Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
Vor vielen Jahren: Mein erster Besuch in Tansania. In Begleitung eines anglikanischen Bischofs fahre ich vier Stunden durch verbranntes, verstepptes Land. Seine Diözese ist arm, und wir sollen in einem sehr armen, einsamen Dorf endlich den durch Spendengelder gebohrten Brunnen in den Dienst stellen. Denn die Menschen litten sehr unter Wassermangel. Selber unerfahren, hatte ich kein Wasser auf der Fahrt mitgenommen.
Jeder weiß, wie es sich anfühlt, durstig zu sein und kein Wasser in Reichweite zu haben. Man bekommt einen trockenen Mund, eine trockene Zunge und die Gedanken kreisen mit einem Mal ständig um das nicht vorhandene Wasser, nach dem man sich so sehr sehnt.
Und wie wohltuend dann, am Ziel anzukommen und den Durst endlich zu stillen! In großen Schlucken wird das Glas geleert und vielleicht auch gleich ein zweites, bis der Durst gestillt ist. In diesem Moment braucht es nichts weiter, um glücklich und zufrieden zu sein. Mir war damals schlagartig klar, was dieser Brunnen für die Menschen bedeutete.
Diesen Zustand des „Nicht-mehr-durstig-Seins“ bezeichnet man seit dem Jahr 1999 offiziell mit dem Adjektiv „sitt“. Sitt ist ein Kunstwort, welches in Anlehnung an das Adjektiv „satt“ erfunden worden ist. Dies war ein Versuch, durch einen Wettbewerb eine vermeintliche Lücke in der deutschen Sprache zu schließen. Allerdings wird das Wort bislang eher selten gebraucht und es fragt sich, ob es wirklich nötig ist.
Doch diese Zeit des „sitt“-Seins, hält nicht lange an. Schon nach wenigen Stunden oder starker körperlicher Anstrengung kommt das Gefühl des Durstes wieder – und sucht uns erneut heim.
„Gott spricht: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“
Uns Menschen dürstet es nach mehr als nur nach Wasser. Wir sehnen uns nach verlässlichen Beziehungen und Freundschaften, wo wir so angenommen werden, wie wir sind. Wir suchen Lob und Anerkennung und möchten von anderen gesehen werden. Wir brauchen es, zeigen zu können, wer wir sind und was uns ausmacht.
Ja, wir haben Durst danach uns einzubringen in unseren Familien, in unseren Gemeinden, und in unserer Gesellschaft. Uns dürstet danach unsere Welt mitzugestalten. Uns dürstet nach Gerechtigkeit und Friede. Alle Menschen sollen diese Fülle erfahren können. Besonders aber dürstet es uns danach, eine Heimat zu haben in der Beziehung zu Gott. Denn wir ahnen, dass unser ganzes Leben sonst verdorrt wie Land ohne Wasser.
„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir“.
Uns dürstet nach dem ewigen Leben, welches die Todesgrenze überwindet und uns in Gemeinschaft mit Jesus Christus leben lässt.
„Gott spricht: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst“.
Das heißt: Gott will unseren Durst stillen und uns die Dinge zukommen lassen, die wir brauchen. Gott gibt uns Wasser von der Quelle des Lebens. Das heißt, dass wir uns ihm anvertrauen können, mit allen unseren Fragen und Sorgen, mit all unserem Leid, aber auch unserer großen Freude über Gelungenes und Schönes – und unserer Freude über das Leben selbst.
Wir brauchen Gottes Wort für unser Leben. Wir brauchen seine Vergebungsbereitschaft und seine bedingungslose Liebe, die er uns durch seinen Sohn Jesus Christus gezeigt hat. Eine Quelle des lebendigen Wassers, das ist für uns die Heilige Schrift, mit Jesus Christus als Mitte, als Brunnen. Quelle des lebendigen Wassers, das ist das Wissen um Gottes Barmherzigkeit, das Wissen um Jesu Leben, Kreuzestod und Auferstehung. Quelle des lebendigen Wassers: das ist das Wissen darum, dass wir von Gott angenommen sind.
Und diese Annahme und Rechtfertigung bekommen wir umsonst. „Umsonst“ meint hier nicht etwa vergeblich. Wie es in unserem Sprachgebrauch häufig der Fall ist, zum Beispiel in dem Ausspruch: „Er hat sich umsonst beeilt, der Bus war schon weg“. Vielmehr signalisiert dieses kleine Wörtchen „umsonst“, dass wir als Menschen nichts tun müssen, um von Gott das lebendige Wasser zu erhalten. Er „strömt“ auf uns zu. Wir sind Empfangende. Wir müssen unser Leben nicht selbst „produzieren“ – und können es auch gar nicht. Es ist Gottes Geschenk an uns. Und wir dürfen es dankbar annehmen.
Die Liebe der Eltern zu ihrem Kind: ein Geschenk - umsonst. Ein Lächeln des Kollegen nach langem Streit: ein Geschenk - umsonst. Eine Postkarte nach langem Schweigen: ein Geschenk - umsonst. Ein aufmunterndes Wort von einem Freund in einer Situation, wo man von Selbstzweifeln geplagt war: ein Geschenk - umsonst. Alles umsonst. Aber gewiss nicht vergeblich. Sondern vielmehr uns zum Wohl und zur Freude. Manchmal unerwartet und unvorhergesehen. Und eben etwas, was wir nicht selbst bewirken oder herbeiführen können. Es ist eine Zuwendung, eine Gabe, ein Geschenk, das uns gemacht wird, umsonst.
Umsonst. Dieses Wort bekommt so gesehen für mich eine ganz neue Bedeutung. Einen unendlichen Wert. Es ist ein Juwel, der funkelt und glänzt, ja, der teuer und kostbar ist.
Dieses kleine Wort verändert alles. Es ist die Rechtfertigungsbotschaft, die Martin Luther in der Bibel neu entdeckt hat. Es ist der Zuspruch, der unseren Durst für immer stillt und uns in den Zustand des „sitt“ seins befördert: Du bist angenommen – umsonst.
Zurück nach Tansania: Der Brunnen wurde in den Dienst genommen. Es war ein großes Fest. Ein Gotteslied zu Beginn: Für die Menschen war klar: Gott schenkte Ihnen die Perspektive des Lebens. Zum lebendigen Wasser seiner Zusage kam nun das frische Wasser des Brunnens. Es war eine eindrückliche Erfahrung, dass ohne größere Erklärung das biblische Wort „lebte“.
Das erinnerte mich auch an das Lied „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude“ aus dem Evangelischen Gesangbuch. Da heißt es in Strophe 7:
„Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden:
komme wen dürstet, und trinke, wer will!
Holet für euren so giftigen Schaden
Gnade aus dieser unendlichen Füll!
Hier kann das Herze sich laben und baden.
Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden.“
„Gott spricht: „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst“.
Quelle
Christoph Morgner (Hg.)
„Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst“
Das Lesebuch zur Jahreslosung 2018
Brunnen Verlag