| Bildung

Bildungsprojekt erinnert an vergessene jüdische „Lebensmelodien“

Landeskirche unterstützt Ulmer Projekt

Der Klarinettist Nur Ben Shalom forscht nach vergessenen jüdischen Komponisten.Bild: Andrej Grilc

Einen ungewöhnlichen Zugang zu Holocaust und Nazi-Diktatur haben Schülerinnen und Schüler aus neun Ulmer Schulen in dieser Woche bei einem Gesprächskonzert gefunden. Dabei gestalteten die Jugendlichen auch eigene Projekte zu vergessenen jüdischen Komponisten. Die Stiftung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, die kirchen-nahe Lechler-Stiftung und der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl haben das Projekt finanziell unterstützt.

Einen Geschichtsunterricht ganz anderer Art haben über 600 Schülerinnen und Schüler am Dienstag in der Ulmer Kulturhalle Roxy erlebt. Das Lebensmelodien-Ensemble (Berlin), das auch schon bei Feierlichkeiten im Bundestag aufgetreten ist, führte musikalisch in die Zeit des Holocaust und NS-Diktatur. Dafür hatte der Klarinettist Nur Ben Shalom in Archiven nach vergessenen jüdischen Komponisten geforscht und überlebende Holocaust-Opfer nach Musik aus dieser Zeit befragt - „Lebensmelodien“, die angesichts von Verfolgung und Mord den verfolgten Juden Trost und Hoffnung gaben.

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl.Bild: Gottfried Stoppel

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hat das beeindruckende Konzert besucht und resümmierte im Anschluss: „Wenn 600 Schülerinnen und Schülern über zwei Stunden lang jüdischen Melodien und Lebensgeschichten aus der Zeit des Holocaust gebannt verfolgen, wird deutlich, wie gelungen dieses Projekt ist. Gerade in Zeiten, in denen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger verstärkt judenfeindlichen Angriffen auch in unserem Land ausgesetzt sind, sind die Lebensmelodien ganz besonders wichtig.“

Der Anlass für diese musikalische Spurensuche war ein Brief von Ben Shaloms Großtante, der jüdischen Pianistin Salomea Ochs Luft, die kurz vor ihrer Ermordung durch die Nazis ihr Schicksal beschrieb und überlebende Nachkommen zur Rache für die NS-Opfer aufrief. Diesen Rache-Ruf hat der Großneffe Ben Shalom in eine Versöhnung und Verständigung durch Musik transformiert.

Als der Schauspieler Gunter Schoß (Berlin) Auszüge aus dem Brief der Salomea verlas, hätte man in der vollbesetzten Halle eine Stecknadel fallen hören können. Wie auch die Schülerinnen und Schüler mit großer Konzentration die anderen Zeitzeugenberichte aus Gettos und von der Vertreibung verfolgten, darunter die berührende Erzählung eines kleinen jüdischen Mädchens, das sich ohne Familie ganz allein durchschlagen musste.

Im Mittelpunkt des Bildungsprojekts, an dem sich neun Ulmer Schulen beteiligten, standen die Komponisten Moritz Henle (1850 - 1925) aus Laupheim, der später Oberkantor an der israelischen Tempelgemeinde Hamburg war und die Musik in den Synagogen nachhaltig prägte, etwa durch den Einsatz der Orgel und Peter Ury (1920 - 1976) aus Ulm. 1939 vor den Nazis nach England geflohen. David Ury, ein Sohn Peter Urys, der in London lebt, sagte unter großem Beifall bei der Schulveranstaltung, über die Musik sei auch die „Seele seines Vaters“ gehört worden. Er appellierte an die Jugendlichen, keine Lücken zu ihren Mitmenschen entstehen zu lassen und zusammenzubleiben.

Das Ulmer Schubart-Gymnasium, dessen Schüler Ury war, gestaltete eine Digitale Pinnwand über den Komponisten, einen „Wortkoffer“ mit Begriffen zu Flucht und Vertreibung und Impressionen zur Musik in Bildern. Vom Hans- und Sophie-Scholl-Gymnasium stammte ein Video zu Moritz Henle.

In einem interaktiven Teil fragte der Organisator der Veranstaltung, Till Andlauer, die Schülerinnen und Schülern, welche Erfahrungen sie mit Antisemitismus und Rassismus gemacht haben oder welche Bedeutung Musik für sie in schwierigen Situationen habe. Die Brücke zur Gegenwart spannte der Rap-Beitrag eines Schülers, der sich mit Ausgrenzung heute beschäftigte, und zum Abschluss ein Appell des Ulmer Rings der politischen Jugend zum Einsatz für die Demokratie. Dabei stellten Ella Oswald und Felix Polianski auch Möglichkeiten vor, wie sich junge Menschen gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen können.

Zu der Ulmer Veranstaltungsreihe der „Lebensmelodien“ gehört auch ein Konzert in der Ulmer Pauluskirche am Mittwoch (25. September). Getragen werden die Veranstaltungen hauptsächlich von der evangelischen Kirche, die Kosten von rund 30.000 Euro werden durch Zuschüsse der evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Gesamtkirchengemeinde Ulm, der Stadt Ulm und der Lechler-Stiftung gedeckt. Ein Überschuss, etwa durch Spenden, soll unter anderem der Stiftung Erinnerung Ulm und der Amadeu Antonio Stiftung zugutekommen. Das „Lebensmelodien-Orchester“ trat zum ersten Mal auf im April 2019 bei einem Gottesdienst zum Jahrestag des Aufstands im Warschauer Gettos in der evangelischen Apostel-Paulus-Kirche in Berlin.

Mit Material von epd


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