| Landeskirche

Die Zukunft des Kindergottesdienstes

Interview Kindergottesdienst-Pfarrer Markus Grapke

Pfarrer Markus Grapke bemüht sich als Kindergottesdienst-Beauftragter der württembergischen Landeskirche intensiv um die Weiterentwicklung dieser wichtigen Gottesdienstform und arbeitet auch im Haus der Kinderkirche in Schloss Beilstein mit, etwa indem er Kurse für Kindergottesdienst-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter gibt. Im folgenden Interview berichtet er von Auf- und Abbrüchen und davon, was Familien gerade von Kirche und Kinder­kirche brauchten. Mit großer Leidenschaft spricht er darüber, warum er eine diskri­minierungssensible Kinderkircharbeit für essentiell hält und welche Bibelgeschichte er heute vielleicht etwas anders erzählen würde. Das Interview erschien zunächst in der Zeitschrift Arbeit + Besinnung 20/2023.

Markus Grapke, Landespfarrer für KindergottesdienstBild: Marie-Luise Schächtele

Markus Grapke, Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr Kindergottes­dienstpfarrer. Wie oft hat man als Kindergottesdienstpfarrer Zeit, selbst Kindergottesdienst zu feiern?

Markus Grapke: Das Schöne ist, dass ich immer mal wieder eingeladen werde, oft natürlich zu ganz besonderen Festtagen. Ich habe nicht die eine Gemeinde, an der ich immer mit bestimmten Kindern Kindergottes­dienst feiere, sondern ich kann immer wieder mit ganz unterschiedlichen Kindern in Kontakt kommen. Meistens sind das Familien­gottesdienste oder besondere Anlässe, zu denen ich eingeladen werde. Aber ich bin natürlich offen für Einladungen von Kinderkirchgruppen, die sagen: „Komm doch mal zu uns in den klassi­schen Kindergottesdienst und gestalte den mit uns.“

„Der Kindergottesdienst ist ein vollwer­tiger Gottesdienst“

Weckt die Sprache vom Kinder­gottesdienst eigentlich nicht den Eindruck, dass es einen „richtigen, normalen“ Gottesdienst gibt und dane­ben noch den Sonderfall Kindergot­tesdienst, ähnlich wie man lange vom Fußball und Frauenfußball sprach?

Grapke: Also ich habe noch nie vom Hauptgottesdienst gesprochen, auch nicht, bevor ich Landeskindergottes­dienstpfarrer war. Den gibt es nämlich nicht, diesen Hauptgottesdienst. Unse­re Gottesdienste sind alle irgendwo milieu­orientierte, ziel­gruppenspezifische Gottesdienste, auch die traditionellen. Der Kindergottesdienst ist ein vollwer­tiger Gottesdienst, den wir an den Kindern, an ihrem Verstehenshorizont und ihren Bedürfnissen ausrichten. Ich rede darum nie von „Gottesdienst und Kindergottesdienst“, sondern immer vom Erwachsenengottesdienst oder traditionellen Gottesdienst und Kindergottesdienst.

Was ist das Spezifische am Ziel­gruppengottesdienst für Kinder? Was für Elemente dürfen da nicht fehlen?

Grapke: Da gehört natürlich vieles dazu: singen, Geschichte hören und erleben, aber natürlich auch sich Gott zuzuwen­den im Gebet. Letztendlich sind das alles Elemente, die es auch in anderen Gottesdiensten gibt, aber in unter­schiedlichen Formen. Das, was man vielleicht als klassische Predigt kennt, ist eben die Erzählung im Kindergottes­dienst. Wobei ich auch immer wieder sage: eine gute Predigt für Erwachsene ist immer auch eine erzählende Predigt, weil sie etwas von der biblischen Tradition mit unserem heutigen Erleben verbindet.

