| Landessynode

Dialog ist wichtiger denn je

Landessynodale erhalten Einblick in die aktuelle Situation der jüdischen Gemeinden in Württemberg und die Folgen des Hamas-Überfalls am 7. Oktober

In ihren Grußworten an die Landessynodalen betonten Prof. Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), und der Antisemtismusbeauftragte der Landesregierung, Dr. Michael Blume, wie wichtig der Dialog zwischen Judentum und Christentum sei - insbesondere seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Diese Beziehungen würden durch solch schwierige Zeiten tragen und dabei helfen, dass man diese gut überstehen könne, sagte Traub. Blume ermutigte in seinem Grußwort die Landeskirche dazu, den Kontakt mit den jüdischen Gemeinden weiter zu vertiefen. Gemeinsam sei beiden Religionen der Aspekt der Hoffnung, ohne die es keine Chance gegen Antisemitismus und Verschwörungsmythen gebe, so Blume. Außerdem zeigten beide die Folgen des Hamas-Anschlags und die damit verbundenen Herausforderungen für die in Württemberg lebenden Jüdinnen und Juden auf.  

Prof. Barbara TraubBild: Gottfried Stoppel

Wie nah die Ereignisse in Israel für jüdische Menschen hier in Baden-Württemberg sind, verdeutlichte Traub in ihrem Grußwort: Die Enkel einer Bekannten seien unter den Entführungsopfern und erst jetzt wieder freigekommen. Fast jeder hier habe Familie und Freunde in Israel und kenne Betroffene, die selbst oder deren Angehörige Opfer oder Geisel der Hamas geworden sind.

Traub zeigte sich dankbar für das große Maß an Solidarität von säkularer, staatlicher und kirchlicher Seite. Auch von islamischen Organisationen hätte es Solidaritätsbekundungen gegeben. Gleichwohl kritisierte Traub, einige der großen islamischen Verbände hätten sich „bemerkenswert still“ verhalten. Auch das Schweigen mancher Kulturinstitutionen sei auffallend. „Diese menschenverachtende Brutalität der Schlächter aus Gaza folgte bewusst der zynischen Logik, alle sprießende Friedenshoffnung auf absehbare Zeit ein für alle Mal zu ersticken und dem Ziel einen Schritt weiterzukommen, Juden endlich aus ihrer Heimat zu vertreiben. Ein Ziel, das nicht erst jetzt verfolgt wird, sondern seit 75 Jahren“, seit der Gründung des Staates Israels, so Prof. Barbara Traub. 

Kritischer Blick

Traub wies auf Momente problematischen Verhaltens seitens der evangelischen Kirche hin: So sei 2010 ein Vertreter der Hamas nach Bad Boll zu einer Tagung „Partner für den Frieden“ eingeladen worden. Auch die Nakba-Ausstellung, die vom Evangelischen Entwicklungsdienst gefördert würde, sei eine einseitige pro-palästinensische Ausstellung und es habe die jüdische Gemeinde getroffen, dass diese immer wieder in evangelischen Gemeinden Raum fände. Zugleich betonte sie, dass es nicht darum gehe, das Leid im Gaza-Streifen oder Westjordanland nicht zu zeigen, sondern darum, nicht nur einseitig Kritik zu üben.

Ein weiterer schmerzlicher Punkt sei die Unterzeichnung des Kairos-Palästina-Dokuments seitens der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Baden-Württemberg (ACK): „Wir würden uns wünschen, dass das Papier in manchen Punkten korrigiert wird.“

Wunsch nach einem offenen Blick für alle Parteien in diesem Konflikt

Allerdings würde schon „allein den Finger kritisch in die Wunde zu legen“ der jüdischen Religionsgemeinschaft Württembergs oftmals den Vorwurf der Israel-Lobby einbringen. „Wir teilen mit Ihnen den Wunsch, nach einem offenen Blick für alle Parteien in diesem Konflikt und auch jene Menschen zu sehen, die im Gazastreifen leiden. Sie leiden unter einer Regierung, die sie in ihren Fängen hält. Und dennoch dürfen wir als Kirche und Religionsgemeinschaft nicht die Augen davor verschließen, dass Antisemitismus auch hierzulande nicht nur von islamistischen Terroristen herrührt, sondern wir als jüdische Gemeinschaft schon lange vor dem Terroranschlag mit Antisemitismus von rechtsextremer und linksextremer Seite konfrontiert waren. Wir müssen und sollen als abrahamitische Religionsgemeinschaften den Dialog und Trialog suchen – mehr denn je. Zugleich aber in unseren jeweiligen Gemeinschaften von extremistischen oder einseitigen Positionen fernhalten.“

