|

„Wir sind alle Freunde“

Eine Sommerfreizeit für geflüchtete Jugendliche

60 Jugendliche, elf Nationen, eine Freizeit. Im Freizeitheim Kapf im Schwarzwald hat zum zweiten Mal „FreeStyle“ stattgefunden, eine einwöchige Sommerfreizeit des Evangelischen Jugendwerks Württemberg (EJW) für geflüchtete Jugendliche. Tobias Weimer war einen Tag zu Besuch.

Frisbeescheiben fliegen durch die Luft. Grüne, blaue, rote, orangene. Nach ein paar Probewürfen erklärt Yasin Adigüzel den Jugendlichen auf dem Fußballplatz die Regeln für Discgolf. Mit der Frisbeescheibe sollen sie mit möglichst wenigen Würfen ein zuvor definiertes Ziel treffen, etwa das Tor auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Adigüzel, der als Landesreferent des Evangelischen Jugendwerks (EJW) für „Interkulturelle Öffnung“ zuständig ist und „FreeStyle“ organisiert hat, spricht langsam, gestikuliert viel mit den Händen. Einige Jugendliche haben die Regeln dennoch nicht verstanden. Also nochmal auf Arabisch. Ein junger Mann übersetzt in Farsi. Und endlich geht es los.

Viel zum Mitmachen

„FreeStyle“ ist eine einwöchige Sommerfreizeit, zu der das EJW Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren einlädt. Sie ist nicht nur, aber ausdrücklich auch für geflüchtete Jugendliche. In diesem Sommer sind 60 Jugendliche, mehr junge Männer als junge Frauen, aus elf Nationen im Freizeitheim Kapf bei Nagold zusammengekommen. Viele sind erst seit wenigen Monaten oder gar Wochen in Deutschland, fast alle sind geflüchtet. Die meisten kommen aus Syrien und Afghanistan. Manche sind mit ihrer Familie in Deutschland, andere ganz allein. Manche sind Muslime, andere Christen. Wer woran glaubt ist aber nicht wichtig. „FreeStyle“ als Freizeitname ist wörtlich gemeint, erläutert Adigüzel: „Jeder ist frei, in seinem Stil hier zu sein. Wer Arabisch spricht, spricht Arabisch. Wer Muslim ist, ist Muslim. Wer Christ ist, ist Christ. Wer mitmachen will, macht mit.“

Klettern, Gitarrespielen, Geschicklichkeitsspiele

Zum Mitmachen gibt es viel. An diesem Vormittag sind es sieben verschiedene Workshops. Die Jugendlichen können nicht nur Discgolf spielen, sondern auch T-Shirts bedrucken oder den Kletterturm bezwingen. Einige sind unterwegs beim Geocachen, eine kleine Gruppe lernt ein paar Akkorde auf der Gitarre. Wieder andere beschäftigen sich gemeinsam mit Geschicklichkeitsspielen. Beim Nagelworkshop sitzen die Jugendlichen im Schatten an einem Biertisch und hauen hunderte Nägel in Bretter. So entstehen die Worte „Love“ und „Frieden“.


„FreeStyle“ hat in diesem Jahr zum zweiten Mal stattgefunden, zum ersten Mal im Freizeitheim Kapf bei Nagold im Schwarzwald. Mit der einwöchigen Freizeit möchte das Evangelische Jugendwerk in Württemberg (EJW) geflüchteten Jugendlichen „Ferien von der Flucht“ ermöglichen. Ziel ist es, den 13- bis 17-Jährigen Normalität und Abwechslung vom oft monotonen Alltag in einer Gemeinschaftsunterkunft zu bieten. In diesem Jahr nahmen 60 Jugendliche teil. Wegen der großen Nachfrage bot das EJW zudem 20 weiteren Jugendlichen eine zweite Freizeit an.

Finanziert wird „FreeStyle“ neben einem Teilnahmebeitrag der Flüchtlinge von 20 Euro pro Person vorwiegend aus Spenden. Jugendgruppen, private Unterstützer und das EJW-Laufteam sammelten für „FreeStyle“. Dazu kommen Zuschüsse aus Landesmitteln, der Diakonie und der Landeskirche.


Frieden wünscht sich auch Ahmad (Name von der Redaktion geändert). Man sieht dem jungen Mann mit der Baseballkappe nicht an, was er schon alles erlebt hat. Ursprünglich kommt er aus dem Irak. Im Juli 2015 gelangte er mit seiner Familie nach Deutschland. Zuvor lebten sie ein Jahr in der Türkei. „Sie haben meinem Vater gesagt: ‚Wenn du im Irak bleibst, bist du tot‘“, erzählt Ahmad. „Wir sind dann geflüchtet. Besonders schwierig war es über das Meer.“ Ahmad blickt zu Boden, seine Stimme wird leise. „Aber darüber kann ich nicht sprechen.“

Zum zweiten Mal dabei

Ahmad spricht mittlerweile gut Deutsch, das hat er in den vergangenen Monaten gelernt. Vor einem Jahr war das noch anders, erinnert sich Adigüzel, der den jungen Iraker bereits im Vorjahr bei der ersten „FreeStyle“-Freizeit kennengelernt hat. Kaum in Deutschland angekommen hatte eine Flüchtlingsbetreuerin gefragt, wer zu einer Freizeit mit Spielen und anderen Jugendlichen möchte. „Da war es schwierig wegen der Sprache“, erzählt er. Trotzdem hätte er schon damals gleich gemerkt: „Die Mitarbeiter sind echt gute Leute.“

