| Gesellschaft

„Spontane Zusammenkünfte haben abgenommen“

#hoffnungsvoll, Folge 3: Studentin Jessica Eischer berichtet, wie sehr die Corona-Pandemie ihr Leben verändert hat

Jessica Eischer studiert an der Universität Tübingen im Master „Schulforschung und Schulentwicklung“. Seit diesem Semester wohnt die Religionspädagogin in einer von fünf WGs für Studierende der Tübinger Studierendengemeinde und engagiert sich dort. Wie war Corona für sie?

Jessica Eischer ist Studentin in Tübingen und in der Evangelischen Hochschulgemeinde aktiv.privat

Wie läuft dein Alltag ab: Was ist anders?

Ich lebe mit drei anderen in einer ESG-WG. Unser Leben läuft sehr gemeinschaftlich ab, und das schätze ich sehr. Denn wir haben zwar mehr und mehr gelernt, mit der Pandemie zu leben. Aber Corona hat ein sehr großes soziales Defizit verursacht.

Ich habe mich kirchlich schon immer engagiert: In meinem Heimatdekanat Windsbach (Bayern) war ich in der Jugendarbeit aktiv, seitdem ich 14 oder 15 war. Mit dem Studium in Nürnberg wurde das zwar weniger, aber ich wurde trotzdem immer noch spontan gefragt, ob ich zum Beispiel bei einem Jugendleitungskurs-Wochenende kochen kann. Das waren Gemeinschaftsaktionen, die spontan entstanden sind.

Mit der Corona-Pandemie hat sich das schlagartig verändert. Diese ganzen Veranstaltungen fanden nicht mehr statt. Am Anfang habe ich gar nicht so sehr bemerkt, was sich verändert, und gedacht, das sei nur kurzfristig. Aber rückblickend auf die letzten zwei Jahre merke ich, wie sehr spontane Zusammenkünfte und regelmäßiges soziales kirchliches Leben abgenommen haben.

Ich habe auch bei Zeltlagern und Jugendgottesdiensten mitgemacht. In meiner Heimatgemeinde Petersaurach habe ich im Januar immer einen Abend zur Jahreslosung für die Frauenarbeit gehalten. Am Anfang war es deshalb okay, dass es mal ruhiger wurde. Aber dann hat das Soziale begonnen, zu fehlen, die Begegnungsorte und der Austausch. Die Orte, an denen man sich trifft, wurden weniger.

Deshalb habe ich mich aufs Masterstudium gefreut, um neue Leute kennenlernen. Innerhalb der ESG zu wohnen, gibt einem gleich ein Gemeinschaftsgefühl. Man lernt schnell neue Leute kennen und praktiziert zusammen Glauben. Aber auch wir in der ESG merken, dass manches einfach nicht geht. Wir veranstalten am Donnerstagabend immer eine Andacht. Die können wir weiterhin feiern: mal ohne Singen, mal mit Maske. Aber nach der Andacht gibt es ein gemeinschaftliches Essen und ein Programm, das von Studierenden vorbereitet wurde und durchgeführt wird. Bei dem Programm mussten wir immer auf 2G plus achten und darauf, dass nicht zu viele Personen teilnehmen.

Das Zeltlager, bei dem ich mitmache, hat immer an Pfingsten stattgefunden. Ich bin im Leitungsteam. Wir hoffen, dass wir in diesem Jahr wieder etwas veranstalten können – und dass wir die Ehrenamtlichen wieder zusammenbringen. Das könnte schwierig werden, weil es jetzt schon zwei Mal ausfallen musste: Ich finde es wichtig, dass man immer wieder zusammenkommt, damit sich Menschen engagieren. Wenn die Gruppendynamik und die Begeisterung stimmen, bekommt man die Dinge hin, aber wenn man sich sehr selten oder gar nicht sieht, geht die Freude, sich zu engagieren, mehr und mehr weg. Das ist wie bei einem Feuer. Wenn man zusammen ist, lodert es auf, aber wenn sich keiner um das Feuer kümmert, wird es schwächer, und auch die Glut ist irgendwann weg.

Das fehlt mir:

Manches hat sich schon wieder relativiert. Es ist wieder möglich, Kultur zu erleben und an Begegnungsorte zu gehen. Aber bei vielen Menschen bleiben noch Ängste. Ich sehe zwar die Verantwortung, die ich habe. Aber ich habe auch eine Verantwortung in Hinblick auf das menschliche Grundbedürfnis Nähe und Soziales. Zwischen beidem will ich eine gute Balance finden.

