| Landeskirche

Pfarrer Volkmann: „Das Glück meines Berufslebens“

Im Dialog zwischen Christen und Juden hat der 65-jährige Theologe seine Berufung gefunden

Pfarrer Dr. Michael VolkmannDenzel / EMH

Tübingen/Bad Boll. Er führe ein „Leben in zwei Welten“, sagt Dr. Michael Volkmann über sich. Die eine Welt ist für den evangelischen Pfarrer – natürlich – der christliche Glaube. Mit der zweiten Welt meint er das Judentum: „Ich kann als Christ nicht existieren, ohne das jüdische Leben zu verstehen.“

Letzteres versteht er so gut wie kaum ein anderer in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Seit 2001 ist der Seelsorger landeskirchlicher Beauftragter für das Gespräch zwischen Christen und Juden; zwei Jahre später wechselte er dann komplett auf seine zunächst in Denkendorf und dann in Bad Boll angesiedelte Sonderpfarrstelle.

Das Suchen nach Ruhe

Zwar wird der gebürtige Stuttgarter mit Wirkung zum 1. Februar 2020 in den Ruhestand gehen. Sein erstes Ziel im neuen Lebensabschnitt ist tatsächlich „die Ruhe, die ich erleben möchte“. Beispielsweise bleibt dem 65-Jährigen künftig das tägliche Pendeln zwischen seinem Wohnort Tübingen und seinem Arbeitsort Bad Boll erspart.

Dabei ist seine Arbeit für ihn auch am Ende seines Berufswegs viel mehr als ein Beruf – wenn er von seinen Aufgaben als Pfarrer für das Gespräch zwischen Christen und Juden berichtet, spricht Volkmann über Berufung im besten Sinne.

Dass er sich dieser Aufgabe widmen durfte und noch darf, „war das Glück meines Berufslebens“. Sein eigenes Christsein „ist noch viel reicher geworden“, sagt der Theologe, der die Spiritualität gerade der modern-orthodoxen Juden als von „ungeheurer Kraft, Tiefe und Sensibilität“ beschreibt.

Höhepunkt Tora-Lernwochen

So sind es die in Kooperation mit modernen orthodoxen Rabbinern und Lehrern seit 1978 jährlich stattfindenden Tora-Lernwochen, die für ihn einen regelmäßigen Höhepunkt bildeten. Im zu Ende gehenden Jahr fanden sie im Südwesten an zehn verschiedenen Orten statt.

Der Veranstaltungsort wechselt in einem festen Turnus: 2020 werden die Lernwochen in Israel stattfinden, im Jahr darauf in Denkendorf und Bad Boll, bevor es dann wieder in die württembergische Fläche geht.

Michael Volkmann wird dann nicht mehr zuständig sein – als Ruheständler will er sich bewusst zurückhalten; seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger sollen von Beginn an eigene Akzente setzen können.

Die jährlich stattfindenden Tora-Wochen bildeten immer Höhepunkte für Michael Volkmann. nellyaltenburger auf Pixabay

Zwar sei der Dialog zwischen Christen- und Judentum „vor allem Beziehungsarbeit“. Doch der 65-Jährige glaubt nicht, dass der oder die künftige Stelleninhaber(in) am Nullpunkt anfangen muss. Auch wenn ein Name noch nicht feststehe: „Ich gehe davon aus, dass mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin bereits im Umfeld dieser Arbeit tätig war und vieles mitbekommen hat“, deutet er vielsagend an.

Außerdem sei auf jüdischer Seite das Interesse an Fortsetzung groß – ebenso wie das Vertrauen. Daran haben nach Volkmanns Worten auch die Mitarbeiter in Bad Boll Anteil: Dort nämlich finden jeweils während der in Württemberg stattfindenden Lernwochen die zentralen Sabbat-Feiern der angereisten Rabbiner und jüdischen Lehrer-Ehepaare statt, an der auch ihre Gastgeber teilnehmen.

Für Volkmann sind dies jeweils bewegende, besondere Erlebnisse: „Ich bin Christ, aber mit einem Bein stehe ich auch im jüdischen Leben – dadurch habe ich das Gefühl, stabiler zu stehen“, sagt der Seelsorger, dessen Ehefrau Angelika Pfarrerin an der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche in Tübingen ist.

Ihre Gemeinde hatte sich schon 1984 nach dem zur Bekennenden Kirche gehörenden und 1945 im KZ Flossenbürg ermordeten Theologen Bonhoeffer benannt. Dessen Weg in den aktiven Widerstand gegen das NS-Regime begann mit den Judenverfolgungen…

Die Rolle von Mutter und Tante

Sein eigenes Interesse am Judentum wurde indes nicht erst während seines Theologiestudiums geweckt. Im Gegenteil: Als Student habe er „festgestellt, dass an der Uni von Juden gesprochen wird als wenn Blinde von der Farbe reden“.

