Friedenspädagogik in der württembergischen Landeskirche
Seit zwei Jahren gibt es die Projektstelle Friedenspädagogik der Landeskirche. Was sind die Aufgaben? Welche Themen stehen derzeit im Vordergrund? Und wie beeinflusst der erstarkende Rechtspopulismus die Arbeit? Ute Dilg hat mit den beiden Friedenspädagogen Johannes Neudeck und Hannah Geiger gesprochen.
„Jeder Gottesdienst kann und soll zum Frieden bilden.“ heißt es einer Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Frieden. Wie muss man sich das vorstellen? Johannes Neudeck: Friede ist der Kern der christlichen Botschaft. Schon in der Weihnachtsgeschichte heißt es: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden. Insofern ist die Feier des Gottesdienstes immer in Bezug zum Frieden zu sehen. Nicht umsonst beziehen wir in die Fürbitte auch immer die Menschen mit ein, die sich in Krisensituationen befinden. Und auch im Segen ist der Friedensgruß enthalten.
Was bedeutet Friedenspädagogik in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg? Neudeck: Es gibt seit den 1950er Jahren das Pfarramt für Friedensarbeit in der württembergischen Landeskirche. An Anfang lag der Schwerpunkt auf der Begleitung von Kriegsdienstverweigerern. Heute sind die friedensethischen Themen natürlich viel weiter gefasst. Vor zwei Jahren hat man dann die Projektstelle für Friedenspädagogik eingerichtet und im Pädagogisch-theologischen Zentrum angesiedelt. Frau Geiger und ich sollen die Friedensarbeit im Bereich der Pädagogik weiterentwickeln.
Hannah Geiger: Friedenspädagogik bedeutet für uns nun ganz praktisch, dass wir im Rahmen der Bildungsarbeit der Landeskirche uns Gedanken darüber machen, wie wir Schritte zu mehr Frieden und Gerechtigkeit gehen können.
Wie sehen diese Schritte aus? Neudeck: Eine unserer Aufgaben ist es, friedenspädagogisches Material für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, die Pfarrerschaft und alle weiteren Interessierten zu entwickeln. Wir greifen hier wichtige Themen wie Inklusion, interreligiöse Begegnung und Flucht auf und bearbeiten diese aus friedenspädagogischer Sicht. Mir ist außerdem besonders wichtig, Initiativen für den Frieden sichtbar zu machen, die es schon gibt, sie zu motivieren und weiterzubilden. Und wir arbeiten eng mit anderen kirchlichen und staatlichen Stellen zusammen, die sich im gleichen Themenfeld bewegen. Also etwa mit dem Pfarramt für Friedensarbeit und der Servicestelle Friedensbildung in Baden-Württemberg. Ich nehme hier im Südwesten eine Aufbruchsstimmung wahr, vor allem seit die Friedensbildung als Querschnittsthema in die staatlichen Bildungspläne integriert wurde.
Hannah Geiger teilt sich seit 1. September 2018 die Projektstelle für Friedenspädagogik mit dem Theologen und Friedenspädagogen Johannes Neudeck (56). Die 25-Jährige Erzieherin und Religionspädagogin arbeitet zudem als Religionslehrerin an einem Berufskolleg in Kirchheim unter Teck.
Was müsste denn passieren, dass die Welt friedlicher wird? Geiger: Eine Welt wird nicht dadurch friedlicher, dass es keinen Krieg mehr gibt. Es geht vielmehr darum, den Alltag friedlicher zu machen. Frieden kann erst dann werden, wenn jeder in seiner Person anerkannt wird, wenn alle Menschen gleichberechtigt sind, sie Chancen haben, ihr Leben selbst zu gestalten, wenn sie würdig behandelt werden. Da geht es auch stark um Strukturen. Die Friedenspädagogik behandelt deshalb ein ganz breites Themenspektrum. Da geht es um Demokratie, um Gerechtigkeit, um Gewaltprävention, um Gewalt in den Medien, um nachhaltige Entwicklung oder um interreligiösen Dialog.
Neudeck: Als Christ sind mir zwei weitere Aspekte noch wichtig. Zum einen wird die Welt friedlicher, wenn Vergebung geschieht. Wer sich durch Jesus Christus mit Gott versöhnt und von ihm geliebt weiß, der kann auch andere annehmen. Wir haben hier als Kirche eine besondere Verantwortung, denn dieser von Gott geschenkte Frieden ist der Kern des Evangeliums. Zum anderen muss jeder das Recht haben, seinen Glauben frei zu leben. Glaubens- und Gewissensfreiheit ist eine wichtige Voraussetzung, ja ein Barometer für Frieden in der Gesellschaft. In diese Richtung Bildungsarbeit zu betreiben, halte ich für sehr wichtig.
Inwieweit wirkt sich der erstarkende Rechtspopulismus und die Diskussion um Gewalt in Religionen auf ihre Arbeit aus? Geiger: Ich bin auch als Religionslehrerin tätig und habe zum Teil Schüler vor mir sitzen, die zum Rechtsradikalismus neigen. Da wird Friedenspädagogik ganz praktisch. Die Ereignisse in Sachsen in den letzten Wochen haben mir noch einmal gezeigt, wie wichtig diese Stelle hier ist. Viele Lehrerinnen und Lehrer und andere, die in der Bildungsarbeit tätig sind, brauchen fundiertes Material und Fortbildungen zu diesem Thema, auf das sie zurückgreifen können. Fragen nach Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit, aber auch die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus bewegen jedoch nicht nur meine Schülerinnen und Schüler. Ich denke, dass Friedens- und Versöhnungsarbeit an vielen Stellen nötig ist.
Heute ist Weltfriedenstag. In ganz Europa und auch in vielen Gemeinden der württembergischen Landeskirche läuten dazu die Glocken. Es gibt Friedensandachten auch im Gedenken an die Opfer des Ersten Weltkriegs, der vor hundert Jahren zu Ende ging. Was halten Sie von solchen Aktionen? Neudeck: Es ist wichtig, solche Tage und Anlässe zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf das Thema Frieden zu lenken. Ich denke, dass hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ein solches Friedensgebet, ein Innehalten mit dazugehörigem Läuten eine richtige und wichtige Sache ist.
Die Projektstelle für Friedenspädagogik wurde 2016 von der Württembergischen Landessynode eingerichtet. Sie soll in Zusammenarbeit mit dem Pfarramt für Friedensarbeit den christlichen Friedensauftrag in Kirche und Gesellschaft einbringen, indem sie das interkulturelle und interreligiöse Miteinander und die Gewaltprävention in Kirche und Gesellschaft fördert, zu praktischen Schritten motiviert sowie friedenstheologische und friedensethische Impulse setzt.
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