Ich will nicht abstrakt wissen, was Liebe ist, sondern ich will Geschichten hören, wie Menschen sich einander zuwen­den und wie Gott sich uns zuwendet. Und das muss ich erzählen. Und genau das hat Jesus ja auch getan. Indem er Gleichnis­se erzählt hat. Und dann Rückfragen gestellt wurden oder er Dinge auch demonstriert und gezeigt hat.

Während der Pandemie gab es ja in der Gottesdienst- und Gemeinde­landschaft eine Digitalisierungswelle. Inwiefern war da auch die Kinder­kircharbeit betroffen? Haben sich da Formate entwickelt?

Grapke: Ja, und die sind alle wieder eingeschlafen. Ich weiß nur von einer Kirchengemeinde, die nach wie vor immer mal wieder ergänzend zum prä­sentischen Kindergottesdienst digitale Formate anbietet. Die Jugendreferentin einer sehr aktiven Kirchengemeinde hat mir mal ausgerechnet, wie viel Arbeitszeit da in einem 25-Minuten- Film gesteckt hat, den sie in der Pan­demie anstatt eines Kindergottesdienst produziert haben. Das waren über 40 Arbeitsstunden von verschiedenen Ehrenamtlichen.

Jetzt, wo der Alltag wieder angefan­gen hat, haben die oft keine Zeit mehr dafür. Das heißt, man müsste jetzt im Prinzip zwei Leute einstellen in der Kirchengemeinde, um weiterhin solche aufwendigen digitalen Formate pro­duzieren zu können. Andererseits sind auch die Erwartungen an die Qualität von Filmen und unserer Gottesdienste unglaublich gestiegen. Viele Videos am Anfang waren so nett-handgestrickt. Die hat man vor Ort mit den Kindern, mit den Leuten vor Ort gemacht. Die Videos haben dann so 20, 30 Leute um den Kirchturm herum erreicht. Aber die Gemeinde, von der ich gerade gespro­chen habe, die da wirklich über 40 Stunden in sowas reingesteckt hat, die haben dann auch über 10.000 Menschen erreicht. Weil es eben etwas war, was nicht nur lokal interessant war.

Das ist halt richtig Arbeit mit Ins­tagram. Wir haben ja unseren Kinder­kirch-Account auf Instagram, aber ich habe diesmal unseren Grundkurs sehr wenig begleitet, weil ja immer die Frage ist: Wer will sich zei­gen? Bei unserer letzten Singwoche z. B. waren einfach Familien dabei, die gesagt haben: „Wir wollen auf gar keinen Fall in den sozialen Medien gezeigt werden”. Die sind sehr vorsichtig und ängstlich und brauchen ihren Schutzraum. Das ist okay. Und gleichzeitig fragen sich viele: „Wieso gewinnen wir keine neuen Leute?“ Ja, weil wir es nicht bekannt machen. Wir können doch nur neue Leute für die Kinderkircharbeit als Mitarbeitende gewinnen, indem andere sehen, dass es Menschen Spaß macht, hier zu sein. Und da gehören die sozia­len Medien halt dazu.

„Es sollte klar sein: Das ist etwas Wertiges, Würdi­ges, so ein Kindergottesdienst“

In den meisten Gemeinden sind die Kindergottesdienst-Teams relativ aut­ark, weil der Kindergottesdienst oft parallel zum Erwachsenengottesdienst stattfindet. Wie können Pfarrerinnen und Pfarrer die Teams unterstützen?

Grapke: Präsent sein, wahrnehmen, wert­schätzen, was da an Arbeit geschieht. Und natürlich sind sie auch als theo­logische Expertinnen und Experten wichtig. Das höre ich immer wieder: Die Kinderkirchteams brauchen nie­manden, der ihnen kreative Elemente und Bastel- und Spielideen liefert, sondern jemanden, der mit ihnen Dinge theologisch durchdenkt und reflektiert. Da werden Pfarrerinnen und Pfarrer dringend gebraucht. Und das machen auch viele Kolleginnen und Kollegen.