Manchmal fehlt mir die ungezwungene Lebensfreude ohne diese Angst im Hintergrund. Gerade erfährt man häufig, dass eine Person, die man getroffen hat, Kontaktperson ist oder selbst Corona hat. Das erzeugt Ängste, aber auch Frust, weil man sich nicht mehr zurücknehmen will, weil man schon genug Quarantänen oder Lockdowns erlebt hat. Ich spüre bei mir sehr stark ein Bedürfnis nach Begegnung, Austausch und Nähe.

Wenn ich das Wort „Nähe“ höre, dann denke ich daran, dass…

… es für jede Person wichtig und erfüllend ist, Nähe zu spüren. Nähe ist Begegnung. Es gibt oberflächliche Begegnungen. Aber jede und jeder hat auch das Bedürfnis, tiefgründige oder echte Begegnungen zu erfahren, wo man sich öffnen kann, keine Angst haben muss und über das, was einen im Inneren bewegt, sprechen kann.

Das war ein Lichtblick:

Ich habe im Schuljahr 2020/2021 an einer Montessori-Grundschule in Ansbach gearbeitet. Das Schuljahr war geprägt von Corona und die Arbeit sehr anstrengend. Gefühlt alle zwei Wochen gab es neue Regeln. In den Ferien habe ich mich immer mit einer sehr guten Freundin aus meinem Religionspädagogik-Studium getroffen. In der Zeit durfte man ja häufig nur einen Haushalt sehen.  Das Sozialleben war sehr reduziert. Das war so eine tolle Zeit, weil es plötzlich so besonders war, sich zu treffen. Es war nicht nur ein „Endlich haben wir Urlaub und sehen uns“, sondern die Welt um uns herum war so anders, unberechenbar und ungewiss und trotzdem gab es unsere Freundschaft und die war stabil. Das hat uns beiden in dieser Zeit Halt gegeben.

Gab es noch mehr schöne Erfahrungen?

Eine andere schöne Corona-Erfahrung habe ich gemacht, als ich zu einem Freund nach Frankreich gefahren bin und nicht wusste, dass die Ländergrenzen wirklich schließen. Auf dem Rückweg bin ich nicht mehr zurückgekommen. Es sind keine Züge über die Grenze gefahren, ich konnte kein Auto mieten und Mitfahrgelegenheiten gab es auch nicht. Es ging nichts. Ich war für zwei Monate in Frankreich „eingesperrt“. Das war mit einem Koffer, der für drei oder vier Tage gepackt war, ein Abenteuer. Und es war eine Selbsterfahrung, weil in Frankreich extreme Regeln galten, wie, dass man sich nur einen Kilometer um seinen Wohnort herum aufhalten durfte. Ich hatte wenig Platz, es gab keine Waschmaschine: Ich habe gemerkt, was ich wirklich brauche. Und dass ich es auch hinbekomme, wenn ich nicht ständig im Schwimmbad bin, zum Tanzen oder in Vereine gehe. Aber ich musste auch schauen, wie ich zurechtkomme. Es war ein komplett verändertes Leben.

Das habe ich gelernt:

Ich tanze sehr gerne und habe während der Pandemie eine Tanzgruppe gegründet. Weil wir uns mehrere Monate nicht treffen durften, haben wir uns zum Tanzen über Video verabredet. Es war schön, wie wir über Zoom gemeinsam die Choreografien wiederholen konnten, auch wenn die Kamera manchmal zeitverzögert war. Wir waren miteinander verbunden. Die Tänze waren wie eine Sprache, die wir gemeinsam sprechen. Für mich war und ist das Tanzen wie ein Gebet, das einen zur Ruhe kommen lässt, weil man Verinnerlichtes nach außen bringt. Auch beim Tanzen drückt man sich aus und äußert Emotionen.

Schöne Erinnerung an vor Corona:

Anfang 2019 bei einem Jugendleitungsgrundkurs: Eine andere Leiterin und ich haben in der Küche immer Disney-Musik gehört. Als eine Gruppe von Teenager-Mädchen beim Abspülen geholfen hat, haben wir aus vollem Herzen den Soundtrack zu dem Film „Frozen 2“ gesungen und mit dem Schaum aus den Waschbecken so getan, als würden wir Schnee wegpusten. Abends haben wir immer eine Highlights-Runde gemacht und viele der Mädchen haben erzählt, dass dieser Moment beim Abspülen ihr Tageshighlight war. Die Zeit in der Küche war wie eine Showbühne für uns alle. Das hat mich erfüllt.

Ich hoffe, dass …

… es im kommenden Sommer und in Zukunft mehr Möglichkeiten für echte Begegnungen gibt – im kirchlichen Rahmen, aber auch im kulturellen Rahmen –, aus denen spontan etwas richtig Erfüllendes erwächst, sodass jeder den Raum am Abend mit einem Lächeln im Gesicht verlässt und sich über die Begegnungen, die man erfahren hat, freut.


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