarbeitung, bei der Intervention und bei der Prävention von sexualisierter Gewalt in der Landeskirche. Wir, und damit meine ich alle, die in der Landeskirche haupt- und ehrenamtlich mitarbeiten, haben in unseren jeweiligen Positionen und Arbeitsbereichen die Aufgabe, dazu beizutragen, dass Kirche mit ihrer Diakonie ein Schutzort ist. Dazu gehört auch, dass wir klare Leitlinien haben, wie wir mit Hinweisen oder Vermutungen von sexualisierter Gewalt umgehen.

Ich bitte alle unsere Kirchenmitglieder sowie sämtliche haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden: Tragen Sie Ihren Teil dazu bei, dass bei sexualisierter Gewalt nicht weggesehen wird oder Meldungen überhört werden. Der Schutz derer, die uns in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und in der Pflege anvertraut sind, steht an oberster Stelle. Wer das Evangelium für seine ‚Täterstrategie‘ missbraucht, der zerstört Vertrauen.

Wir müssen an einer Kultur der Grenzachtung arbeiten, die auch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse thematisiert. Wenn die Landeskirche Maßnahmen der Intervention, der Aufarbeitung, wie in allen Arbeitsbereichen der Landeskirche umfassenden ForuM-Studie geschehen, und der Prävention ergreift, so tut sie das, um Menschen zu schützen und zu stärken und nicht, um Schaden von der Kirche abwenden zu wollen. Ich sehe meine Verantwortung als Landesbischof darin, den von der Landeskirche bereits seit 2010 eingeschlagenen Weg und die weiteren in der  Studie angesprochenen Empfehlungen im Bereich unserer Landeskirche konsequent voranzutreiben.  

Synodalpräsidentin Sabine FothBild: Gottfried Stoppel

Sabine Foth, Präsidentin der Landessynode

Betroffene Personen werden von der Landeskirche unterstützt – indem sie wahr- und ernstgenommen und gehört werden sowie in der Prozessbegleitung.

Zuallererst ist es essenziell, sich der Perspektive der betroffenen Personen zu stellen, diese ernst zu nehmen und auf ihre Hinweise zu achten. Was haben sie erlebt, wie sehen sie das Geschehene, wie können wir sie unterstützen, wie können wir sexualisierte Gewalt schneller erkennen und vor allem verhindern? Gerade dafür ist die ForuM-Studie enorm hilfreich. Wir als landeskirchliche Mitarbeitende im Haupt- und Ehrenamt sind alle gefordert, um die Tatsache der sexualisierten Gewalt in Kirche und Diakonie zu wissen und nach den Interventions- und Präventionsregeln handeln zu können. Dabei geht es nicht um eine Kultur des Generalverdachts, sondern um einen entschlossenen Einsatz gegen sexualisierte Gewalt.

Prälatin Gabriele WulzBild: Gottfried Stoppel

Prälatin Gabriele Wulz (Ulm)

Das mutige Vorgehen von Pater Mertes im Canisiuskolleg hat im Jahr 2010 in Gesellschaft und Kirche viel in Bewegung gebracht.  

Auch wenn sich die evangelische Kirche für einige Jahre im Glauben wähnte, sexueller Missbrauch sei vor allem ein Problem der katholischen Kirche, so wissen wir inzwischen durch die vielen Gespräche in der Anlaufstelle und vor der Unabhängigen Kommission, aber auch durch das systematische Sichten der Akten, dass wir sehr viel vor unserer eigenen Türe zu kehren haben.

Mühsam (und schmerzlich für die betroffenen Personen) haben wir lernen müssen, dass sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt auch im Bereich unserer Landeskirche geschehen ist und geschieht. Vieles wurde in der Vergangenheit verdrängt oder überhört. Noch immer begegnet mir der Satz: „Bei uns gibt es das nicht.“ oder: „Wir kennen uns doch.“

Die Aufgabe der Prävention und der Intervention ist gewaltig und kann nur gelingen, wenn alle mitmachen und vor allem, wenn möglichst viele verstehen, wie manipulativ und strategisch Täter und Täterinnen vorgehen.

Wir sind uns bewusst, dass alle Maßnahmen, alle Schutz- und Präventionsmaßnahmen sexualisierte Gewalt nicht verhindern werden können. Aber wir wollen alles dafür tun, dass in ein riesiges Dunkelfeld immer mehr Licht fällt.

Auch hier sind wir auf dem Weg und werden im Frühsommer 2024 einen weiteren Fachtag haben, an dem wir kirchliches Handeln – in Gottesdienst, Seelsorge, Unterricht und im pastoralen Selbstverständnis – gemeinsam mit betroffenen Personen reflektieren und praktische Konsequenzen ziehen.

