| Landeskirche

Wir wollen nicht nur Suppenküche sein

Rainer Scheufele spricht über Vesperkirchen in Corona-Zeiten

Stuttgart. Jetzt beginnt sie wieder, die Vesperkirchensaison. In Zeiten der Pandemie eine große Herausforderung für die Organisatoren und die weit überwiegend ehrenamtlich Mitarbeitenden. Elk-wue.de sprach mit Rainer Scheufele vom Diakonischen Werk in Württemberg über das, was vor Ort möglich ist – und was nicht. Über Unsicherheit, Frustration, großes Engagement und neue kreative Ansätze.

„Essen to go" hieß es schon bei der Stuttgarter Vesperkirche im Frühjahr aufgrund der Pandemie-Bedingungen. Monika Johna / Stuttgarter Vesperkirche

Sie sind Ansprechpartner für die Vesperkirchen in Württemberg. Wie ist die Stimmung vor Ort? 

Die Stimmung ist bei vielen Gemeinden etwas deprimiert. Die Mitarbeitenden vor Ort sind unsicher, welche Regelungen denn gelten, wenn die Vesperkirche bei ihnen beginnt. Sie sind unsicher, wie sie die vielen Ehrenamtlichen und Gäste am besten schützen können und wie sie die Idee des gemeinsamen Tisches retten können. Wir wollen ja nicht nur eine Suppenküche sein. Wir wollen, dass Menschen zusammenkommen und Gemeinschaft erfahren, die sonst nicht die Gelegenheit dazu haben. Trotz dieser großen Unsicherheit und deprimierenden Stimmung erlebe ich die Engagierten vor Ort als ungeheuer kreativ. Sie wollen unbedingt die Idee der Vesperkirche retten und für die Menschen da sein, die wenig Geld haben und oft einsam sind. 

In neun Orten, in denen es bisher Vesperkirchen gab, wird es diese Mal keine geben können. An was scheitert es?

Das scheitert teilweise daran, dass viele Ehrenamtliche schon aufgrund ihres Alters zu den Risikopersonen zählen. Manche wollen selber kein Infektionsrisiko eingehen. Und die Verantwortlichen vor Ort wollen natürlich auch niemanden gefährden. Hinzu kommt, dass häufig passende Räume fehlen, in denen wir etwa die Abstands- und Lüftungsregelungen einhalten könnten. Manchmal scheitert es auch daran, dass sich viele schwer vorstellen können, wie sie etwa Essensausgaben im Schichtbetrieb organisieren sollen. Einige Vesperkirchen haben sich deswegen ein Anmeldesystem überlegt. Andere können sich nicht vorstellen, dass unsere Zielgruppe sich darauf einlässt. Und schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass die Vesperkirchenarbeit vor allem von Ehrenamtlichen getragen wird. Und für die ist das ganz schön viel, was da an neuen Herausforderungen und Unwägbarkeiten zu bewältigen ist. 

Rainer Scheufele vom Diakonischen Werk in Württemberg ist Ansprechpartner für Vesperkirchen. Er spricht von neuen, kreativen Ansätzen in Zeiten der Pandemie.privat

Was heißt das für die Vesperkirchengäste?

Also für Leute mit wenig Geld und Wohnungslose fällt echt was weg. Das gilt auch für einsame Menschen, eine Gruppe, deren Anteil unter unseren Gästen in den vergangenen Jahren immer größer wurde. 

Wie wirkt sich das auf die Mitarbeitenden aus? 

Da macht sich eine große Frustration und Traurigkeit breit. Wir dürfen nicht vergessen: Unter ihnen sind ja auch Gäste, die gleichzeitig mitarbeiten und dadurch Anerkennung und Bestätigung erfahren. Sie alle haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie gut das allen Seiten tut, wenn sich Menschen mit sehr unterschiedlicher Herkunft, Prägung und Möglichkeiten treffen und Gemeinschaft erleben. Als positiv erfahre ich, dass die Pandemie dazu beiträgt, dass viele darüber nachdenken, welchen Stellenwert die Vesperkirchen für die Kirche haben und wie sie dieses Angebot weiter entwickeln können.  

