| Kirchenjahr

Das Wesen der Buße ist die Freude

Ein geistlicher Impuls zu Buß- und Bettag von Oberkirchenrat Ulrich Heckel

Buß- und Bettag - das klingt nach Zerknirschung, nach Reue und Strafe. Und doch „macht nicht die Traurigkeit im Neuen Testament das Wesen der Buße aus, sondern die Freude", betont Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel in seinem geistlichen Impuls zum Buß- und Bettag. Heckel leitet das Dezernat für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im württembergischen Oberkirchenrat. Unten auf dieser Seite finden Sie zusätzlich ein Video, das den Buß- und Bettag erklärt.

Pixabay / Pexels

Röm 2,1-11:  Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest.  Wir wissen aber, dass Gottes Urteil zu Recht über die ergeht, die solches tun.  Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber, mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Zorn und Grimm aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die das Böse tun, zuerst der Juden und auch der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die das Gute tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.

Sommertagung der 16. Landessynode.
Bild: Gottfried Stoppel

Liebe Gemeinde,

eigentlich ist der Buß- und Bettag ein Tag der Freude. Natürlich können auch Zerknirschtheit, Reue und Selbstzweifel ein Element der Buße sein. Aber nicht die Traurigkeit macht im Neuen Testament das Wesen der Buße aus, sondern die Freude. Um diese Seite hervorzuheben, hat der Neutestamentler Julius Schniewind nach dem Krieg ein Büchlein geschrieben mit dem schönen Titel: „Die Freude der Buße“.

Buße hat mit Besinnung zu tun. Und worauf wir uns besinnen sollen, darauf lenkt auch der Spitzensatz aus dem Predigttext aus dem Römerbrief unser Augenmerk: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Seht ihr nicht, dass er euch durch seine Güte zur Umkehr bewegen will?

Dieser Satz ist die eigentliche Spitze, auf die der ganze Gedankengang und alle Rede vom Gericht zuläuft, alle Kritik an der Selbstgerechtigkeit, an dem vermeintlichen „ich bin okay, du bist okay“ und an dem heuchlerischen Danke, dass ich nicht so bin wie die anderen.

Diese Güte Gottes ist überall ablesbar. Für jeden, der mit offenen Augen durch das Leben geht und ein dankbares Herz hat, wird sie sichtbar. Es sind die vielen kleinen Dinge, die Alltäglichkeiten des Lebens.

Es gehört für mich zu den eindrücklichsten Erlebnissen, wenn jemand erzählt, wie eine Krankheit sein Leben verändert. Es ist schon eine Weile her, da erzählte mir ein Mann, wie ihn eine Sucht gefangen nahm, sein ganzes Leben mehr und mehr fesselte und einschränkte. Nach einem langen Ringen ließ er sich darauf ein, seinen Zustand zu akzeptieren und begann seine Lebensgewohnheiten zu verändern, seinen Alltag neu zu organisieren, seinen Möglichkeiten und seiner Kraft anzupassen. Und es war bewegend für mich mitzuerleben, wie er plötzlich Dinge neu entdeckte, für die er dankbar wurde. Er begann den Wert menschlicher Begegnungen wieder zu schätzen, die Zeit mit der Familie und mit Freunden, im Musikverein oder in einem Gesprächskreis neu wahrzunehmen. Er begann, sich bewusster an einem schönen Sonnenaufgang zu freuen oder am Blick auf die frisch verschneite Alb.

Auf eine ganz ähnliche Geschichte bin ich jetzt im Novemberheft von Zeitzeichen gestoßen. Trinkerbelle ist die Geschichte der ehemaligen Schauspielerin Mimi Fiedler und ihrer Alkoholsucht, ihr erster Vollrausch, ihre Familiengeschichte, Missbrauchserfahrungen und Schuldgefühl, einem Date mit einem reichen Mann, das verheißungsvoll beginnt und im Desaster endet.  

Doch irgendwann trinkt sie dann doch das letzte Glas. Wie es dazu kommt, ist ebenfalls faszinierend beschrieben, eine filmreife Situation in einer Kneipe in den USA mit Joan Osbornes „What if God was one of us“ als Soundtrack im Hintergrund und einem alten Trinker als rettenden Propheten.

Klingt kitschig. Aber wer es liest, ist berührt und versteht, dass Umkehr tatsächlich Leben retten kann, und es manchmal doch höhere Mächte zur Heilung braucht. Mimis Leben ist nun in ruhigerem Fahrwasser, die Schauspielerei hat sie aufgegeben, ihr Mann ist reich, ihre Tochter stark und weiterhin in Liebe mit ihr verbunden.

Trinkerbelle ist, so gesehen, eine Mutmachgeschichte für alle, die selber mit einer Sucht kämpfen. Aber auch für die Menschen, die andere bei diesem Kampf begleiten. Auch wenn es lange dauert – es kann alles gut werden.

Diese beiden Menschen sind, könnte man sagen, über ihr Leben neu zur Besinnung gekommen, darüber froh und dankbar geworden durch die Erfahrungen mit einer schweren Krankheit. Aber es muss nicht immer ein solcher Schuss vor den Bug sein oder ein Wink mit dem Zaunpfahl. Deshalb finde ich es gut, dass der Buß- und Bettag auch nach seiner Abschaffung als gesetzlicher Feiertag immer noch wie ein Stolperstein in unseren Kalendern eingedruckt ist, wir in der Hektik der Herbstwochen innehalten und über den Sinn der Selbstbesinnung nachdenken: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr leitet?“ Siehst du nicht, dass er dich durch seine Güte zur Umkehr bewegen will?

