24.11.2025

Jede Stimme zählt: „Die Kirchenwahl ist ein zentraler Beitrag zur Zukunft unserer Kirche und zur Gesellschaft insgesamt“

Interview mit Oberkirchenrat Christian Schuler

Am 30. November stehen die Kirchenmitglieder der württembergischen Landeskirche vor wichtigen Entscheidungen: Sie wählen ihre Kirchengemeinderäte und ganz direkt Ihre Landessynodalen. Oberkirchenrat Christian Schuler, verantwortlich für die Organisation der Wahl in der Landeskirche, spricht im Interview über die Bedeutung dieser Wahl in Zeiten kirchlicher und gesellschaftlicher Umbrüche und kirchlicher Reformprozesse. Er weist auf die Chancen zur Mitgestaltung, auf kreative Wahlaktionen und die Rolle der Kirche als relevanter gesellschaftlicher Akteur hin. Sein Appell: Jede Stimme zählt.

Sommertagung der 16. Landessynode.
Oberkirchenrat Christian Schuler

Welche Bedeutung hat diese Wahl – gerade in Zeiten gesellschaftlicher und kirchlicher Veränderung? 

Christian Schuler: Die Wahl ist enorm wichtig. Je breiter wir im Kirchengemeinderat und der Landessynode aufgestellt sind, desto besser können wir auf Veränderungen reagieren. Kirche befindet sich in einem dauerhaften Reformprozess – Stillstand gibt es nicht. Aber Veränderung gelingt nur, wenn Menschen bereit sind, sich einzubringen und mitzugestalten. Und die Kirche bleibt ein relevanter gesellschaftlicher Akteur – etwa durch ihr Engagement in der frühkindlichen Bildung: Allein in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg fließen rund 50 Millionen Euro jährlich aus Kirchensteuermitteln in kirchliche Kitas. Das zeigt, wie stark Kirche zur Gesellschaft beiträgt. Gerade in Krisenzeiten – ob durch politische Spannungen, Kriege oder Pandemien – brauchen Menschen Seelsorge und Begleitung. Das kann Kirche leisten, mit echter Nähe und Nächstenliebe, wie sie etwa in der Diakonie gelebt wird. 

Gleichzeitig stehen wir vor schwierigen Entscheidungen: knappe Mittel, Rückbau, Immobilienfragen ... Umso wichtiger ist es, dass Menschen Verantwortung übernehmen und mitentscheiden – sei es aktiv durch Kandidatur oder passiv durch ihre Stimme. Die Wahl ist ein zentraler Beitrag zur Zukunft unserer Kirche und zu unserer Gesellschaft insgesamt.  

Gibt es Trends bei der Bereitschaft, sich an der Kirchenwahl zu beteiligen – sei es durch Kandidatur oder Stimmabgabe? 

Christian Schuler: Es gibt eine gewisse Kontinuität, aber auch Veränderungen. Junge Menschen beteiligen sich zunächst rege, dann sinkt die Wahlbeteiligung in der Lebensphase von Ausbildung und Berufseinstieg, steigt aber später wieder an – etwa mit Familiengründung. Insgesamt nimmt die Bereitschaft leicht ab, aktuell liegt die Wahlbeteiligung bei rund 25 %. 

Was die Kandidatur betrifft, beobachten wir, dass sich weniger Menschen langfristig binden wollen. Ehrenamtliches Engagement findet heute eher in kürzeren, projektbezogenen Formen statt, das ist ebenso willkommen wie ein langfristiges Engagement als Gremiumsmitglied. Die Aufgaben im Kirchengemeinderat und in der Landessynode werden für sechs Jahre übernommen, sind verantwortungsvoll und komplex – das schreckt manche ab. Themen wie Immobilien und Einsparungen machen die Arbeit nicht leichter. Sie sind aber auch Chancen zur Mitgestaltung. Gerade der Kirchengemeinderat ist nicht nur ein Gremium, das verwaltet, sondern es ist für mich auch ein geistliches. 