Es gibt aber auch wirklich Teams, die sich allein und im Stich gelassen fühlen und die manchmal auch sogar um Räume kämpfen müssen. Darum, ob sie denn heute ihren gewohnten Raum überhaupt Kindergottesdienst feiern können oder ob der nicht ander­weitig vergeben ist. Und da sollte klar sein: Das ist etwas Wertiges, Würdi­ges, so ein Kindergottesdienst und da halten wir als Kirchengemeinde diesen Raum frei. Und auch: Wir berücksich­tigen die Termine und Anliegen des Kindergottesdienstes im Wochenplan und Jahresablauf unserer Kirchenge­meinde. Wir schätzen das Team vom Kindergottesdenst als Mitarbeitende unserer Kirchengemeinde und halten den Kontakt.

Gibt es Kinderkirchfortbildungen für Pfarrerinnen und Pfarrer? Wo man lernen kann: Wie begleite ich ein Kindergottesdienstteam?

Grapke: Das haben wir noch nicht über­legt. Es gibt einzelne Fortbildungen, die sich besonders an Pfarrer und Pfarrerinnen wenden, zum Beispiel die Erzählausbildung. Aber die hat eine bestimmte Methode. Dieses strategische Einbinden, wie mache ich das eigent­lich, so ein Team zu begleiten, das wäre sicher etwas, was man in Zukunft noch mal stärker bedenken muss. Besonders, weil wir als Pfarrerinnen und Pfarrer immer weniger in der Lage sein wer­den, alles selber zu tun. Sondern wir werden immer mehr in der Begleitung der Multiplikatoren und Multiplikato­ren gefragt sein und als diejenigen, die in einer Gemeindekonzeption Dinge bündeln und theologisch verantworten.

„Der Kindergot­tesdienst wandelt sich. Die Teams, die das erkannt haben, die haben auch Zulauf“

Der Erwachsenengottesdienst scheint manchmal in der bisherigen Form ein Auslaufmodell. Gilt das auch für den Kindergottesdienst?

Grapke: Also ich denke, der Kindergot­tesdienst wandelt sich. Die Kindergot­tesdienstteams, die das erkannt haben, die haben auch Zulauf. Die machen manches - manchmal sind es nur klei­ne Dinge - ein Stück weit anders. Ein Beispiel: In manchen Kirchengemein­den tun sich die Teams richtig schwer Kinder fürs Krippenspiel zu finden. Und dann habe ich aus einer Kirchen­gemeinde mitbekommen: Die machen da eine 24-Stunden-Challenge draus mit Übernachtung im Gemeindehaus, Rollenlernen, Bühnenbild gestalten und viel Spaß. Und das wird total gut ange­nommen, weil es unter anderem auch eine Entlastung für die Eltern ist. Da muss ich nicht acht Termine freihalten für Proben, die vielleicht eine Dreivier­telstunde dauern und mit den Kindern dann daheim die Texte lernen und so.

Das ist natürlich kein Rezept, das überall funktioniert. Aber neben solchen innovativen Formaten ist es einfach wichtig, in Beziehung zu sein, mit Kindern und Familien. Dort, wo Kinderkirchen eingeschlafen sind und es einfach kei­nen Kontakt zu Familien gibt, da ist es extrem schwierig etwas aufzubauen. Trotzdem kann auch das funktio­nieren. Die einen machen Frühstücks­aktionen oder verschicken Karten, denen etwas beiliegt, und das passende Gegenstück gibt’s dann bei der Kinder­kirche. Andere werben an Schulen oder Kindergärten und suchen aktiv den Kontakt zu den Kindern.

Neben den klassischen Kinderkirchen am Sonntagmorgen werden auch Aktio­nen wichtiger. Es gibt Kinderkirchteams, die sind umgestiegen. Da gibt es nicht mehr den wöchentlichen Kindergottes­dienst, sondern Kinderkirche als Aktion. In einer Kirchengemeinde ist die Kinder­kirche zur Marktzeit, weil man einfach weiß: Viele Elternfamilien gehen zum Markt und das wäre dann eine günstige Gelegenheit, deren Kinder währenddes­sen zu betreuen.

