| Bezirke und Gemeinden

„Eine bessere Christin geworden“

Hanne Braun über 50 Jahre im Kirchengemeinderat der Stiftskirche Stuttgart

Hanne Braun ist seit 1969 Kirchengemeinderätin der Stuttgarter Stiftskirchengemeinde. Doch nach 50 Jahren ist nun demnächst Schluss: Bei den Kirchenwahlen am 1. Dezember tritt die heute 77-Jährige nicht mehr an.Siegfried Denzel/EMH

Stuttgart. Sie hat Pfarrer und Prälaten kommen und gehen sehen: Hanne Braun ist seit 1969 ununterbrochen Kirchengemeinderätin in der Stuttgarter Stiftskirchengemeinde. Doch nach 50 Jahren soll Schluss sein: Bei den Kirchenwahlen am 1. Dezember tritt sie nicht mehr an. Aktiv bleiben will die 77-Jährige weiterhin - zumindest vorerst.

„Ich war immer ein Stachel im Fleisch der Kirchengemeinde.“ Würde es einen Verein für klare Worte geben: Hanne Braun wäre vermutlich Ehrenmitglied. Seit einem halben Jahrhundert sitzt sie im Kirchengemeinderat der Stiftskirchengemeinde - und ist noch immer bereit, für ihre Überzeugungen leidenschaftlich zu streiten. Von Altersmilde keine Spur...

„Nicht diese Heimlichkeiten“

Denn im Grunde genommen haderte sie von Anfang an mit ihrer eher pietistisch geprägten Kirchengemeinde. „Man kann die Bibel Ernst nehmen - oder wörtlich“: Was die Pfarrerstochter Hanne Braun in diesen acht Worten ausdrückt, klingt wie eine Abrechnung mit demonstrativer Frömmigkeit. Denn die, deutet die 77-Jährige an, trägt in ihren Augen auch häufig die Anlage zur Unehrlichkeit. „Ich möchte Respekt voreinander - und nicht diese Heimlichkeiten“. 

Hinterm-Rücken-Gerede ist für die gebürtige Stuttgarterin ein Graus: Wem ihre Weltoffenheit nicht passe, solle ihr das offen ins Gesicht sagen. „Dann habe auch ich Respekt.“

Das Foto mit dem Schlafanzug

Konkretes Beispiel: Bei der Vorbereitung des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2015 in Stuttgart beteiligte sich Hanne Braun bei der Organisation von Quartieren - 10.000 private Übernachtungsplätze aufzutreiben, war selbst in einer Großstadt wie Stuttgart alles andere als einfach. Und weil besondere Umstände eben besondere Maßnahmen erfordern, wagte die resolute Kirchengemeinderätin gemeinsam mit einer Bekannten etwas bisher nie Dagewesenes: Für ein „Werbefoto“ legte sie sich im Schlafanzug auf eine Bank in der Stiftskirche - auf den Schoß jener Bekannten, die ihrerseits ein Handtuch um die Haare gebunden hatte. So, als käme sie gerade aus der Dusche.

„Ich hatte gehofft, dass dieses Bild im Gemeindebrief erscheinen würde“, erzählt die 77-Jährige. Doch das Foto sei nie gedruckt worden. „Ich habe erst sehr viel später mitbekommen, dass wir mit dieser Szene Anstoß erregt hatten.“

Offen gesagt habe ihr dies unmittelbar nach der Foto-Session aber niemand - frei nach der oberschwäbischen Devise „Man sagt ja nichts - ma schwätzt ja bloß“.

Die Stuttgarter Prälatin Gabriele Arnold.Siegfried Denzel/EMH

Die Stuttgarter Prälatin

Wenn Hanne Braun aus ihrer 50-jährigen Zeit als Kirchengemeinderätin erzählt, drängen sich zwei Fragen auf: Wie hat sie die ganze Zeit über durchgehalten - und wie hat ihre Kirchengemeinde sie die ganze Zeit lang ertragen?

Tatsächlich habe sie nicht nur einmal daran gedacht, aufzuhören, räumt die gelernte Sozialarbeiterin ein. Zwei Anlässe waren es dann aber in jüngerer Zeit, die sie zum Weitermachen bewogen haben. Zum einen sei es trotz des Ärgers um das Schlafanzug-Foto der Kirchentag in Stuttgart mit seiner Aufgeschlossenheit für Neues gewesen; zum anderen aber auch 2016 die Wahl der liberalen Theologin Gabriele Arnold zur Stuttgarter Prälatin.

Arnold selbst hatte den Widerstand konservativer Kirchenkreise heraufbeschworen, als sie 2017 die Schirmherrschaft über den Christopher-Street-Day in Stuttgart übernahm. In den Augen von Hanne Braun aber hat Gabriele Arnold damit ein überfälliges Signal gesetzt: Auch Homosexuelle sind in der württembergischen Landeskirche willkommen.

Die Stuttgarter Stiftskirche.Siegfried Denzel/EMH

Bessere Deutsche - durch Ausländer

Und noch ein weiteres Thema liegt Hanne Braun besonders am Herzen: die Flüchtlingsarbeit und die Integration von Migranten. So ist sie als Sozialarbeiterin beim Verein für internationale Jugendarbeit auch lange nach ihrem offiziellen Ruhestand weiter aktiv, betreut Migranten - und sagt über sich: „Ich bin eine bessere Deutsche und eine bessere Christin geworden durch den Umgang mit Ausländern.“ Denn jene „hinterfragen alles“ in ihrer neuen Heimat - und ebnen damit auch neue Wege.

So erinnert sie sich an einen Gottesdienst für und mit christlichen Syrern und anderen Arabern. Es habe zwar Sicherheitsbedenken gegeben  - doch am Ende habe ein 800-stimmiger syrisch-arabischer Chor auf Deutsch die Vertonung des Bonhoeffer-Gedichts gesungen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen...“ 

„Ich kann nicht alle retten“

Dass ihr Engagement nichts mit Blauäugigkeit zu tun hat, macht Hanne Braun aber ebenfalls deutlich - indem sie von einem von ihr betreuten Flüchtling aus Französisch-Guinea berichtet. Ja, sie habe sich für ihn engagiert. Aber dass er aus verschiedenen Gründen abgeschoben werden soll, akzeptiert sie nicht nur - sie versteht es auch. „Ich kann nicht alle retten“, sagt die 77-Jährige.

Weiterhin aktiv

Wenn Hanne Braun von ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichtet, klingt nichts nach einer zufriedenen Rückschau auf ein vollendetes Leben. Nein, da lodert noch etwas.

Und so lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie auch nach ihrem bevorstehenden Ausscheiden aus dem Kirchengemeinderat der Stiftskirche ehramtlich aktiv bleiben will. Zumindest vorerst. Am Seniorennachmittag „ihrer“ Gemeinde will sie noch bis Sommer kommenden Jahres aktiv mitwirken. Auch bei der Gesellschaft für Christlich-Islamische Begegnung und Zusammenarbeit Stuttgart e.V. werde sie vorerst aktiv bleiben. Und auch dem Weltbund christlicher Frauen, dem sie lange Zeit vorstand, will sie die Treue halten.

Dabei hat Hanne Braun mit Stuttgart eigentlich schon lange nichts mehr zu tun: Seit 2008 wohnt sie zusammen mit zwei ihrer insgesamt fünf Geschwistern in Esslingen - „in einer Senioren-WG“, wie sie beschreibt. Dass sie in ihrer Wahlheimat für den „Freundeskreis für Flüchtlinge“ aktiv ist, versteht sich fast von selbst...


Siegfried Denzel

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