| Gedenktag

7. September: 200. Jahrestag der Eingliederung der Reformierten- und der Waldensergemeinden in die Landeskirche

Veränderung von oben

Dass Gemeinden mit langer reformierter Tradition in eine lutherische Landeskirche integriert werden, ist alles andere als selbstverständlich. Wie kam es in Württemberg dazu?

Waldensischer Abendmahlstisch und Schalldeckel im Henri-Arnaud-Haus in Schönenberg.

Am 4. September 1699 hatte der württembergische Herzog Eberhard Ludwig seine Bereitschaft erklärt, ungefähr 2.200 um ihres reformierten Glaubens willen aus dem Piemont Vertriebenen eine neue Heimat zu geben. Diesen Waldensern – wie auch aus Frankreich nach Württemberg geflohenen Hugenotten – gestand der Herzog in Privilegien zu, ihre religiösen Angelegenheiten „jetzt und künftig“ selbstständig, d. h. unabhängig vom lutherischen Konsistorium, zu regeln.

Allerdings stellte sich die Lage der Waldensergemeinden 100 Jahre nach ihrer Gründung als schwierig dar. So wurde 1796 in einem Bericht herausgestellt, dass in den Gemeinden im Blick auf den Schulunterricht ein untragbarer Zustand herrsche: Die zu Hause Alpenprovençalisch sprechenden Kinder könnten dem französisch gehaltenen Schulunterricht, der lediglich anhand der Bibel und des Katechismus erteilt werde, nur mühsam folgen; Rechnen werde gar nicht gelehrt. Vorgeschlagen wurde, Deutsch als Unterrichtssprache zu verwenden. Allerdings verweigerten sich die Waldenser dieser Anregung.

 

Karte der von 1699 bis 1701 gegründeten Waldenserkolonien in Württemberg.Bild: Deutsche Waldenservereinigung

Änderungen „von oben“ verordnet

Ein erster Schritt zur Änderung der Verhältnisse war 1809 die Bestellung eines Dekans für die reformierten Gemeinden. Der vom König ernannte Jean Anhäuser sollte die Pfarrer und Schulen visitieren und dafür sorgen, dass sukzessive die deutsche Sprache nicht nur im Schulunterricht, sondern auch in den Gottesdiensten eingeführt wird. Doch die Gemeinden beriefen sich auf ihre Privilegien und widersetzten sich.

Als verschiedene weitere Initiativen zu Verbesserung der Lage in den Waldensergemeinden gescheitert waren – z.B. Zulagen zur Pfarrbesoldung gegen Verzicht auf das Wahlrecht –, schlug Anhäuser 1821 vor, der König selbst möge auf einer Vereinigung der reformierten Gemeinden mit der lutherischen Landeskirche bestehen und einen „Weg der Strenge“ einschlagen. Man solle den Gemeindegliedern davon gar nichts sagen. Der Dekan setzte also auf Veränderungen, die von oben angeordnet wurden, und zielte darauf ab, die in der reformierten Tradition übliche Partizipation der Laien weitgehend auszuschalten.

Im Januar 1823 wurde schließlich eine letzte Synode der reformierten Gemeinden einberufen, die letztlich unter subtilem Druck die zentralen Forderungen – deutsche Sprache, Verzicht auf das Wahlrecht – akzeptierte. Im Vereinigungsdekret vom 7. September war bestimmt, dass der Gebrauch der französischen Sprache im Gottesdienst noch einige Zeit in Ausnahmefällen erlaubt bleiben sollte und dass auch die traditionelle Form der Abendmahlsfeier beibehalten werden durfte. Nach dem überraschenden Tod Anhäusers 1824 wurden die Gemeinden umgehend den jeweiligen lutherischen Dekanen unterstellt und sukzessive dann auch von Pfarrern der Landeskirche versorgt.

Prof. Dr. Siegfried Hermle



Schon gewusst?

elk-wue.de

Hinweis für Kirchengemeinden

Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt@elk-wue.de nachzufragen, ob die Nutzungsrechte für den jeweiligen Zweck vorliegen. Gerne können Sie alle Bilder nutzen, die Sie im Pressebereich unserer Webseite finden.