„Gemeinden müssen versu­chen, Brücken zu bauen“

Aus Ihrer Antwort wird klar: Wer Kinderkirch-Angebote macht, muss die Familie mitdenken. Auf der Sommersynode 2023 wurde die Familienstudie der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg vorgestellt und diskutiert. (mehr dazu). Welche Ergebnisse waren für Ihre Arbeit spannend?

Grapke: In der Studie wurde ja gefragt: Was erwarten Familien von Kirche? Was brauchen sie von Kirche? Und wie erleben sie de facto Kirche? Mich haben die Ergebnisse eigentlich nicht überrascht. Es hat bestätigt, was ich immer wieder vermutet habe und was mir manche auch in der Kirche nicht geglaubt haben. Also, dass Angebo­te der Kirche dann einen Mehrwert für Familien haben, wenn sie keinen zusätzlichen Aufwand bedeuten. Es muss einerseits niederschwellig sein und es muss andererseits eine Entlas­tungsfunktion haben.

Als Gemeindepfarrer habe ich das bei Konfi-3 erlebt. Das hat sich echt so ein bisschen gewandelt. Als Konfi-3 konzipiert wurde, wollte man ja ganz bewusst die Eltern einbeziehen. Aber die haben dann zunehmend zurückge­meldet: Das ist uns einfach zu viel. Wir kriegen das in unserem Alltag gar nicht unter. Und das kann sich Kirche doch nicht leisten. Zu sagen, wir bleiben bei unse­rem alten Modell und dann sagen die Fami­lien: Für uns ist das zu viel - und kommen im Zweifel nicht mehr.

Und daneben zeigt diese Familien­studie auch, wie erschöpft und belastet Familien sind. In vielerlei Hinsicht. Das hat etwas mit Geschlechterrollen, mit Aushandlungsprozessen zwischen Eltern und Paaren zu tun. Das hat etwas auch mit Erwartungen natürlich von Gesellschaft zu tun, und damit, was es heißt „gute Mutter“ und „guter Vater“ zu sein. Und, das hat auch die Forschenden ein bisschen überrascht: Geldsorgen spielen bei vielen Familien eine große Rolle. Und auch da muss Kirche aufhorchen, weil dahinter immer die Frage steht: Was muss eine Familie finanziell mitbringen, um teilhaben zu können? Da müssen Gemeinden versu­chen, Brücken zu bauen.

„Familien wollen nicht aufgrund ihrer Lebensform diskriminiert werden“

Nicht nur Geldnöte hindern Men­schen daran, an den Angeboten der Kirche teilzunehmen. Gerade wird auch viel diskutiert, an welchen Stellen Kirche Menschen bewusst oder unbewusst ausgrenzt. Was denken Sie: Wie kann Kinderkirche dem Anspruch gerecht werden, rassismus-sensibel, gendergerecht und insgesamt diskriminierungsarm zu arbeiten? Ist das nicht eine totale Überforderung der Mitarbeitenden? Wie erleben Sie das mit den Menschen, die hier zum Grundkurs kommen?

Grapke: Das ist vielleicht auch eine Generationenfrage. Ich erlebe die junge Generation absolut aufgeschlossen. Die haben für Diskriminierungsformen in der Kirche keinerlei Verständnis. Die fragen dann: „ Wie, da kann jemand nicht angestellt werden in der Kirche, weil er nicht Mitglied ist? Oder: „Wie, Segnung von Schwulen und Lesben ist nicht problemlos möglich?“. Das kön­nen die sich nicht mal vorstellen. Da merke ich, dass sich da ein unglaubli­cher Wandel vollzogen hat.