Sommertagung 2023 der 16. Landessynode
Oberkirchenrätin Dr. Annette NollerBild: Gottfried Stoppel

Oberkirchenrätin Prof. Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg

Mit der ForuM-Studie liegen uns detaillierte Forschungen vor, die uns helfen, noch besser zu verstehen, wie es in Diakonie und Kirche zu sexualisierter Gewalt an Menschen kommen konnte. Ich bin sehr betroffen darüber, dass in der Diakonie großes Leid und Unrecht geschehen ist. Das ist nicht entschuldbar. Hinter jedem einzelnen Fall steht ein schweres Schicksal, das Betroffene oft schwer belastet, weil ihnen unermessliches Leid zugefügt wurde. Wir müssen alles tun, aufmerksam und professionell aufgestellt sein, um die uns anvertrauten Menschen vor sexualisierter Gewalt zu schützen.

Die Studie ist ein wichtiger Baustein im Prozess der diakonischen Aufarbeitung. Sie zeigt uns, welche Missstände und Lücken wir schließen müssen, damit Menschen in unseren Einrichtungen vor sexualisierter Gewalt geschützt sind. Ich bin froh, dass in der Studie Betroffene und ihre Erlebnisse zu Wort kommen. Auch uns ist es wichtig, mit betroffenen Menschen, wenn sie es wollen, direkt im Gespräch zu sein. Wir werden die Studie intensiv lesen und analysieren, um unsere umfangreichen Aktivitäten zum Schutz der uns anvertrauten Menschen zu verbessern.

Stefan Werner, Direktor im OberkirchenratBild: Gottfried Stoppel

Stefan Werner, Direktor im Oberkirchenrat

Wir sind als Kirche nur dann glaubwürdig, wenn wir nicht die Institution in den Vordergrund stellen, sondern die Betroffenen von sexualisierter Gewalt sehen. Mit der Einführung des kirchlichen Gesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt (Gewaltschutzgesetz) kommt die Landeskirche den Vereinbarungen auf EKD-Ebene nach und unterstreicht ihre Verantwortung im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Darin heißt es auch: Wer kirchliche Angebote wahrnimmt oder in der Landeskirche mitarbeitet, ist vor allen Formen sexualisierter Gewalt bestmöglich zu schützen.

Kirchlicher Dienst ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen. Dieser Auftrag wird verfehlt, wenn in unserer Dienstgemeinschaft Vertrauen durch sexualisierte Gewalt missbraucht wird.


    Nächste Schritte in der württembergischen Landeskirche

    In Reaktion auf die Studie wird nun eine unabhängige regionale Kommission für die vertiefende Weiterverarbeitung der Studienergebnisse eingerichtet. Die Aufgaben dieser Kommission sind:

    • Weitere quantitative Erhebungen von Fällen sexualisierter Gewalt.
    • Qualitative Analysen zur Identifikation von Strukturen, die sexualisierte Gewalt ermöglichen, begünstigen, deren Aufdeckung erschweren oder dies in der Vergangenheit getan haben (dazu gehören z.B. Studien wie das schon durchgeführte „AUF!-Projekt“)
    • Evaluierung des administrativen und verfahrensrechtlichen Umgangs mit Betroffenen und Möglichkeit der individuellen Aufarbeitung.
    • Unterstützung, Evaluierung und Beratung der Landeskirche und Diakonie im Hinblick auf die institutionelle Aufarbeitungspraxis.
    PM ForuM-Studie – erste Reaktionen aus der württembergischen Landeskirche
    download

    Info: 115 KB | PDF
    25.01.2024

    PM ForuM-Studie – erste Reaktionen aus der württembergischen Landeskirche

    Zeitleiste: Umgang mit sexualisierter Gewalt in der württembergischen Landeskirche
    download

    Info: 131 KB | PDF
    25.01.2024

    Zeitleiste: Umgang mit sexualisierter Gewalt in der württembergischen Landeskirche


    Hinweis für Kirchengemeinden

    Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt@elk-wue.de nachzufragen, ob die Nutzungsrechte für den jeweiligen Zweck vorliegen. Gerne können Sie alle Bilder nutzen, die Sie im Pressebereich unserer Webseite finden.

    Mehr News

    • Datum: 08.05.2024

      Herz und Herz - Der Song zum Innovationstag

      „Herz und Herz vereint zusammen" - die Band „Weida & Mohns“ hat für den Innovationstag der Landeskirche Zinzendorfs Kirchenliedklassiker neu arrangiert. Für Gemeindebands bieten sie Noten, Arrangements und Materialien zur Nutzung in Gemeinden an.

