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„Moria darf sich nicht wiederholen“

Kirchen machen sich stark für den Schutz des individuellen Asylrechts in Europa

Stuttgart/Rottenburg/Karlsruhe/Freiburg. Die leitenden Vertreter der Flüchtlingsarbeit in den vier großen Kirchen in Baden-Württemberg haben an die Bundes- und Europaabgeordneten im Land appelliert, der Schaffung von Flüchtlingslagern an den Außengrenzen der EU unter Haftbedingungen und Asylschnellverfahren nicht zuzustimmen. Dies erklärten sie im Vorfeld des Treffens der Innen- und Justizminister Anfang Dezember.

Die mit dem „neuen Pakt für Flucht und Migration“ durch die EU-Kommission im September vorgelegten Gesetzesvorschläge sehen „weitere massive und menschenrechtlich äußerst bedenkliche Verschärfungen“ des EU-Asylrechts vor, erklärte Diakoniechef Urs Keller von der Evangelischen Landeskirche in Baden (Karlsruhe). „Asylsuchende in großen Lagern hinter Stacheldraht festzuhalten, widerspricht dem christlichen Menschenbild. Ein faires Asylverfahren ist unter diesen Bedingungen praktisch unmöglich“, so Keller. Das geplante Asylschnellverfahren würde sogar Asylsuchende aus Ländern betreffen, die eine gute Chance auf Schutzgewährung hätten. Auch die Pläne, unsichere Staaten außerhalb der EU – wie die Türkei – zu „sicheren Drittstaaten“ zu erklären, seien mit den elementaren Grundprinzipien des internationalen Flüchtlingsrechts unvereinbar.

„Wer aus seinem Heimatland fliehen muss, hat ein Recht auf eine individuelle Prüfung seines Schutzgesuchs durch die EU-Asylbehörden und seines Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention“ erklärte Manuel Rogers, Referent für Flüchtlingspastoral in der Erzdiözese Freiburg. „Statt neuen Vorschlägen für einen weiteren Ausbau von Grenzlagern benötigen wir dringend einen gerechten und verpflichtenden Verteilmechanismus der Asylsuchenden auf die EU-Staaten, um die Staaten an den Außengrenzen deutlich zu entlasten.“ Bedauerlicherweise halte die neue Verordnung am Grundsatz der bisherigen Dublin-Verordnung fest, dass für die Durchführung des Asylverfahrens der Staat der ersten Einreise zuständig ist. Um diesen Knackpunkt zu überwinden, müssten die Asylsuchenden zeitnah nach Antragsstellung bereits zur Durchführung ihres Asylverfahrens von anderen EU-Staaten übernommen werden, forderte Rogers.

„Es geht nicht nur um die Würde der Menschen auf der Flucht, sondern auch um unsere Würde“, betonte der Flüchtlingsbeauftragte des Bischofs der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ludwig Rudloff. „Die Lage in den Flüchtlingslagern auf Lesbos, wie auch in den anderen überfüllten Lagern der Ägäis, steht für die Entwürdigung und jahrelange Hoffnungslosigkeit tausender Menschen mitten in Europa“. Die Lebensbedingungen im Nachfolgelager von Moria auf der Insel Lesbos seien „noch entwürdigender“ als im ehemaligen Lager. Die dort unter schwierigsten Bedingungen lebenden Geflüchteten seien Opfer fehlender politischer Verantwortung und der mangelnden Solidarität in Europa. Ähnlich ist die Situation auf den kanarischen Inseln, auf denen sich die Situation extrem zuspitzt.

„Wir sind erschüttert von dem Leid der Menschen vor Ort und entsetzt, dass die Europäische Union diese Zustände nicht längst beendet hat“, erklärte Diakoniechef und Oberkirchenrat Dieter Kaufmann für die Evangelische Landeskirche in Württemberg (Stuttgart). Die Bevölkerung in Baden-Württemberg habe in den letzten Jahren gezeigt, wie Flüchtlingsaufnahme erfolgreich gelingen könne. Er sehe Baden-Württemberg in der Lage, sich durchaus an einem zusätzlichen, großzügigen Kontingent zur Aufnahme von geflüchteten Menschen aus Griechenland zu beteiligen, um eine Katastrophe in den Wintermonaten abzuwenden.

 

Hinweis: Die Pressemitteilung wird von den vier Kirchen in Baden-Württemberg zeitgleich versendet. Wir bitten Mehrfachsendungen zu entschuldigen.

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27.11.2020

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