Mehr News

  • Datum: 27.07.2024

    TV-Tipp: Visionär und Hoffnungsstifter

    Tobias Merckle ist Sprößling der gleichnamigen Pharma-Dynastie. Seine berufliche Laufbahn schien vorgezeichnet, er wählte jedoch einen anderen Weg: das soziale Engagement. Was motivierte ihn dazu? Darüber spricht er mit Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.07.2024

    Reisesegen: Mit Gottes Segen unterwegs

    Wer sich auf den Weg macht, möchte sich geborgen und behütet wissen. Hier eine kleine Auswahl an Reisesegen – zum Teilen, Zusprechen oder für die erste Seite Ihres Reisetagebuchs. Sie verreisen in nächster Zeit nicht? Jeder noch so kleine Weg lässt sich segnen…

    Mehr erfahren
  • Datum: 25.07.2024

    Besuch bei rumänischer Partnerkirche

    Seit 30 Jahren ist die Landeskirche mit dem Rumänisch-Orthodoxen Erzbistum von Vad, Feleac und Cluj verbunden. Landesbischof Gohl hat die Partnerkirche anlässlich des Jubiläums mit einer Delegation besucht und unter anderem Metropolit Andrei getroffen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 23.07.2024

    Vereinfachte Gemeindegründungen für Landeskirchliche Gemeinschaften

    Eine Gesetzesnovelle ermöglicht es Landeskirchlichen Gemeinschaften, künftig leichter eigene Gemeinden zu gründen. Die Landessynode hat dem Kirchlichen Gesetz zu den Landeskirchlichen Gemeinschaften mit großer Mehrheit zugestimmt und tritt somit am 1. September 2024 in Kraft.

    Mehr erfahren
  • Datum: 23.07.2024

    Oberkirchenrätin Noller in Verfassungsgerichtshof gewählt

    Oberkirchenrätin Prof. Dr. Annette Noller ist vom baden-württembergischen Landtag als Stellvertreterin in den Kreis der Richterinnen und Richter des baden-württembergischen Verfassungsgerichtshofs gewählt worden. Sie sieht ihr neues Amt als „Ehre und große Aufgabe“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.07.2024

    „Das Neue mit Zuversicht gestalten“

    „Aus gutem Grund – auf gutem Grund“ – so das Motto des Jahresfestes des Gustav-Adolf-Werks. In Gottesdienst, Vorträgen und Workshops tauschten sich die Teilnehmenden über die Zukunft der Kirche und die internationale Verbundenheit evangelischer Christinnen und Christen aus.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.07.2024

    Gebet zum Schuljahresende

    Das Schuljahresende ist für viele eine Zeit der Vorfreude, für manche eine Zeit gemischter Gefühle im Rückblick und für einige eine Zeit des Aufbruchs. Landesbischof Gohl ermutigt mit diesem Gebet Schülerinnen und Schüler, Gott anzuvertrauen, was auf sie zukommt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.07.2024

    Landesbischof Gohl: Interview zum Klimaschutz

    „Angst ist immer ein schlechter Ratgeber – denn das macht dich eng“, sagt Landesbischof Gohl zum Thema Klimaschutz. „Wenn wir uns so verhalten würden, wie es der Schöpfung entspricht, würde es unserer Welt viel besser gehen“. Hier finden Sie das Interview als Text und Video.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.07.2024

    Fortbildung für Digitalisierungs-Coaches geht in die nächste Runde

    Im Herbst 2024 startet die nächste Weiterbildung zu Digitalisierungs-Coaches. Die Fortbildung hat schon viele Haupt- und Ehrenamtliche befähigt, die Digitalisierung vor Ort zu begleiten. Eine digitale Info-Veranstaltung gibt's am 18. September.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.07.2024

    Neues Erscheinungsbild für die Landeskirche

    Mehr Farbe, neues Logo, mehr Flexibilität, mehr Spielräume: Zum 1. Advent 2024 löst die Evangelische Landeskirche in Württemberg ihr rund 30 Jahre altes Corporate Design (CD) durch eine überarbeitete Version ab.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.07.2024

    Früherer Landesbischof July feiert 70. Geburtstag

    Dr. h. c. Frank Otfried July feiert am 17. Juli seinen 70. Geburtstag. Er war von 2005 bis 2022 Landesbischof der württembergischen Landeskirche. Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl würdigt die Julys Verdienste „als Brückenbauer in Kirche, Diakonie und Gesellschaft“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 13.07.2024

    TV-Tipp: Lissy Schneiders Erfahrungen als Pflegekind

    Die leiblichen Eltern suchtkrank, mit zwei Jahren im Kinderheim, mit drei bei einer Pflegemutter – mit bis zu sieben weiteren Kindern. Wie erlebte Lissy Schneider Kindheit und Jugend? Darüber spricht Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb mit dem einstigen Pflegekind.

    Mehr erfahren
Mehr laden