Gibt es typische Herausforderungen bei der Organisation einer Kirchenwahl – oder Besonderheiten bei der aktuellen Wahl? 

Christian Schuler: Ja, die rechtlich korrekte Durchführung ist für uns im Oberkirchenrat zentral – und bei der Vielzahl an Beteiligten, von Ehrenamtlichen bis zu Pfarramtssekretariaten, immer anspruchsvoll. Eine große Herausforderung ist die Logistik: Seit einigen Jahren versenden wir flächendeckend Briefwahlunterlagen, was eine präzise Abstimmung in allen Gemeinden erfordert. Hinzu kommt die zentrale Produktion und Verteilung der Wahlwerbung für die Landessynode – bei rund 1.000 Gemeinden in 15 Wahlkreisen ist das ein erheblicher Aufwand. Was sich verändert hat: Viele Menschen beschäftigen sich erst kurzfristig mit der Wahl, was durch digitale Formate wie Teams-Talks oder Hotlines aber gut aufgefangen werden kann. Wir versuchen, die Abläufe zu vereinfachen – etwa bei Formularen oder Beschlüssen. Gleichzeitig merken wir, dass erfahrene Ehrenamtliche oft nicht mehr zur Verfügung stehen und neue, jüngere Engagierte mehr Begleitung brauchen. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht nur in diesem Wahljahr beobachten. 

Herr Schuler, es ist nicht Ihre erste Kirchenwahl. Wie viele haben Sie denn bisher begleitet? 

Christian Schuler: Die erste Kirchenwahl, die ich im Oberkirchenrat begleitet habe, war 2007. Das heißt, jetzt ist es bereits die vierte Wahl, die ich verantwortlich begleite. Davor war das Thema Kirchenwahl für mich schon familiär präsent – ich bin Pfarrerskind und hatte dadurch immer wieder Berührungspunkte damit. Als Kind ist man natürlich nicht direkt involviert, aber man hilft schon mal mit: Umschläge kuvertieren, Aufkleber verteilen – und in meiner Jugend war das die große Zeit der „Buttons“, diese kleinen Anstecker, die man an die Kleidung machen konnte.  

Was hat sich im Vergleich zu heute bei der Kirchenwahl noch verändert? 

Christian Schuler: Vieles hat sich stark digitalisiert und ist schneller geworden. Ich erinnere mich noch: Bei der ersten Wahl 2007 bekam man ein Telefax mit den Ergebnissen. Heute läuft alles über E-Mail.  

Die Schulungen für die Ortswahlausschüsse – also die Gremien, die die Wahl in den Gemeinden verantworten – fanden früher nur in Präsenz statt. Heute bieten wir digitale Formate an: Online-Schulungen, Teams-Talks, offene Fragerunden, bei denen man sich einfach zuschalten und Fragen stellen kann.  

Was ich auch beobachte: Der Wahlkampf ist etwas „zugespitzter“ geworden. Besonders bei der Synodalwahl werden einzelne Themen stark hervorgehoben und sehr verkürzt dargestellt. Andererseits ist das wohl auch Teil der politischen Auseinandersetzung: In der Kürze liegt die Würze. Das ist dann ein Kontrast, wenn man sich intensiver mit den Hintergründen beschäftigt – gerade wenn man wie ich viel in der kirchlichen Verwaltung unterwegs ist. 

Gibt es besondere Aktionen rund um die Kirchenwahl, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind? 

