| Landeskirche

Pilgern ist mehr als Wandern

Württembergische Landeskirche bildet Pilgerbegleiter aus

Der Schweiß läuft Edith Horcher den Nacken hinab, während sie Schritt für Schritt weiter die Anhöhe hinaufläuft. 20 Kilometer Schwarzwald hat sie schon hinter sich gebracht, drei liegen noch vor ihr. Zusammen mit 17 weiteren Pilger-„Azubis“ ist Horcher auf dem Kinzigtäler Jakobsweg im Nationalpark Nordschwarzwald unterwegs. Die Gruppe gehört zum ersten Ausbildungsgang für Pilgerbegleiter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. 

Pilger unterwegsJürgen Rist

Edith Horcher ist leidenschaftliche Wanderin. Seit vielen Jahren ist sie regelmäßig im Schwarzwald unterwegs. Sie freut sich über die ersten Krokusse oder die roten Blätter der Pappeln im Herbst. „Ich möchte Pilgerbegleiterin werden, um diese Erlebnisse und Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen. Ich möchte ihnen die Schönheit der Natur, dieses Geschenk Gottes, bewusst machen“, sagt sie.

Große Nachfrage nach Pilgerreisen

Jürgen Rist leitet das Seminar „Ausbildung zum Pilgerbegleiter“, an dem die 53-Jährige teilnimmt. Der Diakon ist bei den Missionarischen Diensten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg tätig. „Beim Pilgern geschieht etwas mit den Menschen, es ist mehr als bloßes Wandern“, erklärt er. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Wanderweg trägt ein Pilgerpfad immer eine gewisse Symbolik in sich. Ein Weinberg am Wegesrand etwa lädt zu einem Impuls über Jesu Gleichnis der Weinarbeiter ein. Mittlerweile sei die Nachfrage nach Pilgerangeboten allein in Württemberg so hoch, dass eine Einzelperson gar nicht genug Führungen anbieten könne, berichtet Rist. Pilgerbegleiter sollen die Lücke füllen.

Nach der Theorie die Praxis

Die Ausbildung zum Pilgerbegleiter findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Aufgeteilt ist sie in einen Pilger-Schnuppertag und drei mehrtägige Module. Das erste Modul besteht aus einem Theorieblock und einer Wanderung. Am ersten Abend lernen die Teilnehmer, in typischer Klassenzimmeratmosphäre, wie man eine Pilgerfahrt aufbaut und auch welche rechtlichen und versicherungstechnischen Fragen es zu beachten gilt. Am nächsten Tag wird die erste Strecke des Kinzigtäler Jakobswegs von Allerheiligen im Nationalpark Nordschwarzwald nach Mitteltal zurückgelegt. „Pilgern lernt man durch pilgern“, sagt Jürgen Rist. Er begleitet die Gruppe zusammen mit seinem Kollegen Pfarrer Achim Brodback. Unterwegs erläutern sie, warum an welcher Stelle ein Impuls abgehalten, eine Pause gemacht oder ein Gebet gesprochen wird. Learning by Doing.

Fotolia - Anna Reinert

„Als Pilgerbegleiter erreicht Pilgern eine neue Dimension“, schwärmt der überzeugte Pilger Rist. „Man ist nicht mehr nur ein Individuum auf dem Weg, sondern verantwortlich für den Verlauf der Tour.“ Für ihn macht die Gruppendynamik einen wesentlichen Teil des Pilgerns aus. „Ich verstehe nicht, warum so viele Leute allein pilgern“, so Rist. „Gerade das Teilen von Gedanken, aber auch so simplen Dingen wie Mahlzeiten und Wasser mit anderen, das Zusammenwachsen von Fremden zu Gefährten, sollte meiner Meinung nach ein wesentlicher Teil der Erfahrung sein.“

Impulse am Wegesrand

Auch die angehenden Pilgerbegleiter wachsen während der Ausbildung als Gruppe zusammen. Nach Abschluss des ersten Moduls erhalten sie ihre erste echte Bewährungsprobe: Sie sollen in Kleingruppen selbst ein Stück des Weges im Nationalpark Nordschwarzwald vorbereiten. „Teil des Pilgerns ist immer auch die Inszenierung“, gibt Jürgen Rist ihnen auf den Weg. „Wo halte ich, welchen Weg gehe ich, welche Impulse gebe ich wo? Denn erst durch diese Erfahrungen wird der Weg zur Pilgerfahrt und ist kein bloßer Ausflug mehr.“ All das müssen die Pilger-„Azubis“ bedenken. Edith Horcher und ihre Gruppe bereiteten die zehn Kilometer lange Strecke von Loßburg bis Alpirsbach, entlang des Flößerweges vor. „Wir haben uns auch über die die Geschichte des Wegstücks informiert“, erklärt Horcher. Die harte Arbeit etwa, die die Flößer und Waldarbeiter verrichten mussten, um ihre Familien zu ernähren, habe sie zu einem geistlichen Impuls inspiriert

Zweiter Ausbildungsgang gestartet

Die Auswahl der richtigen Impulse und die sichere Führung einer Gruppe von Menschen erfordern neben theologischen, auch ausgeprägte pädagogische Fähigkeiten. Davon ist Jürgen Rist überzeugt. Deshalb müssen die angehenden Pilgerbegleiter mehr mitbringen, als die Liebe zur Natur und die Freude an der Begegnung mit Menschen. „Ein ausgeprägter Bezug zur Theologie ist erwünscht und Erfahrung in einer leitenden pädagogischen Position ist Voraussetzung, um am Seminar teilnehmen zu können“, sagt Rist. In Württemberg scheint es genug fähige Menschen zu geben. Nach dem großen Erfolg der Pilotgruppe, sind bereits die nächsten Pilger in die Ausbildung zum Begleiter gestartet.