      Mehr erfahren
    • Datum: 08.05.2024

      FAQ: Himmelfahrt und Pfingsten

      Wie gehören Himmelfahrt und Pfingsten zusammen? Was hat es mit den Flammen auf den Köpfen auf sich und was mit den vielen Sprachen? Und woher kommt der Name „Pfingsten“? Pfingsten und Christi Himmelfahrt sind erklärungsbedürftig - Pfarrer Dan Peter gibt Antworten.

      Mehr erfahren
    • Datum: 08.05.2024

      Kommunal- und EU-Wahl: Infos der Landeskirche

      Am 9. Juni 2024 finden bundesweit die EU-Wahl und in Baden-Württemberg auch die Wahl zu den Gemeinde- und Stadträten statt. Auf unserer Sonderseite zur Europa- und Kommunalwahl 2024 finden Sie Stellungnahmen, Infos zu kirchlichen Aktionen und mehr.

      Mehr erfahren
    • Datum: 08.05.2024

      Ein Nagelkreuz als Zeichen der Versöhnung

      Ein Kreuz aus Coventry, bestehend aus drei Nägeln, ist seit Jahrzehnten ein Symbol für die Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg und den Sinn von Friedensarbeit. Dieser Idee fühlen sich auch in Württemberg sechs Nagelkreuzzentren verpflichtet.

      Mehr erfahren
    • Datum: 08.05.2024

      Klimakrise und Spiritualität: Veranstaltungstipp

      „Herausforderung Klimakrise – Schöpfung neu entdecken“: zu dieser Veranstaltung lädt die Evangelische Hochschul- und Zentralbibliothek am 16. Mai ein. Impulsvorträge und eine Podiumsdiskussion beleuchten das Thema. Bis zum 13. Mai anmelden!

      Mehr erfahren
    • Datum: 07.05.2024

      Bibelworte zu Muttertag und Vatertag

      Muttertag und Vatertag – für manche nur Kommerz oder ein Partytag, für andere Anlass, sich bei Müttern und Vätern, oder wen sie in ihrem Leben als solche betrachten, zu bedanken. Hier sind Bibelworte zum Thema: Lesen, teilen, oder die Festrede damit beginnen lassen!

      Mehr erfahren
    • Datum: 07.05.2024

      Innovationstag: Acht Thesen zum Weiterdenken

      Rund 1.000 Haupt- und Ehrenamtliche aus der Landeskirche kamen am 4. Mai in Reutlingen zusammen, um Ideen für die Zukunft der Kirche zu diskutieren. Dabei haben die Teilnehmenden auch acht Empfehlungen für die weitere Entwicklung erarbeitet.

      Mehr erfahren
    • Datum: 04.05.2024

      1.000 Menschen feiern Fest der Innovation

      Rund 1.000 Haupt- und Ehrenamtliche aus allen Regionen der württembergischen Landeskirche sind in Reutlingen zusammengekommen, um ihre Ideen für die Zukunft der Kirche zu präsentieren, zu diskutieren und um sich von den Ideen anderer inspirieren zu lassen.

      Mehr erfahren
    • Datum: 04.05.2024

      „Gott provoziert Veränderungen und begleitet sie“

      Die Kirchengemeinden hätten viel Gestaltungsspielraum, sagte Anna-Nicole Heinrich (Präses der 13. Synode der EKD) auf dem Innovationstag der Evangelischen Landeskirche in Reutlingen, und ermutigte dazu, ihn zu nutzen.

      Mehr erfahren
    • Datum: 04.05.2024

      Kira Geiss: „Kirche ist für mich Lebensfreude"

      Beim Innovationstag der Landeskirche trafen sich Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und Kira Geiss, Miss Germany 2023 und christliche Influencerin, um über ihre Erfahrungen mit Innovation in der Kirche zu sprechen.

      Mehr erfahren
    • Datum: 04.05.2024

      „One size fits all funktioniert nicht mehr“

      Dr. Klaus Douglass, Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) betonte auf dem Innovationstag der Landeskirche, Kirche müsse sich von innen heraus erneuern. Es gebe auch zahlreiche Belege für Erneuerung in der Bibel.

      Mehr erfahren
    • Datum: 04.05.2024

      „Hoffnung macht mir die Kirche, die nah bei den Menschen ist“

      Beim Innovationstag der Landeskirche tauschen sich rund 1.000 ehren- und hauptamtliche Teilnehmende über Innovationsideen und -projekte aus und lassen sich in Workshops und Vorträgen inspirieren. Hier finden Sie das Eröffnungsgrußwort von Landesbischof Gohl im Volltext.

      Mehr erfahren
    Mehr laden