Beten und miteinander reden

Adigüzel freuen solche Rückmeldungen. Sie motivieren ihn und die 20 weiteren Betreuerinnen und Betreuer. Denn dass bei einer Freizeit mit 60 Jugendlichen nicht immer gute Stimmung herrscht, ist selbstverständlich. Einige der Jugendlichen kommen aus Ländern, die sich traditionell spinnefeind sind. Deshalb hatte Adigüzel am ersten Abend befürchtet, dass es Streit geben könnte. Es hatte den ganzen Tag geregnet, alle mussten im Haus bleiben. Lagerkoller also. „Da hatte ich Angst, dass es Probleme gibt“, sagt er. „Ich habe dann gebetet, dass es funktioniert, dass wir uns gut verstehen. Und so ist es dann auch gekommen. Es ist ein Wunder.“ Die Mitarbeitenden leisten ihren Beitrag zu diesem Wunder. Sie achten darauf, dass die Jugendlichen über Konflikte sprechen. Ahmad jedenfalls sagt: „Wir sind alle Freunde.“

Tobias Weimer


Mehr News

  • Datum: 06.06.2023

    Trauer um Dr. Agnes Abuom

    Weltweite Trauer um Dr. Agnes Abuom: Die langjährige Moderatorin des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) ist in der vergangenen Woche in ihrer Heimat Kenia verstorben. In der Landeskirche erinnert man sich an die „wundervolle Ökumenikerin“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 06.06.2023

    Das wird beim Kirchentag in Nürnberg geboten

    „Jetzt ist die Zeit“ ist das Motto des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg stattfindet. Im Gespräch mit Achim Stadelmaier aus dem Evangelischen Medienhaus erklärt Reporter Matthias Huttner, was die Teilnehmenden erwartet.

    Mehr erfahren
  • Datum: 05.06.2023

    Im Dialog zwischen Landwirtschaft, Kirche und Gesellschaft

    1948 wurde das Evangelische Bauernwerk in Württemberg gegründet. Das Jubiläum wurde am 3. und 4. Juni beim Hohebucher Tag mit einem Festgottesdienst mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl gefeiert.

    Mehr erfahren
  • Datum: 03.06.2023

    Landesbischof Gohl wird 60

    Ernst-Wilhelm Gohl feiert am Samstag, 3. Juni, seinen 60. Geburtstag. „Ermutigung und Hoffnung stark machen – das erlebe ich als unseren Auftrag in diesen Zeiten“, sagt der Landesbischof. „Wir haben allen Grund dazu. Das entspricht der Botschaft des Evangeliums.“

    Mehr erfahren
  • Datum: 02.06.2023

    Anna-Nicole Heinrich im Gespräch

    Der Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, sind vor allem Klimaschutz und Klimagerechtigkeit wichtig. Außerdem will sie die Digitalisierung der Kirche voranbringen. Bei „Alpha & Omega” spricht sie über Erreichtes und ihre Vorstellung von der Zukunft der Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 01.06.2023

    Landesbischof besucht Schneller-Schulen

    Landesbischof Gohl und Kirchenrätin Dr. Christine Keim haben anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der evangelischen Kirche in Beirut die Schneller-Schulen im Libanon und in Jordanien besucht. Außerdem haben sie in der Gedenkstätte Yad Vashem der Opfer der Shoa gedacht.

    Mehr erfahren
  • Datum: 01.06.2023

    Bosnienreise: Dialog zwischen den Religionen

    Der Islambeauftragte Pfarrer Dr. Friedmann Eißler hat auf einer Studienreise Bosnien und Herzegowina besucht. Thema war das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen. Eindrücke gibt es auf unserem Instagram-Kanal (Anmeldung ist nicht nötig).

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.05.2023

    „Pfingsten – Happy Birthday, Kirche“

    Wie der Heilige Geist die Apostel ermutigt, in die Welt hinauszugehen und von Jesus Christus zu erzählen - das feiern wir an Pfingsten. Und davon erzählt Diakonin Ellen Schneider in ihrem geistlichen Impuls, der heute auch im SWR-Jugendradio „DASDING“ gesendet wird.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.05.2023

    „Kein Raum für Überheblichkeiten“

    Landesbischof Gohl hat Pfingsten in Öhringen mitgefeiert und dort auch gepredigt. Dabei wies er auf den Wert der Vielfalt der Gaben und Glaubensstile hin, mit der sich schon die junge Kirche auseinandersetzen musste. Hier finden Sie Sie die Predigt im Wortlaut.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.05.2023

    „Gottes Geist verändert und verbindet“

    Wort der vier Kirchen in Baden-Württemberg zu Pfingsten 2023: Zum bevorstehenden Pfingstfest haben die Bischöfin und die Bischöfe der vier großen Kirchen in Baden-Württemberg an die Kraft des göttlichen Geistes erinnert.

    Mehr erfahren
  • Datum: 25.05.2023

    Tag der weltweiten Kirche in Stuttgart

    „Leben aus der Hoffnung“ – so das Motto des Tags der weltweiten Kirche, den über 20 internationale Gemeinden aus Württemberg am Pfingstmontag als buntes Fest der Begegnung in Stuttgart feiern. Beim Gottesdienst in der Stiftskirche predigt Landesbischof Gohl über Hoffnung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 24.05.2023

    Rainer Köpf wird Dekan in Backnang

    Rainer Köpf (59) ist zum neuen Dekan des Kirchenbezirks Backnang und zugleich auf die Backnanger Pfarrstelle Stiftskirche West gewählt worden. Er folgt damit auf Wilfried Braun, der zum 1. Juni in den Ruhestand geht. Das Datum des Amtsantritts steht noch nicht fest.

    Mehr erfahren
Mehr laden