Marie-Louise Neumann


Mehr News

  • Datum: 22.04.2024

    Innovationstag: Jetzt anmelden!

    Frische Ideen fürs Gemeindeleben: Unter dem Motto „#gemeindebegeistert – Kirche lebt, wo dein Herz schlägt“ veranstaltet die Landeskirche am 4. Mai einen großen Innovationstag. In Projektpräsentationen und Workshops gibt’s Austausch und Tipps. Jetzt anmelden

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.04.2024

    KI in der Gemeindearbeit einsetzen

    Was ist Künstliche Intelligenz und was ist damit anzufangen? Eignet sich KI auch für die Gemeindearbeit und wo konkret kann sie dort zielgerichtet angewendet werden? Mit diesen Fragen befasst sich am 16. Mai ein Online-Seminar des Evangelischen Medienhauses.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.04.2024

    „Konfirmanden ist Glaube wichtiger als Geschenke“

    Frontalunterricht gibt es kaum noch im Konfi-Unterricht, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ilg von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg im Interview. Die Konfi-Arbeit sei nach wie vor das Angebot mit der größten Reichweite in der Evangelischen Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    „Kirche mit Kindern“ ist einfach lebendig

    Vom Kindergottesdienst zu einer Kirche für die ganze Familie: Lebendiger und spannender Gottesdienst mit neuen Herausforderungen. Wir haben Sabine Foth gefragt, wie sich die Kirche mit Kindern zu einer Familienkirche gewandelt hat und was ihr an der Arbeit besonders gefällt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    Video: Multitalent mit Down-Syndrom

    Tamara Röske hat viele Talente: Schauspielern, Modeln und Leichtathletik – trotz Handicap. Die 28-Jährige hat das Down-Syndrom. Wie bringt sie alles unter einen Hut? Darüber spricht sie zusammen mit ihrer Mutter Antje mit „Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.04.2024

    „Der Segen Gottes gilt uns allen“

    Mit einem Gottesdienst in der Klosterkirche Mariaberg bei Gammertingen hat am 13. April die ökumenische Woche für das Leben begonnen. Sie stellt unter dem Motto die Lebenswirklichkeiten Jugendlicher und junger Erwachsener mit Behinderungen in den Mittelpunkt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Segen, Mut & Traubenzucker

    In diesen Wochen stehen an vielen Schulen Abschlussprüfungen an - für Schülerinnen und Schüler eine stressige Zeit. Die Ev. Jugendkirche Stuttgart macht mit einem speziellen PrüfungsSegen Mut und stellt auch anderen Gemeinden Materialien zur Verfügung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Digitaler Notfallkoffer für die Seele

    Hilfe in persönlichen Krisenmomenten bietet die KrisenKompass-App der Telefonseelsorge fürs Handy und Tablet. Sie bietet Unterstützung, um schnell wieder auf positive Gedanken zu kommen oder bei Bedarf rasch professionelle Hilfe finden zu können.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Zum 200. Todestag von Beata Regina Hahn

    Vor 200 Jahren starb Beata Regina Hahn, die zweite Ehefrau des Mechanikerpfarrers Philipp Matthäus Hahn, Tochter von Johann Friedrich Flattich und Mutter der Schulgründerin Beate Paulus. Als Herausgeberin von Hahns Schriften prägte sie dessen Bild für viele Jahre.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    „Wir beten, dass die zerstörende Gewalt ein Ende nimmt“

    Die Landeskirchen in Württemberg und Baden haben den Jüdinnen und Juden im Land Grüße zum Pessach-Fest übersandt. Darin nehmen Landesbischof Gohl und Landesbischöfin Springhart Bezug auf den Angriff der Hamas wie auch auf den Raketenangriff des Iran auf Israel.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    Hoffnung wird durch Menschen vermittelt

    Bei einer religionspolitischen Tagung der SPD-Bundestagsfraktion am 12. April in Berlin unter dem Titel „Mehr Zuversicht! Mit Hoffnung die Zeiten wenden“ betonte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, wer die Verwurzelung in Jesus Christus spüre, werde für andere zur Hoffnung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 13.04.2024

    Landesbischof Gohl: "Wir stehen an der Seite Israels"

    "Der Angriff des Iran bedroht die Existenz Israels. Wir müssen daran erinnern, dass alles mit dem Pogrom der Hamas an Israel begann." Gohl weist weiterhin auf die israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas hin.

    Mehr erfahren
Mehr laden