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„Sich der Perspektive der Betroffenen stellen“

Erste Reaktionen zu den Ergebnissen der ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie

Stuttgart. Heute hat der unabhängige Forschungsverbund „ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit vorgestellt. Der Forschungsverbund hat in mehrjähriger Arbeit systematisch Fälle sexualisierter Gewalt in allen EKD-Gliedkirchen zusammengetragen und analysiert, auch aus dem Raum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und seinem Diakonischen Werk.

Da die württembergische Landeskirche – wie alle EKD-Gliedkirchen – erst heute zeitgleich mit der Öffentlichkeit Kenntnis von den Ergebnissen der Studie erhalten hat, kann heute nur eine erste, vorläufige Reaktion erfolgen. Eine fundierte Bewertung und Reaktion setzt die genaue Analyse der Ergebnisse durch die Kirchenleitung voraus.

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl:

Die ForuM-Studie bildet nicht den Abschluss, sondern einen wichtigen Meilenstein bei der Aufarbeitung, bei der Intervention und bei der Prävention von sexualisierter Gewalt in der Landeskirche. Wir, und damit meine ich alle, die in der Landeskirche haupt- und ehrenamtlich mitarbeiten, haben in unseren jeweiligen Positionen und Arbeitsbereichen die Aufgabe, dazu beizutragen, dass Kirche mit ihrer Diakonie ein Schutzort ist. Dazu gehört auch, dass wir klare Leitlinien haben, wie wir mit Hinweisen oder Vermutungen von sexualisierter Gewalt umgehen.

Ich bitte alle unsere Kirchenmitglieder sowie sämtliche haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden: Tragen Sie Ihren Teil dazu bei, dass bei sexualisierter Gewalt nicht weggesehen wird oder Meldungen überhört werden. Der Schutz derer, die uns in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und in der Pflege anvertraut sind, steht an oberster Stelle. Wer das Evangelium für seine ‚Täterstrategie‘ missbraucht, der zerstört Vertrauen.

Wir müssen an einer Kultur der Grenzachtung arbeiten, die auch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse thematisiert. Wenn die Landeskirche Maßnahmen der Intervention, der Aufarbeitung, wie in allen Arbeitsbereichen der Landeskirche umfassenden ForuM-Studie geschehen, und der Prävention ergreift, so tut sie das, um Menschen zu schützen und zu stärken und nicht, um Schaden von der Kirche abwenden zu wollen. Ich sehe meine Verantwortung als Landesbischof darin, den von der Landeskirche bereits seit 2010 eingeschlagenen Weg und die weiteren in der  Studie angesprochenen Empfehlungen im Bereich unserer Landeskirche konsequent voranzutreiben.  

Sabine Foth, Präsidentin der Landessynode

Betroffene Personen werden von der Landeskirche unterstützt – indem sie wahr- und ernstgenommen und gehört werden sowie in der Prozessbegleitung.

Zuallererst ist es essenziell, sich der Perspektive der betroffenen Personen zu stellen, diese ernst zu nehmen und auf ihre Hinweise zu achten. Was haben sie erlebt, wie sehen sie das Geschehene, wie können wir sie unterstützen, wie können wir sexualisierte Gewalt schneller erkennen und vor allem verhindern? Gerade dafür ist die ForuM-Studie enorm hilfreich. Wir als landeskirchliche Mitarbeitende im Haupt- und Ehrenamt sind alle gefordert, um die Tatsache der sexualisierten Gewalt in Kirche und Diakonie zu wissen und nach den Interventions- und Präventionsregeln handeln zu können. Dabei geht es nicht um eine Kultur des Generalverdachts, sondern um einen entschlossenen Einsatz gegen sexualisierte Gewalt.

Prälatin Gabriele Wulz (Ulm)

Das mutige Vorgehen von Pater Mertes im Canisiuskolleg hat im Jahr 2010 in Gesellschaft und Kirche viel in Bewegung gebracht.  

Auch wenn sich die evangelische Kirche für einige Jahre im Glauben wähnte, sexueller Missbrauch sei vor allem ein Problem der katholischen Kirche, so wissen wir inzwischen durch die vielen Gespräche in der Anlaufstelle und vor der Unabhängigen Kommission, aber auch durch das systematische Sichten der Akten, dass wir sehr viel vor unserer eigenen Türe zu kehren haben.

Mühsam (und schmerzlich für die betroffenen Personen) haben wir lernen müssen, dass sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt auch im Bereich unserer Landeskirche geschehen ist und geschieht. Vieles wurde in der Vergangenheit verdrängt oder überhört. Noch immer begegnet mir der Satz: „Bei uns gibt es das nicht.“ oder: „Wir kennen uns doch.“

Die Aufgabe der Prävention und der Intervention ist gewaltig und kann nur gelingen, wenn alle mitmachen und vor allem, wenn möglichst viele verstehen, wie manipulativ und strategisch Täter und Täterinnen vorgehen.

