Jörg Beurer, Vorsitzender des Ausschusses für Diakonie, fasst die Diskussion des Gremium zum Sterbehilfe-Urteil zusammen.
Synodale diskutieren über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe hat einen großen Gesprächsbedarf in der Synode offenbart. „Der Ausschuss ist sich einig, dass dieses Urteil eine fundamentale Bedeutung für das kirchliche Handeln und Selbstverständnis hat“, fasste Jörg Beurer, Vorsitzender des Ausschusses für Diakonie, die Diskussion in dem Gremium zusammen.
Das höchste deutsche Gericht hat den § 217 des Strafgesetzbuchs – zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe – für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Richter sehen drin einen Verstoß gegen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, weil die Möglichkeit einer assistierten Selbsttötung faktisch unterbunden wird.
Recht gilt in jeder Lebensphase
Abgeleitet wird das Recht, sich selbst zu töten, aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, und zwar in jeder Lebensphase, unabhängig vom Gesundheitszustand des sterbewilligen Menschen. Der Staat habe aber das Recht und die Pflicht, das Leben besonders vulnerabler Menschen durch Regulierung und Kontrolle zu schützen. Zudem dürfe niemand zur Suizidhilfe verpflichtet werden
„Vor konkreten konzeptionelle Ableitungen (…) braucht es eine Klarheit darüber, wie der Gesetzgeber auf das Urteil reagieren wird, welche möglichen Regularien gelten werden“, sagte Beurer weiter. Bei der inhaltlichen Entwicklung der Neuregelungen und Rahmenbedingungen solle Kirche aktiv und konstruktiv mitwirken. Die Forderung des Landesbischofs, die Hospiz- und Palliativarbeit auszubauen, wird deutlich unterstützt.
Als Möglichkeit formulierte Beurer: „Nicht der gesetzliche Rahmen löst den Widerspruch aus, sondern das Bild davon, in welcher Gesellschaft wir leben.“ Und er warf die Frage auf: „Können wir eigentlich diese grundsätzliche, allgemeine Ebene von der persönlichen trennen?“ Er hege da Zweifel. „Könnte es so sein: Das Grundsätzliche muss für das Persönliche taugen, sonst taugt es zu nichts?“
Reaktionen in der Aussprache
Mehrere Synodale dankten Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July für seine öffentliche Reaktion und Haltung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und sprachen sich für einen Ausbau der Palliativ- und Hospizarbeit aus. Zugleich definierten sie es als eine Aufgabe, die Gestaltung der neuen Gesetze politisch-kritisch im Sinne des christlichen Menschenbilds zu begleiten.
Eckart Schultz-Berg (Stuttgart) machte deutlich: „Es ist die tiefe Angst vor Leid und vor dem Weg in den Tod, mit der wir heute nicht mehr umgehen können.“
Das Wichtigste sei, so Cornelia Aldinger (Kirchheim/Teck, Nürtingen), „Menschen mit dem lebendigen Gott in Berührung zu bringen, der Leben schenkt - über den Tod hinaus.“
Thomas Burk (Weinsberg, Neuenstadt, Öhringen) sieht eine wichtige Aufgabe darin, zu beobachten, ob der Druck für einzelne Menschen vielleicht erhöht wird. „Da muss Kirche wach sein.“
Andrea Bleher (Künzelsau, Schwäbisch Hall, Gaildorf) betonte, es gehe nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um ethische Abwägungen auf Basis des christlichen Menschenbildes.
Hellger Koepff (Ravensburg, Biberach) führte aus: „Diese Frage führt uns an die Grundlagen unserer Theologie und unseres Menschseins“. Er bedauerte, dass es mittlerweile ein „Diktat des gelingenden Sterbens“ gebe. Kirche müsse Diskursräume in der Erwachsenenbildung schaffen, wo Menschen sich in dieser Frage austauschen können.
Peter Reif (Stuttgart) rief die Angehörigen in Erinnerung, die in der Begleitung nicht alleingelassen werden dürften.
Die Schlussäußerung des Ausschussvorsitzenden Beurer beschäftige ihn seit vielen Jahren, sagte Landesbischof July: „Ich frage mich immer wieder: Ist das Normative jetzt gefragt, und wie geht das dann mit den menschlichen Ausnahmesituationen zusammen?“
Oberkirchenrat Prof. Ulrich Heckel kündigte ein Diskussionspapier zum Paradigmenwechsel hinsichtlich der menschlichen Würde an, das mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart abgestimmt sei und in einigen Wochen erscheinen werde. Der Paradigmenwechsel hinter dem Urteil sei kritisch zu hinterfragen. Heckel nannte als ein Beispiel die Gefahr der Ökonomisierung des Sterbens. Es müsse unbedingt vermieden werden, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu einer Unterscheidung zwischen wertem und unwertem Leben führe.
Zum Ende der Debatte machte Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg deutlich, dass Selbstverantwortung immer auch Verantwortung vor Gott sei. Es könne nicht um einen Kriterienkatalog gehen, weil man damit festlegen würde, welche Kriterien einen Suizid rechtfertigen. Dies würde dem Einzelnen nicht gerecht.
Zum gesellschaftlichen Klima müsse Kirche sich bewusst zu Wort melden, so Kaufmann weiter. „Wir diskutieren in der Diakonie jetzt, wie entscheidet ein Pflegeheim, ob es eine Sterbehilfeorganisation ins Haus lässt?“ Sie würden diese Diskussion in tiefer Ernsthaftigkeit und mit großem Respekt führen.