Die jetzigen Zeiten würden sichtbar machen, wie wichtig der Dialog, Trialog und der Austausch in Friedenszeiten sei. Diese Beziehungen würden durch solch schwierige Zeiten tragen und dabei helfen, dass man diese gut überstehen könne, so Prof. Barbara Traub. „Dafür bin ich dankbar.“ Traub weiter: „Krisen sind ein Anlass, stärker daraus hervorzugehen. Und ich wünsche mir, dass wir aus dieser Prüfungszeit gestärkt hervorgehen.“

    Dr. Michael BlumeBild: Gottfried Stoppel

    Religiöse und nicht religiöse Menschen haben eine Verantwortung für die Hoffnung

    Dr. Michael Blume, der Beauftragte der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus, sagte in seinem Grußwort: „Der Antisemitismus ist eine Ideologie, ein Dualismus der Hoffnungslosigkeit. Antisemiten glauben, dass die Zeit gegen sie arbeitet, dass wir auf eine Apokalypse zugehen und dass sie sich verteidigen müssen.“

    Alle alphabetisierten Religionen sagten jedoch, am Ende werde alles gut, und wenn es noch nicht gut sei, dann sei es noch nicht das Ende. Das sei „eine verwegene Hoffnung, die uns gerade in diesen Tagen vielleicht auch schwerfällt, ich glaube aber, dass wir diese Hoffnung brauchen, dass wir ohne diese Hoffnung gegen Antisemitismus und Verschwörungsmythen keine Chance haben.“ Blume betonte, „dass wir als jüdische, als christliche, als muslimische, jesidische, auch als nicht religiöse Menschen eine Verantwortung für die Hoffnung haben.“

    Forderungen an die Landessynodalen und an die Landeskirche

    Dr. Michael Blume formulierte vier Wünsche an die Landeskirche:

    • Blume forderte dazu auf, „die Energiewende als Chance zur Friedenswende zu begreifen“. Die arabischen Staaten wüssten, „dass wir gerne von Menschenrechten reden, aber noch mit jedem Regime Verträge geschlossen haben, das billiges Öl und Gas liefert“. Weiter sagte Blume: „Wir finanzieren den Terror, die Propaganda und die Gewalt von autoritären und antisemitischen Regimen durch unsere Gier nach Öl und Gas“. Blume ermutigte dazu, „unser eigenes Verhalten zu hinterfragen und wohl kritisch in Moscheen zu schauen, aber dann bitte auch in Dax-Konzerne und Vorstände und Aufsichtsräte, in denen das fossile Geld einen mächtigen Einfluss bis in unser aller Leben entfaltet. Hier können Kirchen glaubwürdig vorangehen, und sie können sogar, was Politikerinnen und Politiker nicht können, nämlich Verzicht empfehlen, ohne dafür abgewählt zu werden.“
    • Blumes zweiter Wunsch lautet, Medien für den öffentlichen, nicht kommerziellen Bereich des Internets zu produzieren. Blume sagte: „Wir können nicht mehr entscheiden, ob die Kirche digitalisiert wird. Wir können nur noch entscheiden, ob die Mächte des Hasses oder die Mächte der Liebe das letzte Wort haben, und dazu kann jede und jeder von uns beitragen.“
    • Als dritten Wunsch lud Blume die Landeskirche ein, gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs wichtige religiöse Schriften, beispielsweise von Rabbi Jonathan Sax, herauszugeben.
    • In seinem vierten Wunsch regte Blume religionsverbindenden Religionsunterricht gemeinsam mit dem Judentum an und sagte: „Ich möchte Sie ermutigen, auf die jüdischen Gemeinden zuzugehen und zu fragen, ob wir nach dem Erfolg des konfessionsverbindenden Religionsunterrichts vielleicht auch über religionsverbindenden Religionsunterricht nachdenken können. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden es in Württemberg und vielleicht auch in Baden-Württemberg schaffen, dass jüdische und evangelische Menschen gemeinsam Religionsunterricht haben, und gemeinsam sagen, die Kinder sind bei uns willkommen, weil wir nicht überwältigen, sondern weil wir einladen und informieren.“ Dies würde, so Blume, einen großen Sog auf andere Konfessionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften ausüben und in die Zukunft weisen.

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