Mit diesen Worten aus dem Römerbrief sagt uns Paulus, dass Gott uns nicht fallen lässt. In ganz ähnlicher Absicht, aber viel anschaulicher und konkreter erinnert Jesus in der Bergpredigt daran, dass Gott die Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse, es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte, dass er sich nicht abwendet und schweigt: Nahrung und Kleidung, Brot und Arbeit; Sonne und Regen, der Segen der Ernte und das Lachen der Kinder. Alle diese Dinge nehmen wir im Alltag so selbstverständlich. Darum ist es gut, heute innezuhalten und über die Erfahrungen der Güte Gottes gerade in den kleinen Dingen des Lebens nachzudenken, froh und dankbar zu werden für Gottes Barmherzigkeit, die uns darin umfängt und begleitet. Hierher gehört auch die Erfahrung der Bewahrung: „in wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“

Aber Gottes Güte umfasst noch mehr. Es gibt einen Punkt, wo diese Güte wie in einem Brennglas zusammengefasst ist: Golgatha. Nirgends ist Gottes Güte so überwältigend ablesbar, so eindeutig wie am Kreuz. In seinem Sohn Jesus Christus hat Gott seine ganze Liebe zu uns eingesetzt. Christus kann durch seine Gnade heilen, was die Schuld an Unheil anrichtet. „Was könnte Gott aus den Bruchstücken meines Lebens machen, wenn ich sie ihm ganz überlasse,“ schrieb der französische Religionsphilosoph Blaise Pascal. An Gottes Heilswirken in Christus kann ich ablesen, wie gut es Gott mit uns meint und wie gut er es macht.

Buße tun heißt „umkehren in die offenen Arme Gottes“, sagt Martin Luther. Kehrt um! „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.KSnorinther 5,20). Es ist die Autorität Jesu selbst: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Markus 1,15), an die gute Botschaft von der Güte Gottes.

Wenn Gottes Güte uns zur Umkehr leiten will, dann hat das nur ein Ziel: dass wir uns besinnen und uns der Güte Gottes bewusst werden, von der unser Leben herkommt und auf die unser Leben zugeht. Gott will, dass wir unser Leben an dieser Grundlage ausrichten, dass der Geist seiner Barmherzigkeit unser Leben prägt, den Umgang miteinander und das Verhalten anderen gegenüber, den Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Gott will unserem Leben eine Richtung und ein Ziel geben. Kehr um und komm heim. Der Weg zum Leben ist Christus. Kreuz und Auferstehung haben uns die Tür zu Gott aufgestoßen. Ich darf heim zur Quelle des Lebens. Dort kann alles gut werden.

Umkehr zu Gott, Heimkehr zur Wahrheit, Einkehr zum ewigen Leben. Wer bei Gott zuhause ist, meidet das Böse und liebt die Wahrheit. Er trachtet nach guten Werken und unvergänglichen Gütern. Wohl dem, glücklich derjenige, dem alle Übertretungen vergeben sind (Ps 32).

Darum ist jede Begegnung mit Christus und seinem Wort zwar eine ernste, aber keine traurige Sache. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn ist es der Vater, der den Heimkehrer mit offenen Armen empfängt. Und man muss sich das bei einem orientalischen Patriarchen vorstellen: Da kommt der Herr Sohn als Tunichtgut nach Hause. Und was macht dieses ehrwürdige Familienoberhaupt: Es erhebt sich, geht ihm entgegen und nimmt ihn mit offenen Armen auf. Es ist ein Tag der Freude.

So ist auch heute Freude im Himmel über jeden, der umkehrt, der sich in Dankbarkeit zurückbesinnt auf die Quelle des Lebens und sich ausrichtet auf das Ziel aller Hoffnung.

Darum ist auch der heutige Buß- und Bettag kein Trauertag in Moll. Er ist ein Freudentag in Dur! Der heilige und gerechte Gott ist der liebende, der heimsuchende und heimholende Vater. Der Weg der Buße ist der Weg zur Freude. Buße ist nichts Bedrückendes, sondern etwas Beglückendes. Umkehr macht frei und froh. Geb’s uns Gott. Und das Abendmahl hilft, Schuld abzulegen und zurückzulassen, hilft einen neuen Zugang zu Gott zu finden und frei zu werden auch auf einen Menschen wieder neu zuzugehen, mit dem man es verdorben hat. Aus dieser Erfahrung heraus formulierte Martin Luther die erste seiner 95 Thesen und nennt darin jeden Tag im Christenleben einen Buß- und Bettag: „Unser Herr und Meister Jesus Christus will, dass alles Leben der Gläubigen Buße sein soll.“

Was will der Bußtag heute von uns? Er will, dass wir Gottes Ruf hören, dass wir innehalten auf dem gewohnten Weg der Selbstrechtfertigung, dass wir dankbar werden und uns rückbesinnen auf die Quelle des Lebens, dass wir umkehren zu Gott und seine Güte nicht in den Wind schlagen.        

Amen.

Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel

Leiter des Dezernats für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche des württembergischen Oberkirchenrats


Buß- und Bettag - was ist das eigentlich?

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