01.04.2020 Geschützt vor Corona, bedroht in der Familie
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Gesellschaft
Geschützt vor Corona, bedroht in der Familie
Experten: Häusliche Gewalt wird zunehmen - Hier gibt's Hilfe
Stuttgart/Ulm. Die gute Nachricht zuerst: Rund zwei Wochen nach Inkrafttreten strenger Kontaktbeschränkungen als Reaktion auf die Corona-Pandemie „vermerken wir noch keine signifikante Häufung von häuslicher Gewalt“, berichtet Diplom-Sozialarbeiterin Christiane Scheible vom Verein „Frauen helfen Frauen“ in Ulm. Sie fügt aber hinzu: Dies könne sich „unserer Einschätzung nach jederzeit ändern“.
Auch Ursula Kress, Beauftragte für Chancengleichheit im Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und Ansprechpartnerin in Fällen sexualisierter Gewalt, befürchtet für die nächste Zeit einen deutlichen Anstieg von Fällen häuslicher Gewalt. Denn: „Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus führen zu erheblichen familiären Belastungen.“
Ihre Sorge teilt Ursula Kress mit vielen Experten. So sagte der Berliner Paartherapeut und Beziehungscoach Hergen von Huchting gegenüber dem „Tagesspiegel“: „Die häusliche Gewalt wird steigen, das ist jetzt schon klar. In China schnellten nach vier Wochen Quarantäne die Scheidungsraten in die Höhe.“
Christiane Scheible vom Ulmer Verein „Frauen helfen Frauen“ spricht ebenfalls davon, dass es wohl „eine Häufung geben wird“ an Fällen, in denen familiäre Spannungen in Handgreiflichkeiten münden - beschleunigt in Zeiten geschlossener Schulen, Homeoffice und Sorgen um die berufliche Existenz.
Frauenhaus voll belegt
Fatal dabei: Zumindest in Ulm ist das Frauenhaus nach Scheibles Angaben bereits jetzt „voll belegt, so dass wir schon aus diesem Grunde niemanden aufnehmen können". Selbst wenn noch Platz wäre, würden in der aktuellen Corona-Situation weder die Ulmer Einrichtung noch die meisten anderen Frauenhäuser neue Schutzsuchende aufnehmen. „Das Risiko einer Infizierung für die bereits im Frauenhaus lebenden Frauen und für die Mitarbeiterinnen ist zu groß“, begründet die Diplom-Sozialarbeiterin.
Kontaktadressen für Hilfesuchende
Häusliche Gewalt sei zwar „eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen“, erklärt unterdessen die landeskirchliche Gleichstellungsbeauftragte Ursula Kress. Zudem könnten aber auch Kinder und „auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen sein“. Sie hat deshalb zusammengetragen, an welche Kontaktadressen sich Hilfesuchende in Baden-Württemberg wenden können.
Frauenschutzhäuser und -wohnungen, die in fast allen Landkreisen existieren, können rund um die Uhr von Hilfesuchenden kontaktiert werden. Die Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt beraten über weitere Hilfsangebote. Beispielsweise kann im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes auch ein Wohnungsverweisdes Täters oder der Täterin aus der gemeinsamen Wohnung erfolgen. Im dringenden Notfall ist der Notruf 110 zu wählen.
Die in Ihrer Nähe befindlichen Psychologischen Beratungsstellen im Gebiet der Evangelischen Landeskirche in Württemberg können Sie über die interaktive Landkartefinden.
Der Krisen- und Notfalldienst Stuttgart (EVA Stuttgart) steht allen Menschen in Stuttgart offen, die in einer Notlage sofortige Hilfe benötigen. Psychische Probleme oder belastende Lebenssituationen wie Stress, Gewalterfahrung oder der Verlust eines nahestehenden Menschen können zu einer akuten Krisensituation führen.
Der Krisen- und Notfalldienst ist telefonisch erreichbar unter der Rufnummer 01 80 - 511 0 444 (14 Cent/Min. aus dem Festnetz, bis zu 42 Cent/Min. aus dem Mobilnetz – kostenloser Rückruf möglich):
Unter der kostenlosen Telefonnummer 08000/116 016 beraten und informieren Mitarbeiterinnen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ in 18 Sprachen und zu allen Formen von Gewalt gegen Frauen.
Das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ ist unter der Nummer 0800/22 55 530 montags, mittwochs und freitags von 9-14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr erreichbar.
Das Elterntelefon richtet sich an Mütter und Väter, die sich unkompliziert und anonym konkrete Ratschläge holen möchten. In ganz Deutschland sind Beraterinnen und Berater unter der kostenlosen Rufnummer 0800/111 0550 montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr und dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr erreichbar.
Die „Nummer gegen Kummer“ bietet Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und Eltern. Das Kinder- und Jugendtelefon ist unter der Rufnummer 116 111 zu erreichen - von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr.
Kinder und Jugendliche, die zuhause Pflegeleistungen übernehmen, können über das Projekt „Pausentaste“ gezielte Beratung und Informationen für ihre Situation erhalten. Die Hotline 116 111 erreichen ratsuchende Kinder und Jugendliche von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr. Das Beratungsangebot ist kostenlos und auf Wunsch auch anonym. Auch Chat-Beratung ist möglich.
Nethelp4U ist ein Angebot des Evangelischen Jugendpfarramts Stuttgart und der Evangelischen Jugend Stuttgart. Jugendliche beraten Jugendliche über eMail-Kontakt.
Hotels und Pensionen als Übergangslösung
Um von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kindern auch in Zeiten eines Aufnahmestopps im Frauenhaus eine Übergangs-Bleibe bieten zu können, ist der Ulmer Verein „Frauen helfen Frauen“ nach Worten von Sozialarbeiterin Christiane Scheible im Gespräch mit der dortigen Stadtverwaltung: Es sollen dabei alternative Lösungen wie die Unterbringung in Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungen gefunden werden.
Gleichzeitig widersprach sie Befürchtungen, dass Frauenschutzeinrichtungen als Folge der Corona-Kontaktbeschränkungen geschlossen werden könnten: Frauenhaus und -beratungsstelle seien weiterhin geöffnet. „Eine Schließung wäre auch fatal“, kommentierte sie.
Noch keine Zahlen von der Polizei
Unterdessen kann das Polizeipräsidium Ulm noch keine genauen Angaben zur häuslichen Gewalt in Corona-Zeiten machen. Angesichts der „kurzen Zeitspanne“ seit Inkrafttreten der Infektionsschutz-Maßnahmen „ist es statistisch nicht möglich, Aussagen zu treffen, ob Fallzahlen gestiegen sind oder nicht“, betonte Sprecher Joachim Schulz.
Aber: „Einsätze im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt oder Streitigkeiten beschäftigen die Polizei das gesamte Jahr über und nicht nur seit der Corona-Krise.“
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