Erstmals lief die Kircheneinigung staatlichen Strukturen voraus
Treysa. Am 27. August vor 75 Jahren begann die Kirchenkonferenz von Treysa, die auch den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gründete. Zum ersten Mal liefen die Bemühungen um eine Kircheneinigung den staatlichen Strukturen nicht hinterher, sondern voraus. Deshalb war auch nicht mehr die Rede von einer „Deutschen Evangelischen Kirche“, sondern von einer „Evangelischen Kirche in Deutschland“.
Auch die evangelische Kirche lag in Ruinen
Das öffentliche Leben im Nachkriegsdeutschland war zusammengebrochen, die Infrastruktur desolat, die Bevölkerung demoralisiert. In dieser Situation gab es außer den Kirchen keine größere Organisation, mit denen die Besatzungsmächte beim Aufbau des öffentlichen Lebens zusammenarbeiten wollten. Aber auch die evangelische Kirche lag in Ruinen. Der Kirchenkampf hatte sie zerrissen, die Bekennende Kirche war gespalten, die Kirchenleitungen der „intakten“ Landeskirchen waren teilweise kompromittiert.
Die Bruderräte um Martin Niemöller sahen sich unter Berufung auf die Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem als legitime Vertretung der Kirche. Ihnen schwebte ein völliger Neuaufbau der Kirche von den Gemeinden her vor. Auf der anderen Seite standen die lutherischen Landeskirchen um den bayerischen Bischof Hans Meiser, die möglichst bald eine einheitliche lutherische Kirche gründen wollten.
Wurm und Bodelschwingh luden nach Treysa ein
Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm und Friedrich Bodelschwingh in Bethel genossen in den unterschiedlichen Lagern der Kirche großes Ansehen. So konnten sie für den 27. August 1945 ins einigermaßen zentral gelegene, nordhessische Treysa einladen.
Wurm war daran gelegen, dass nicht vor Treysa Fakten geschaffen würden, die ein gemeinsames Vorgehen unmöglich machten. Es gelang ihm, die Bruderräte zu überzeugen, sich an der Kirchenversammlung zu beteiligen. Und durch das württembergische Veto verhinderte er auch die Gründung einer gemeinsamen lutherischen Kirche, die dann Reformierte und Unierte außen vor gelassen hätte.
Ein Kompromiss mit dauerhafter Wirkung – die Versammlung in Treysa
In Treysa selbst ging es um Theologie, um Recht, Macht und persönliche Beziehungen. Statt der etwa 50 Eingeladenen waren 120 Männer (Frauen waren nicht berücksichtigt) gekommen. Bei aller Zerrissenheit war allen doch klar, dass man zu einer Stimme finden müsste, wenn man den Herausforderungen der Gegenwart begegnen, in der Ökumene gehört werden und sich zu diakonischem Handeln befähigen wollte. Relativ problemlos gelang in Treysa dann die Gründung des Evangelischen Hilfswerks, aus dem später das Diakonische Werk hervorging.
Schwieriger war es, eine gemeinsame Organisation zu schaffen. Zum ersten Mal liefen die Bemühungen um eine Kircheneinigung den staatlichen Strukturen nicht hinterher, sondern voraus. Deshalb war auch nicht mehr die Rede von einer „Deutschen Evangelischen Kirche“, sondern von einer „Evangelischen Kirche in Deutschland“. Es wurde ein politisch und konfessionell sorgsam austarierter Rat der EKD eingesetzt.
Zu einer kritischen Betrachtung der Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus konnte man sich noch nicht durchringen, aber der in Treysa eingesetzte Rat gab schon zwei Monate später die Stuttgarter Schulderklärung ab.
Für viele war das Ergebnis der Konferenz eine Enttäuschung, für die Bruderräte ebenso wie für den Lutherrat; das liegt freilich in der Natur von Kompromissen. Anders aber war ein gemeinsames Auftreten der Evangelischen in der Situation nicht zu haben, und letztlich hat sich das in Treysa angebahnte Konstrukt im Lauf der Zeit dann doch als erstaunlich flexibel und tragfähig erwiesen.
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