„Wir können doch einem Wohnungslosen auch nicht sagen: Bitte bleibe daheim. 

Rainer Scheufele

In anderen Kirchenbezirken hofft man noch, plant und organisiert. Was beobachten Sie dort? 

Derzeit sieht es noch danach aus, dass 25 der ehemals 34 Vesperkirchen stattfinden können. Dafür bin ich sehr dankbar und habe großen Respekt vor dieser Leistung. Dort plant und organisiert man viel und ist im engen Austausch mit den Gesundheits- und Ordnungsämtern. Die Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Das macht es so schwierig. Aber wir wollen, dass so viele Vesperkirchen wie nur möglich stattfinden. Wir können doch einem Wohnungslosen auch nicht sagen: Bitte bleibe daheim. 

Was beeindruckt Sie am meisten? 

Davon, wie sich die Leute vor Ort engagieren, bin ich echt beeindruckt. Wie die mit den Ämtern nach Ideen suchen, um wenigstens irgendetwas möglich zu machen. Das führt bisweilen zu neuen, kreativen Ansätzen. Etwa Restaurants mit einzubeziehen, die Vesperkirchen an einem öffentlichen Ort im Freien stattfinden zu lassen oder zu einer „Vesperkirche zuhause“ einzuladen. 

Wie kann man sich das vorstellen? 

Das ist die Idee, dass Gemeindemitglieder Leute zu sich nach Hause einladen. Da kann dann ein Verwandter zu Gast sein, den man schon lange nicht mehr gesehen hat oder eine einsame Nachbarin. Oder man kann sich über die Website der Vesperkirche einen Gast vermitteln lassen. Dazu gibt es dann einem Impuls, den der Gastgeber über die Vesperkirche bekommen kann, wenn er dies möchte. Ob das unter Corona-Bedingungen möglich wird, ist derzeit natürlich fraglich. Aber unabhängig von Corona ist das eine kreative Erweiterung der ursprünglichen Vesperkirchenidee. 

So voll darf in dieser Saison keine Vesperkirche sein. Im Gegenteil. Manche müssen sogar ausfallen.Monika Johna

Worüber machen Sie sich die meisten Sorgen? 

Das sind die zwei Sorgen, die sich alle machen. Wir wollen unsere Gäste nicht mit nichts dastehen lassen. Und wir wollen weder die Gäste noch die Mitarbeitenden einem Infektionsrisiko aussetzen. Das treibt uns wirklich um. 

Was muss geschehen, damit Sie Ende März sagen können: Wir haben das gut hinbekommen? 

Wir wollen umsetzen, was geht. Und wenn es nur das Minimalversprechen ist, Essen zu verteilen, kleine Impulse zu setzen und zu Gottesdiensten einzuladen. Wir wollen, dass sich die Menschen wahrgenommen fühlen, die sonst nicht wahrgenommen werden. Wenn das gelingt, ist das vielleicht auch ein Signal an die Politik: Vergesst die nicht, die ohnehin wenig haben. 


download

Info: 151 KB | PDF
02.07.2021

Übersichtstabelle der Vesperkirchen in Baden-Württemberg 2020/2021


Stephan Braun



Kirchensteuer wirkt!

Mehr News

  • Datum: 20.09.2024

    Weltkindertag – was Kinder in der Kirche erfahren

    Am 20. September feiern wir den Weltkindertag, der auf die Bedürfnisse und Rechte von Kindern aufmerksam macht. Gemeinschaft, Verantwortung, leistungsfreier Raum – Markus Grapke, Landespfarrer für Kindergottesdienst, erklärt, wie Kinder von kirchlichen Angeboten profitieren.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.09.2024