Dass er sich schon als junger Mann dieses Urteil habe erlauben können, hänge einerseits mit seiner familiären Prägung zusammen – und andererseits mit seinen Erfahrungen nach dem Abitur, als Volkmann über die „Aktion Sühnezeichen“ für ein Jahr nach Israel ging.

Bereits im Vorschulalter sei er interessiert gewesen, als sich seine Mutter „als Christin intensiv damit befasst hat, wie Deutsche versucht hatten, die Juden und damit Gottes Volk zu vernichten“. Sein Glück: Sie habe ihre Gedanken nicht nach innen gekehrt verfolgt, sondern diese gegenüber einer Tante ausgesprochen – mit ihm als Zuhörer.

„Hatte als einziger Briefmarken aus Israel“

Damit habe er von Anfang an „biblische Geschichten zusammengebracht mit den Geschehnissen in der Schoah“ und den Entwicklungen in der Nachkriegszeit.

Als seine Tante dann in den 1960er Jahren erstmals zu Besuch in Israel war und dem jungen Briefmarkensammler Michael israelische Postwertzeichen mitbrachte, war das ein weiterer Meilenstein: „Ich war der einzige, der damals Briefmarken aus Israel hatte“, erzählt Pfarrer Volkmann noch heute stolz – und ganz nebenbei lernte er anhand des Mitbringsels auch die ersten hebräischen Buchstaben kennen.

Volkmann sieht bis heute die im Holocaust begründete Verantwortung von Deutschen, jüdisches Leben nach Kräften zu fördern.EMH / Christian Nathan

Jüdisches Leben nach Kräften fördern

Das Gespräch zwischen Christen und Juden sieht der Theologe denn nicht nur unter dem Aspekt von Verständigung und gegenseitiger Achtung: Er sieht bis heute die im Holocaust begründete Verantwortung von Deutschen, jüdisches Leben nach Kräften zu fördern.

Dass er hier über seine dienstlichen Aufgaben hinaus einen erheblichen Beitrag leisten konnte, ist einem Zufall zu verdanken: Ein Ruhestandspfarrer habe ihn vor Jahrzehnten darauf angesprochen, dass in der Tübinger Partnerstadt Petrosawodsk ganz im Nordwesten Russlands Juden leben – eine Information, die zunächst „folgenlos“ blieb. Aber dann nach einiger Zeit umso nachhaltiger wirkte.

Sammlung für gebrauchte Tora

Jene Juden hatten keine Synagoge, nicht einmal einen Gebetsraum – und zwar deshalb, weil ihnen eine Tora fehlte. Ohne die fünf Bücher Mose aber kann eine Gemeinde keine Synagoge gründen… Also wirkte Michael Volkmann an einer Spendensammlung mit: „Nach einem halben Jahr hatten wir das Geld zusammen“, um für damals 20.000 D-Mark in Russland eine gebrauchte Tora zu kaufen. Drei Rabbiner prüften die Schrift, befanden sie für koscher – „und seit Juli 1996 gibt es dort Gottesdienste“, erzählt der Pfarrer.

Und aktuell gibt es eine weitere Spendensammlung, unter anderem in Tübingen: Als Gebetsstätte in Petrosawodsk diene bis heute ein ziemlich niedriger Keller – ihn will die Gemeinde „eintauschen“ gegen einen ebenerdigen, großzügigen Raum. Immerhin zähle die für die gesamte, nur dünn besiedelte autonome Republik Karelien rund 1.200 Mitglieder.

Ein Christ liest aus der Tora

Wie eng die Bindung zwischen dieser jüdischen Gemeinde und dem evangelischen Pfarrer im Laufe der Jahrzehnte geworden ist, belegt nicht nur die Ehrenmitgliedschaft für Volkmann: Wenn er zu Besuch ist, werde er darum gebeten, die Lesung aus der Tora zu halten.

Dass ein Christ vor einer jüdischen Gemeinde aus deren heiliger Schrift vorträgt, „geht eigentlich gar nicht“, ist sich der 65-Jährige bewusst. „Aber da zählt Freundschaft mehr als der Brauch.“

Deshalb gibt es für ihn nicht den geringsten Zweifel: Auch in seinem Ruhestand will er diese Freundschaft weiter pflegen.

Ein letztes Mal Jahreswechsel in Israel

Etwas anderes Liebgewonnenes wird er indes aufgeben: die Leitung von jeweils neuntägigen Reisen nach Israel, um das „Land mit allen Sinnen zu erkunden“. Seit rund zehn Jahren unternimmt er jeweils um die Jahreswende herum diese Touren – unter anderem mit Wanderungen, Begegnungen und Synagogen-Besuchen.

Eigentlich hatte er schon nach seiner Reise 2018/19 mit diesem Kapitel abgeschlossen. Nun aber wird noch einmal einen Jahreswechsel in Israel erleben – gemeinsam mit einer 24-köpfigen Gruppe nicht nur aus Württemberg, sondern auch aus Berlin und der Schweiz. Das werde definitiv das letzte Mal sein, sagt er kategorisch – und fügt hinzu: „Ich freue mich auf diese Reise.“

 

Siegfried Denzel

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