Wir sind uns bewusst, dass alle Maßnahmen, alle Schutz- und Präventionsmaßnahmen sexualisierte Gewalt nicht verhindern werden können. Aber wir wollen alles dafür tun, dass in ein riesiges Dunkelfeld immer mehr Licht fällt.

Auch hier sind wir auf dem Weg und werden im Frühsommer 2024 einen weiteren Fachtag haben, an dem wir kirchliches Handeln – in Gottesdienst, Seelsorge, Unterricht und im pastoralen Selbstverständnis – gemeinsam mit betroffenen Personen reflektieren und praktische Konsequenzen ziehen.

Oberkirchenrätin Prof. Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg

Mit der ForuM-Studie liegen uns detaillierte Forschungen vor, die uns helfen, noch besser zu verstehen, wie es in Diakonie und Kirche zu sexualisierter Gewalt an Menschen kommen konnte. Ich bin sehr betroffen darüber, dass in der Diakonie großes Leid und Unrecht geschehen ist. Das ist nicht entschuldbar. Hinter jedem einzelnen Fall steht ein schweres Schicksal, das Betroffene oft schwer belastet, weil ihnen unermessliches Leid zugefügt wurde. Wir müssen alles tun, aufmerksam und professionell aufgestellt sein, um die uns anvertrauten Menschen vor sexualisierter Gewalt zu schützen.

Die Studie ist ein wichtiger Baustein im Prozess der diakonischen Aufarbeitung. Sie zeigt uns, welche Missstände und Lücken wir schließen müssen, damit Menschen in unseren Einrichtungen vor sexualisierter Gewalt geschützt sind. Ich bin froh, dass in der Studie Betroffene und ihre Erlebnisse zu Wort kommen. Auch uns ist es wichtig, mit betroffenen Menschen, wenn sie es wollen, direkt im Gespräch zu sein. Wir werden die Studie intensiv lesen und analysieren, um unsere umfangreichen Aktivitäten zum Schutz der uns anvertrauten Menschen zu verbessern.

Stefan Werner, Direktor im Oberkirchenrat

Wir sind als Kirche nur dann glaubwürdig, wenn wir nicht die Institution in den Vordergrund stellen, sondern die Betroffenen von sexualisierter Gewalt sehen. Mit der Einführung des kirchlichen Gesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt (Gewaltschutzgesetz) kommt die Landeskirche den Vereinbarungen auf EKD-Ebene nach und unterstreicht ihre Verantwortung im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Darin heißt es auch: Wer kirchliche Angebote wahrnimmt oder in der Landeskirche mitarbeitet, ist vor allen Formen sexualisierter Gewalt bestmöglich zu schützen.

Kirchlicher Dienst ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen. Dieser Auftrag wird verfehlt, wenn in unserer Dienstgemeinschaft Vertrauen durch sexualisierte Gewalt missbraucht wird.

Nächste Schritte in der württembergischen Landeskirche

In Reaktion auf die Studie wird nun eine unabhängige regionale Kommission für die vertiefende Weiterverarbeitung der Studienergebnisse eingerichtet. Die Aufgaben dieser Kommission sind:

  • Weitere quantitative Erhebungen von Fällen sexualisierter Gewalt.
  • Qualitative Analysen zur Identifikation von Strukturen, die sexualisierte Gewalt ermöglichen, begünstigen, deren Aufdeckung erschweren oder dies in der Vergangenheit getan haben (dazu gehören z.B. Studien wie das schon durchgeführte „AUF!-Projekt“)
  • Evaluierung des administrativen und verfahrensrechtlichen Umgangs mit Betroffenen und Möglichkeit der individuellen Aufarbeitung.
  • Unterstützung, Evaluierung und Beratung der Landeskirche und Diakonie im Hinblick auf die institutionelle Aufarbeitungspraxis.

Hinweise für die Redaktionen:

  • Für Hintergrundgespräche stehen die Kirchenleitung sowie die Mitarbeitenden der Fachstelle für sexualisierte Gewalt der Landeskirche und Diakonie bereit. Bitte melden Sie sich bei Bedarf direkt bei der Pressestelle.
  • Im Anhang finden Sie eine Zeitstrahl-Grafik als Überblick über die Aktivitäten der württembergischen Landeskirche zum Thema sexualisierte Gewalt.
  • Informationen zum Forschungsprojekt, zu Methodik und Studiendesign finden Sie auf der Webseite des Forschungsverbundes.
  • Pressebilder von Landesbischof Gohl, Prälatin Wulz, Synodalpräsidentin Foth, Oberkirchenrätin Dr. Noller und Direktor Stefan Werner finden Sie im Pressebereich unserer Webseite.

Dan Peter
Sprecher der Landeskirche       

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25.01.2024

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25.01.2024

Zeitleiste: Umgang mit sexualisierter Gewalt in der württembergischen Landeskirche