Mit einem Festakt haben die Diakonischen Werke in Baden und Württemberg am 6. Dezember gemeinsam mit den Evangelischen Hochschulen in Ludwigsburg und Freiburg die Gründung der Diakonie vor 175 Jahren gefeiert. Rund 140 Gäste kamen zur Feier in die Evangelische Hochschule Ludwigsburg.
Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller bei ihrem Grußwort.Bild: Evangelische Hochschule Ludwigsburg
Als Geburtsstunde der Diakonie in Deutschland gilt eine Rede des Hamburger Theologen Johann Hinrich Wichern auf dem ersten Evangelischen Kirchentag in Wittenberg 1848. Er forderte die Hilfe für Arme und Notleidende aus christlicher Verantwortung heraus. Heute betreuen mehr als 600.000 Mitarbeitende und 700.000 freiwillig Engagierte der Diakonie Deutschland rund zehn Millionen Menschen jährlich.
„Die Weiterentwicklung von Demokratie und Sozialstaatlichkeit braucht – damals und heute – wertebasierte, visionäre und zukunftsorientierte Akteurinnen und Akteure, die in unseren Einrichtungen professionell und ehrenamtlich Gemeinwesen gemeinsam gestalten“, erklärte die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller, zur Begrüßung.
„Wir leben in einer komplizierten Zeit, wir haben einen Mangel an Fachkräften und müssen gemeinsam soziale Gesundheitsberufe attraktiver gestalten“, sagte Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration, in seiner digitalen Ansprache. „Die Diakonie und die Evangelischen Hochschulen tragen maßgeblich dazu bei, mehr junge Menschen für soziale Berufe zu gewinnen.“ Professor Norbert Collmar, Rektor der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg und Gastgeber, sieht die Hochschule in der Verantwortung, attraktive soziale und pädagogische, diakonische und pflegerische Studiengänge für junge Menschen anzubieten. „Wenn uns das weiterhin gelingt, dann gewinnen wir die Studierwilligen auch zukünftig für die sozialen Berufe!“ Zudem sei Forschung, Entwicklung und Transfer in die Praxis für die Diakonie und die sozialen Handlungsfelder notwendig, um wichtige Innovationen zu fördern. Seine Studierenden blicken in einem extra gedrehten Film auf die Diakonie von morgen. „Es geht nicht nur um Fürsorge, sondern auch um Empowerment.“ Der Film zeigt eine Vision für die Zukunft von Diakonie und Kirche: dazu gehören Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Inklusion und soziale Gerechtigkeit.
Allein das Diakonische Werk Württemberg ist für 1.400 Einrichtungen verantwortlich. Dort sind 50.000 Beschäftigte in Voll- oder Teilzeit, sie betreuen täglich 270.000 Menschen mit Behinderung, beraten Familien in Konfliktlagen, pflegen Kranke und Alte, unterstützen Geflüchtete, begleiten Suchtkranke, betreuen Kinder, unterstützen Arme, Wohnungs- und Arbeitslose. Hinzu kommen mehr als 35.000 Ehrenamtliche, die die Arbeit der Diakonie unterstützen.
„Die Alterung der Gesellschaft sorgt dafür, dass das Gesundheits- und Sozialwesen rund eine Million neue Stellen schaffen und mit bundesweit 7,3 Millionen Menschen im Jahr 2040 die meisten Erwerbstätigen stellen wird“, führte Susanne Koch von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion BW, aus. Woher kommen diese Erwerbstätigen? Beispielsweise waren 2022 in Baden-Württemberg insgesamt 15.000 Menschen mit Schwerbehinderung arbeitslos. Mehr als die Hälfte von ihnen hat einen Berufs- oder Hochschulabschluss. Das wären potenzielle Arbeitskräfte.
Professor Christian Albrecht von der Ludwig-Maximilian-Universität in München sprach über die Diakonie als Arbeitgeber. „Die Mitarbeitenden sind engagiert, auch die Generation Z.“ Sie habe aber Bedingungen: Sie wollen eine Balance zwischen Privat und Beruf. Damit meine er nicht die „belächelte oder geächtete Work-Life-Balance“, sondern beispielsweise flexible Arbeitszeiten und die Zeit für die Familiengründung, ohne Abstriche an der Karriere für Frauen und Männer in gleicher Weise.
Musikalisch umrahmt wurden Vorträge und Feier vom Chor der Vesperkirche Stuttgart, ein Projekt, in dem Menschen, die auf der Straße leben oder lebten, mit Mitarbeitenden der Vesperkirche singen, musikalischer Leiter ist Patrick Bopp, bekannt als Mitglied der A-Capella-Gruppe „Füenf“.
Der umtriebige Hamburger Theologe und Kirchenreformer Wichern war ein Mann aus einfachem Haus, der nach dem Tod des Vaters schon mit 15 Jahren die Familie mit den sechs Geschwistern versorgen musste. Er studierte später Theologie und war erfüllt von dem Wunsch, Menschen zu retten. In Hamburg leitete er eine Sonntagsschule und begegnete Kindern in den Armutsvierteln. Um ihnen zu helfen, gründete er, grade mal 25 Jahre alt, ein Haus zur „Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“, wo Kinder in familienähnlichen Verhältnissen aufwachsen sollten – das Rauhe Haus. Für diese Kinder erfand Wichern aus der Not heraus auch den Brauch des Adventskranzes. Die Kinder fragten ständig nach, wann Weihnachten sei. Schließlich nahm Wichern ein großes Wagenrad, steckte vier große und 19 kleine Kerzen darauf und die Kinder konnten ablesen, wie lange es noch bis Heiligabend dauerte – und lernten dabei auch das Zählen. Die im Rauhen Haus ausgebildeten “Brüder“ arbeiteten später in ganz Deutschland und verbreiteten Wicherns Ideen. Das Rauhe Haus wurde 1876 auch Vorbild für die Karlshöhe Ludwigsburg.
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