Vom Bäcker zum Bürgermeister

475. Todestag von Jos Weiß (~1480 - 1542)

Für einen kurzen Moment trat die kleine Reichsstadt Reutlingen auf die Bühne der Weltgeschichte: Als im Juni 1530 in Augsburg die „Confessio Augustana“ unterzeichnet wurde, standen neben den Unterschriften der großen protestantischen Fürsten auch die zweier Reichsstädte – die des reichen Nürnberg und die Unterschrift des Reutlinger Bürgermeisters Jos Weiß.

Reutlingen war damals in einer heiklen Lage: Die Predigten des Reformators Matthäus Alber waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Doch war die Reichsstadt abhängig vom katholischen habsburgischen Kaiser und außerdem permanent bedroht vom umgebenden, zu der Zeit ebenfalls habsburgischen Württemberg. Es bedurfte also einer vorsichtigen, klug abwägenden Politik von Seiten der Bürgerschaft, um an der Reformation festhalten und gleichzeitig machtpolitische Bedrohungen abwehren zu können. Niemand prägte diese Politik so sehr wie Jos Weiß.

Über sein persönliches Leben weiß man recht wenig. Geboren wurde er vermutlich um 1480. Hielt man ihn früher für einen Weingärtner, wird heute eher angenommen, dass Weiß Bäcker war. Seit 1520 durchlief er die Stufen einer politischen Karriere in Reutlingen – als Zunftmeister, Spendenpfleger, Angehöriger des Rats und ab 1530 bis zu seinem Tod als Bürgermeister. Weiß vertrat Reutlingen auf Städtetagen und Reichstagen, reiste nach Ulm und Frankfurt, nach Schmalkalden und Schweinfurt. Er schloss sich 1529 der Speyrer Protestation an, schmiedete Bündnisse, suchte den Schulterschluss mit den reformiert geprägten oberdeutschen Städten und verankerte Reutlingen mit der Unterschrift unter die Augsburger Konfession doch fest im Lager der Lutherischen.

Über Wochen und Monate war Weiß unterwegs. Immer wieder bat er die Bürgerschaft um Ablösung oder wenigstens um mehr Spesen. Die langen Abwesenheiten waren schließlich auch ein wirtschaftliches Risiko. Von Augsburg schrieb er, man solle ihn doch abberufen, "darmit ich auch zu meinem Handel komen köne, in den Herbst, denn es liegt mir vill daran".

Jos Weiß starb auf der Anreise zu einem Reichstag in Nürnberg am 11. August 1542 in Eschenbach. Sein Andenken wird in seiner Heimatstadt in Ehren gehalten. Als man dort Ende des 19. Jahrhunderts die Marienkirche aufwändig sanierte, stellte man vier Statuen auf, Heiligenbilder der Reformation: die Großreformatoren Luther und Melanchthon, den Reutlinger Reformator Matthäus Alber und eben Jos Weiß – drei Theologen und ein Handwerker.

Jos Weiß steht für die Erkenntnis, dass die Reformation ebenso ein politischer wie ein theologischer Prozess war, auch da, wo es nicht nur um Machtpolitik ging. Reutlingen konnte sich als eine kleine Reichsstadt in gefährlichen Zeiten behaupten, ohne von seinen religiösen Überzeugungen zu lassen. Nur so war dort die Reformation überhaupt (so früh) möglich. Weiß hatte daran mit kluger, umsichtiger Politik großen Anteil – auch weil er sie, nach allem, was man weiß, mit fester Glaubensüberzeugung verband.

Johannes Grützmacher

Meldungen, die Sie interessieren könnten

Zum 500. Jahrestag der Schlacht bei Böblingen

Am 12. Mai 1525 verlor ein Bauern-Heer die entscheidende Schlacht bei Böblingen gegen den Schwäbischen Bund. Ihre Forderungen gegenüber dem Adel blieben unerreichbar. Luther dagegen setzte auf die Kooperation mit den Fürsten und erreichte so die Reformation der Kirche.

Weiterlesen

„Friedensprojekt Europa gelingt nur durch Überwindung des Nationalismus“

„Der 8. Mai 1945 erinnert uns daran, wie verhängnisvoll ein Nationalismus für Europa ist, der sich mit Rassismus und Imperialismus paart“. Das sagt Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl am 8. Mai in seinem Grußwort bei einem Gedenkkonzert in der Stuttgarter Stiftskirche aus Anlass des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs. Gohl betont, das…

Weiterlesen

LKAS_D-96_Nr-21_P-23669

Zum 50. Todestag von Richard Gölz

Am 3. Mai 1975 starb der württembergische Pfarrer und Kirchenmusiker Richard Gölz nach einem filmreifen Leben in den USA. Bekannt ist er vor allem als Herausgeber des „Chorgesangbuchs“ 1934. Sein Leben richtete er nach Gesang und Gottesdienst aus, ohne sich dabei um Konventionen zu kümmern.

Weiterlesen

Kilianskirche in Mundelsheim ist KiBa-Kirche des Monats

Die Kilianskirche in Mundelsheim besitzt einzigartige Wandmalereien. Nun muss der Fachwerkaufsatz des Turms saniert werden. Die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler (Stiftung KiBa) würdigt St. Kilian als „Kirche des Monats Mai 2025“ und fördert die Turmrestaurierung mit 10.000 Euro.

Weiterlesen

80 Jahre Kriegsende: Kriegschroniken online zugänglich

Das Evangelische Archiv Baden und Württemberg (EABW) hat hunderte historische Kriegschroniken württembergischer Kirchengemeinden online zugänglich gemacht – einzigartige Zeitzeugnisse zur Kriegs- und Nachkriegszeit im deutschen Südwesten.

Weiterlesen

80 Jahre Kriegsende: Gedenken und Geläut

Am 8. Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Aus diesem Anlass wird um 12:00 Uhr an vielen Orten in der württembergischen Landeskirche zu einem (ökumenischen) Friedensgebet eingeladen. Dazu werden die Kirchenglocken geläutet. Landeskirche, EKD und Archiv stellen Materialien bereit.

Weiterlesen

Farbschwäche:

Benutzen Sie die Schieberegler oder die Checkboxen um Farbeinstellungen zu regulieren

Einstellungen für Farbschwäche

Schrift:

Hier können die Schriftgröße und der Zeilenabstand eingestellt werden

Einstellungen für Schrift

Schriftgröße
D
1
U

Zeilenabstand
Q
1
W

Tastenkombinationen:

Mit den aufgeführten Tastenkombinationen können Seitenbereiche direkt angesprungen werden. Verwenden Sie auch die Tabulator-Taste oder die Pfeiltasten um in der Seite zu navigieren.

Inhalt Tastenkombinationen

Hauptnavigation: M
Toolbar Menü: T
Inhalt: C
Footer: F
Barrierefreiheit: A
Hauptnavigation: M
Toolbar Menü: T
Inhalt: C
Footer: F
Schriftgröße +: U
Schriftgröße -: D
Zeilenabstand +: W
Zeilenabstand -: Q
Nachtmodus : Alt () + J
Ohne Bilder: Alt () + K
Fokus: Alt () + G
Tasten­kombinationen: Alt () + O
Tastensteuerung aktivieren: Alt () + V
Alles zurücksetzen: Alt () + Y