Christian Schuler: Besonders amüsant war das „höchste Wahllokal der Welt“ – auf dem Ulmer Münster. Dort konnte man seine Briefwahlunterlagen oben auf dem Turm abgeben, inklusive kostenlosem Aufstieg. Eine tolle Aktion, die viele genutzt haben. Spannend war auch ein Wettbewerb um 100 % Wahlbeteiligung: In kleinen Gemeinden gingen Ehrenamtliche von Tür zu Tür, um die Briefwahl zu organisieren – mit Erfolg. Schon kurz nach Öffnung des Wahllokals kam die Meldung: „Wir haben 100 %.“ Auch Wahlcafés und Straßenwahlkampf zur Synode, etwa mit Plakaten oder Marktständen, sorgten für Aufmerksamkeit. Und dann gab es noch eine kontroverse Aktion: Eine junge Frau warb mit einem Tattoo über dem Gesäß für die Kirchenwahl – damals ein kleiner Skandal, heute wohl kaum noch ein Aufreger. Solche Geschichten zeigen, wie vielfältig und lebendig Wahlkampagnen in der Kirche sein können. Heute spielen die sozialen Netzwerke bei der Bewerbung der Wahl eine große Rolle. Dieses Jahr hatten wir beispielsweise einen Pfarrer, der mit einem sehr eindrücklichen Appell im Gottesdienst viral gegangen ist, und ein Computerspiel, das extra entwickelt wurde. 

Wie war die Resonanzen darauf? 

Christian Schuler: Das Video des Pfarrers wurde häufig geteilt und es gab viel Zuspruch. Und es haben sich daraufhin tatsächlich Menschen dazu aufgemacht, das Amt des Kirchengemeinderats in dieser Gemeinde zu übernehmen.  

Von den bisherigen Kirchenwahlen – gibt es eine, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? 

Christian Schuler: Ja, die Wahl 2013 wird mir immer in Erinnerung bleiben – aus einem ganz persönlichen Grund: Meine Frau war damals hochschwanger, und ich wollte die Geburt unserer Tochter auf keinen Fall verpassen. Der errechnete Termin war bereits lange überschritten, und am Wahlabend war die Anspannung besonders groß. Ich hatte extra ein separates Handy nur für sie eingerichtet, falls es mit der Geburt losgehen sollte, das war für mich wichtiger als die Wahl (Ich hatte damals aber auch ein Backup im Wahlbüro dabei, meinen Amtsvorgänger im Dezernat 8). Als es dann klingelte, dachte ich: Jetzt geht’s los! Aber es war nur mein damals zweijähriger Sohn, der mir gute Nacht sagen wollte. Unsere Tochter kam dann am nächsten Morgen gesund zur Welt – ein unvergesslicher Moment inmitten des Wahltrubels. 

Sie haben seit 2007 jetzt mit dieser vier Kirchenwahlen intensiv begleitet. Gibt es etwas, was Ihnen dabei noch besonders wichtig ist? 

Christian Schuler: Ich möchte allen danken, die zur Kirchenwahl beitragen – nicht nur den Kandidatinnen und Kandidaten oder den Ortswahlausschüssen, sondern besonders auch denen im Hintergrund: Pfarramtssekretärinnen, Pfarrerinnen und Pfarrer, Kolleginnen und Kollegen im Oberkirchenrat und den Regionalverwaltungen, und natürlich den Assistenzen der Gemeindeleitung und den Kirchenpflegenden. Sie organisieren, motivieren, beantworten Fragen – oft über das normale Maß hinaus. 

Diese Menschen bekommen selten öffentliche Anerkennung, aber ohne sie wäre die Wahl nicht möglich. Mein Dank gilt ihnen allen. Und mein Appell: Nehmen Sie teil – aktiv oder passiv. Nutzen Sie die Briefwahl, gehen Sie ins Wahllokal, werben Sie mit. Jede Stimme zählt, denn Kirche lebt von Beteiligung. 

Deine Stimme zählt – Wahlen in Kirche und Politik | Alpha & Omega TV

Deine Stimme zählt – Wahlen in Kirche und Politik | Alpha & Omega TV

Welche Bedeutung haben Wahlen in Kirche und Politik? Warum lohnt es sich, wählen zu gehen? Und was kann helfen, die Beteiligung zu stärken? Darüber spricht Moderatorin Juliane Eberwein mit ihren Gästen Christian Schuler, Oberkirchenrat, Evangelische Landeskirche in Württemberg und Prof. Dr. Frank Brettschneider, Politik- und Kommunikationswissenschaftler, Universität Hohenheim bei Alpha & Omega.

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Grafik Kirchensteuer wirkt Begleitung und Gottesdienst

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