Ich glaube, dass genau Kirche mit Kindern der Ort ist, an dem Kinder das erleben sollen, dass sie unab­hängig von jeglicher Herkunft und Orientierung willkommen sind. Und bei Orientierung meine ich auch: aus was für einem Elternhaus komme ich? Wie wird das Familiensystem, aus dem die Kindern kommen, von anderen angeschaut? Und da will ich noch­mal auf die Studie kommen, weil da genau das rauskommt: Familien wollen nicht aufgrund ihrer Lebensform, weil sie alleinerziehend, arm, geschieden, homose­xuell oder wie auch immer zusammen­leben, diskriminiert werden.

„Ausgrenzung passiert, in dem man Geschichten erzählt, die als Norma­lität gesetzt werden“

An welcher Stelle kann das denn in der Kirche, gewollt oder ungewollt, passieren, dass Kinder oder Familien sich ausge­grenzt fühlen?

Grapke: Das fängt zum Beispiel beim Erzählen von Geschichten an. Dort passiert Ausgrenzung, indem man Geschichten erzählt, die als Norma­lität gesetzt werden. Oft werden im Kindergottesdienst Rahmengeschichten erzählt, in denen dann Paula mit ihrem Bruder Michael und Mama und Papa vorkommt. Und das sind immer deut­sche weiße Kinder, die auch auf dem Spielplatz nur deutsche weiße Kinder treffen. Das ist doch nicht die Realität der Kinder, aber das bilden Geschich­ten, die wir erzählen, eben ab. Und für die Kinder ist Vielfalt spätestens ab Kindergarten absolute Normalität, die sie Tag für Tag erleben. Und eigentlich auch kein Problem.

Ich stelle darum fast überall, wo ich jetzt auch eingeladen bin, die „Alle-Kinder-Bibel“ oder unsere Unsere-allerbeste- Kinderbibel vor, um zu zeigen: Das Bild, das wir oft selbst vermittelt bekommen haben, über Kinderbibeln, über andere religiöse Literatur ist oft unglaublich einseitig. Und dass es auch anders geht. Da ergeben sich oft unglaublich gute Gespräche. Weil die Darstellungen in den Bibeln eben diverser sind, als wir das gewohnt sind. Für manche sind die Darstellungen dieser Bibeln manchmal herausfor­dernd, weil da Gedanken vorkommen, mit denen sie sich noch nie beschäftigt haben. Denen mute ich manchmal auch was zu.

Und für manche ist das ein richtiges Aufatmen. Die sagen: „Ich habe selbst ein Schwarzes Kind, das ständig Sti­cheleien und Rassismus erlebt. Für mein Kind ist es total schön, dass in diesen Bibeln auch Kinder vorkommen, die nicht nur weiß sind, sondern auch andere Hautfarben haben.“

In den Reaktionen auf die Kinder­bibeln spiegelt sich die große Vielfalt an Meinungen in unserer Landeskir­che wider. Trotzdem halte ich es für richtig, daran zu arbeiten, dass Kirche mit Kindern sensibel für Diskrimi­nierungsformen ist. Den Satz „In der Kirche mit Kindern sind alle will­kommen“ würden vermutlich fast alle unterstreichen. Ich arbeite daran, dass wirklich alle willkommen sind. Und ich frage nach den Hindernis­sen, warum viele sich nicht willkom­men fühlen.

Und, was sind die Hindernisse?

Grapke: Das sind zum Beispiel Fra­gen der Bildung und Finanzen. Ich habe erlebt, dass von der Kirche zum Ausflug eingeladen wird und davon ausgegangen wird, dass die Familien mit ihren eigenen Autos kommen und den Eintritt zahlen und Sachen für ein gemeinsames Picknick mitbringen. Ich glaube, da kommt keiner dazu, der irgendwie fremd ist oder das erste Mal dabei sein will. Da braucht man ein Auto, Geld, ein Familiensystem, das intakt ist und ich schon bestehende Kontakte, damit ich nicht völlig allein da auf der Wiese sitze. Natürlich planen das die Teams mit den besten Absichten und sagen: „Es ist jeder willkommen, jeder kann kommen“. Aber durch die Faktizität, wie sie einla­den, werden Menschen ausgeschlossen. Und da will ich Augen dafür öff­nen, dass es dann auch vielleicht ande­re Formen gibt, wie wir miteinan­der einen Ausflug gestalten können.

