Zwischen Chemnitz und Dresden – Eine Pfarrerin erzählt
Wie erlebt eine Pfarrerin zwischen Dresden und Chemnitz die gegenwärtige Situation in Sachsen? Im Interview mit Isabelle Fries spricht Pfarrerin Sabine Münch (*1961) aus Pretzschendorf über ein Umfeld, das Kirche nur eine marginale Rolle zugesteht – und über die eigene Sprachlosigkeit, wenn Worte nicht mehr tragen.
Pfarrerin Sabine Münchprivat
Frau Münch, Sie kommen ursprünglich aus der Landeskirche Hannovers – war Ihnen bei Ihrem Wechsel nach Sachsen klar, was Sie dort erwartet? Meine Familie mütterlicherseits lebte hier. Es war also schon ein Bezugspunkt für mich da, als ich 1991 angekommen bin. Aber was die Wende bringt, war damals noch gar nicht klar. Die Menschen, die auf die Straßen gehen, sind schon die zweite Generation von denen, die sagen: „Uns geht’s beschissen.“ „Und jetzt kommen auch noch die Flüchtlinge“, sagen sie, „und die bekommen jetzt alles einfach so, wofür unsere Eltern und wir gearbeitet haben.“ So ist das Gefühl hier – das können Sie sich in Württemberg kaum vorstellen – und mit Gefühlen wird operiert. Mit Zahlen und Fakten kann man dagegen nichts ausrichten. Mit der ganzen theologischen Denke von wegen „Gott ist ein Freund der Verfolgten“ und so weiter. Das interessiert niemanden. Das findet so gut wie keine Anknüpfungspunkte.
Im Vorgespräch haben Sie erzählt, dass Sie für Worte ausgebildet worden sind, aber erleben, dass Worte nichts austragen. Was meinen Sie damit genau? Innerhalb der Kirche funktioniert der Dialog noch einigermaßen. Außerhalb ist es schwierig. Pegida beispielsweise hat von Anfang an in Dresden gesagt: „Wir reden mit niemandem. Wir wollen unseren Protest wortlos bekunden und mit der Lügenpresse reden wir sowieso nicht.“ Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens hat vor zwei, drei Jahren schon versucht, Gesprächsforen anzubieten, aber das hat nicht viel gebracht.
Wir müssen uns als Kirche positionieren, sonst sind wir überflüssig.
Gibt es etwas, was Sie persönlich vor Ort versucht haben? Bei mir direkt vor Ort gibt es keine Kundgebungen. Ich weiß aber, dass es Leute gibt, die steigen in den Bus und fahren nach Dresden. Namen kenne ich allerdings nicht. Ein einziges Mal habe ich einen Brief bekommen. Man dürfe die Muslime nicht reinlassen, damit hier nicht ähnliche Verhältnisse entstehen wie in Berlin. Da habe ich dann zum Gespräch eingeladen und wir haben unsere Positionen ausgetauscht. Aber mittlerweile suchen Menschen mit dieser Einstellung nicht mehr das Gespräch. Denen ist egal, was ich rede und sage.
„Wir stehen für Dialog“ hieß es bei der Kirchen-Kundgebung am vergangenen Wochenende in Chemnitz. Können Sie das bei so einem Erleben unterstreichen? Ja, natürlich kann ich das unterstreichen und der Dialog muss auch weiter angeboten werden. Aber mit Leuten, die den Hitlergruß zeigen, ist dann auch eine rote Linie überschritten. Beim Geburtstagsbesuch kam die Frage auf, wer da in Chemnitz jetzt eigentlich die Bösen sind und ein Gast hat geantwortet: „Keiner.“ Da denke ich mir, das darf jetzt doch wohl nicht wahr sein. Es gibt gar kein Unrecht mehr.
Welche Aussage von der Kirche würden Sie sich da wünschen? „Das können wir als Kirche nicht mehr tolerieren“, so eine Aussage wünsche ich mir. Wir müssen uns positionieren, sonst sind wir überflüssig. Meine Aufgabe ist es, weiter bei der Stange zu bleiben und zu hoffen, dass das, was ich sage, auf fruchtbaren Boden fällt. Wichtig ist es, dabei zu bleiben und nach außen hörbar zu bleiben. Überall, wo sich eine Gelegenheit ergibt, und wenn es nur ein Satzfetzen ist, darauf einzugehen. Ich versuche, die apokalyptische Szenerie, die da von der rechten Szene propagiert wird, auf die Ebene der einzelnen Menschen zurückzuholen. Ich sage: Wir haben hier im Ort Flüchtlinge und es läuft doch außerordentlich gut. Dann erzähle ich von dem Flüchtlingskind, das das beste Deutschdiktat der Klasse geschrieben hat oder von den Jungs, die sich im Fußballclub integrieren. Ich erzähle konkret und das setze ich gegen die Angst. Ich nehme die Menschen ernst und frage nach: Wo hast du deine Erfahrung denn her? Wenn sich dann herausstellt, dass sie nur davon gehört und es gar nicht selbst erlebt haben, dann setze ich mein Erleben dagegen.
Sie haben vorhin erzählt, manchen sei gar nicht mehr klar, wer „die Bösen“ sind. Was macht Sie so sicher, dass Sie „auf der richtigen Seite“ stehen? Dass das Leben von Menschen, die sich zu uns flüchten, gerettet werden muss. Gott will das Leben und in der Gewissheit um diesen Gott weiß ich, dass auch entsprechend zu handeln ist. Es ist die Gewissheit, dass Gott, der Israel aus Ägypten geführt und Jesus in die Welt geschickt hat, eindeutige Wegmarkierungen hinterlässt, die auch mich auf die richtige Spur setzen.
Sabine Münch, geboren 1961 im Emsland. Sie studierte evangelische Theologie und Diakoniewissenschaften in Münster, Tübingen, Bonn und Heidelberg. 1991 nahm sie ihren Dienst in der Landeskirche Sachsens auf. Nach dem Vikariat im Vogtland war sie elf Jahre Pfarrerin an der Marienkirche in Werdau/Westsachsen. Seit 2003 ist sie Pfarrerin der Kirchengemeinde Pretzschendorf-Hartmannsdorf/Osterzgebirge. 2016 verbrachte sie ein Studiensemster in Jerusalem.
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