    Erste Ritualagentur in der Landeskirche

    Stuttgart hat als erster Kirchenbezirk der Landeskirche eine Ritual-Agentur ins Leben gerufen. Dies ist eine zentrale Stelle, an die sich wenden kann, wer eine Taufe, Trauung oder kirchliche Bestattung sucht, aber keine Verbindung zu einer Kirchengemeinde hat.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.09.2024

    Hilfe für Betroffene des Hochwassers in Osteuropa

    Nach tagelangen Regenfällen ist besonders die Grenzregion zwischen Polen und Tschechien von starkem Hochwasser betroffen. Das Gustav-Adolf-Werk Württemberg (GAW) und die Diakonie Katastrophenhilfe haben bereits erste Hilfsmaßnahmen getroffen und bitten um Spenden.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.09.2024

    Theologisch in Schule und Gemeinde arbeiten

    Schülerinnen und Schüler, die die Theologie zu ihrem Beruf machen möchten, können sich am 16. und 17. November bei einer Infotagung im Evangelischen Stift Tübingen über das Theologiestudium und weitere Berufsmöglichkeiten mit Evangelischer Theologie informieren.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.09.2024

    25 Jahre Ethikkomitee im Diakonie-Klinikum Stuttgart

    Seit 1999 berät das Ethikkomitee des Diakonie-Klinikums, der Evangelischen Diakonissenanstalt und der DIAK Altenhilfe Mitarbeitende, Patientinnen und Patienten und Angehörige bei schwierigen Entscheidungen. Hier finden Sie das Grußwort zum Jubiläum von Landesbischof Gohl.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.09.2024

    Zum Tod von Dr. Hartmut Metzger

    Am 10. September ist der württembergische Theologe Dr. Hartmut Metzger im Alter von 92 Jahren verstorben. Dr. Jochen Maurer, landeskirchlicher Pfarrer für das Gespräch zwischen Christen und Juden, würdigt hier Metzgers Verdienste um das christliche-jüdische Verhältnis.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.09.2024

    Erster Stuttgarter Roller-Gottesdienst

    Am 14. September fand der erste Roller-Gottesdienst in Stuttgart statt. Wie rollerfahrende Pfarrerin Vinh An Vu von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Hedelfingen-Rohracker-Frauenkopf auf die Idee kam und wie der Roller-Gottesdienst ablief erfahren Sie hier.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.09.2024

    Erzähl mir vom Frieden

    Anlässlich der 44. Ökumenischen Friedensdekade werden alltägliche Geschichten vom Frieden gesammelt. Dazu sind Online-Veröffentlichungen, eine Sammlung und musikalische Lesungen in Planung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.09.2024

    100 Jahre Württembergische Kirchenverfassung

    Der Verein für Württembergische Kirchengeschichte lädt am 11. Oktober zu einer Tagung anlässlich des 100. Jahrestages der Württembergischen Kirchenverfassung ein. Dabei geht es auch um Verfassungen anderer Landeskirchen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.09.2024

    Oberkirchenrat Dr. Fabian Peters ins Amt eingeführt

    Der neue Leiter des Dezernats für Finanzmanagement und Informationstechnologie, Oberkirchenrat Dr. Fabian Peters, ist in einem Festgottesdienst am 16. September in seine neue Aufgabe im Oberkirchenrat eingeführt worden. Hier erfahren Sie mehr über Dr. Fabian Peters.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.09.2024

    25 Jahre Evangelisches Medienhaus

    Mit einem Tag der offenen Tür hat die Evangelisches Medienhaus GmbH in Stuttgart ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert und Rückschau sowie Ausblick auf die kommenden Jahre gehalten. Das Medienhaus bietet eine Vielzahl von Medien und Dienstleistungen an.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.09.2024

    Oberkirchenrat Dr. Jörg Schneider ins Amt eingeführt

    Oberkirchenrat Dr. Jörg Schneider ist am 16. September in einem Festgottesdienst in seine neue Aufgabe als Leiter des Dezernats für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im Oberkirchenrat eingeführt worden. Hier lesen Sie mehr über Dr. Jörg Schneider.

    Mehr erfahren
Mehr laden