Zum Schluss: Welche Geschichten müssten mehr erzählt werden, und: gibt es Geschichten, die Sie so nicht mehr erzählen würden?

Grapke: Also ich finde eine ganz span­nende Beobachtung, dass gerade in den neueren beiden Kinderbibeln, die ich erwähnt habe, die Geschichte von Sarah und ihrer Sklavin Hagar sehr ausführlich erzählt wird. Die finden sich in vielen klassischen Kinderbibeln nicht. Und ich finde das eine wunder­bare Geschichte, weil in dieser Bibel­geschichte Abraham und Sarah auf einmal völlig vergessen sind. Und der Blick, der geht mit Hagar, mit der Skla­vin, mit der Rechtlosen, mit. Und hat eine Riesensympathie genau für diese Person, die da verzweifelt in der Wüste keine Perspektive mehr für ihr Leben sieht. Das finde ich eine großartige Geschichte und ich glaube, das ist nicht zufällig, dass die neuen Kinderbibeln diese Geschichte beinhalten.

Und wunderschön umgesetzt in der „Alle-Kinder-Bibel“ ist die Szene, als der Engel zu Hagar kommt. In der Alle-Kinder-Bibel ist das ein Engel mit dunkler Hautfarbe. Ich glau­be, das schafft für viele Kinder, die People of Color sind, unglaubliche Identifikationsmöglichkeiten.

„Es gibt Geschichten, die man sensibler erzählen muss“

Aber es gibt schon Geschichten, die man vielleicht auch noch mal sensibler erzählen muss. Zum Beispiel die Kindersegnung. Wo wir sagen, das ist vielleicht eine zentrale Geschichte, auch für die Kirche mit Kindern. Eine Vikarin sagte mir, dass ihr innerlich ganz eng wird, wenn sie liest: „Sie brach­ten Kinder zu Jesus, damit er sie anrührte“. Das müssen wir ernst nehmen und fragen, wie erzählen wir solche Geschichten heute? Von einem fremden Mann, der Kinder einfach so in die Armen nimmt – oder wie es in der Alle-Kinder-Bibel heißt: „Die Kinder fallen Jesus in der Arme.“ Da zieht eben nicht der fremde Mann die Kinder an sich, sondern umgekehrt, die Kinder treibt etwas zu Jesus hin. Und ich glaube, da brauchen wir in Zukunft noch viel mehr Sensibilität im Erzählen und Nachdenken und Reflektieren von Geschichten. Und da werden wir manche Geschichten auch kritischer sehen, als wir sie heute oder früher immer erzählt und gelesen haben.

Ich habe in einem Grundkurs eine Geschichte erzählt von einem Kind, das zur Kindersegnung zu spät kommt, weil es nicht laufen kann und immer auf dem Boden robbt. Und dann rennen alle Kinder schon vor. Und dann schließt sich wieder die Menge von dem Kind. Auf einmal öffnet sich für das Kind die Menge, und Jesus winkt es zu sich. Und dann kommt ein Freund her und sagt: „Wir haben Jesus erzählt, dass du noch fehlst.“ Für mich ist es eine absolut biblische Geschichte. Obwohl ich diesen Zusatz erfunden habe. Die erzählt etwas, was sein kann, was passiert sein kann. Da geht es dann nicht darum, dass das Kind auf einmal laufen kann, sondern, dass es dazu gehört und von den anderen Kindern nicht vergessen wird. Das versuche ich dann durch so eine Geschichte – ohne zu Moralisieren – zu erzählen.

Die Fragen stellte Felix Weise


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