Am 1. Oktober 1905, vor 120 Jahren, erschien die erste Ausgabe des Evangelischen Gemeindeblatts in Württemberg. Vier Seiten hatte es damals, das Jahresabonnement kostete eine Mark. Daraus ist die größte evangelische Kirchengebietszeitung in Deutschland geworden.
Von Andreas Steidel, Evangelisches Gemeindeblatt in Württemberg

„Schon seit Jahren besteht in kirchlichen Kreisen unserer Stadt der lebhafte Wunsch nach einem besonderen evangelischen Gemeindeblatt, in welchem Fragen des kirchlichen Lebens eine eingehendere Behandlung erfahren könnten.“ Mit diesen Worten eröffnete das „Evangelische Gemeindeblatt für Stuttgart“ vor rund 120 Jahren seine Berichterstattung.
„Evangelisches Gemeindeblatt für Stuttgart“: So hieß die neue Kirchenzeitung zunächst, denn es sollte noch ein Weilchen dauern, bis sich andere Gemeinden außerhalb der Hauptstadt anschlossen und daraus ein Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg wurde.
Entstanden war die neue Zeitung aus der Schriftenmission der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart. Die war 1830 als Traktat-Verein gegründet worden und entwickelte sich im Zuge der kirchlichen Sozialbewegung bald zu einem wichtigen Standbein der Inneren Mission.
Innere Mission: So hieß anfangs die Diakonie. Und dieser diakonische Träger leistete sich eben auch eine Kirchenzeitung, die im Gründungsjahr ganze vier Seiten hatte und eine Mark im Abonnement kostete.
Der erste Schriftleiter, wie die Chefredakteure bis in die 1970er-Jahre hießen, war Pfarrer Ernst Kalb. Er lobte in der Ausgabe vom 1. Oktober 1905 seine „bewährten Mitarbeiter“, die er in Wahrheit erst finden musste. Nach drei Jahren hatten sich immerhin schon 175 Gemeinden angeschlossen, denn um die ging es von Anfang an: Keine erbauliche Sonntagszeitung wie das schon viel ältere „Stuttgarter Evangelische Sonntagsblatt“ wollte man sein, sondern eine geistliche Informationsschrift für die Basis.
Das Stuttgarter Sonntagsblatt sollte dann viel später noch einmal eine Rolle spielen: 1972 wurde es dem Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg zugeschlagen, mit einem erfreulichen Zugewinn an Auflage.
Das Gemeindeblatt entwickelte sich ganz prächtig. Spätestens unter Pfarrer August Hinderer, Schriftleiter von 1908 bis 1918, kamen nun auch soziale Probleme, Erziehungsthemen und politische Fragen zur Sprache. Zuvor hatte es einen Schriftleiter gegeben, der aufgrund seiner kurzen Verweildauer von nur einem Jahr (1907 – 1908) zwar nicht das Gemeindeblatt prägte, wohl aber später die Landeskirche: Auch Theophil Wurm, Landesbischof von 1929 bis 1948, gehörte als junger Pfarrer zu denen, die an der Spitze der neuen Kirchengebietszeitung standen.
Wurm musste die Landeskirche durch die schwierige Zeit des Nationalsozialismus lavieren. Das Gemeindeblatt blieb dabei irgendwann auf der Strecke. Schon 1939 wurde die Zeitung wieder auf vier Seiten zurückgestutzt und 1941 ganz eingestellt: Angeblich wegen Papiermangels, doch der wahre Grund war wohl eher, dass man die kirchliche Verkündigung verbieten wollte.
So ging es erst nach 1945 weiter, nun mit ganz neuen Themen, die die Leser bewegten: Berichte über Israel und das Judentum gehörten dazu, ebenso wie über Kriegsschäden und den Wiederaufbau der Kirchen.
Die Menschen suchten Erbauliches und fanden es im Gemeindeblatt. 1956 erreichte die württembergische Wochenzeitung die phänomenale Auflage von 225.000 Exemplaren.
Das gab dem Medium Relevanz, es wurde zum wichtigsten öffentlichen Forum der evangelischen Kirchenwelt in Württemberg. So brachte dort 1957 der bekannte Pfarrer Julius von Jan erstmals seine Geschichte zu Papier. Eine Geschichte des mutigen Widerstands gegen die Nazis am Buß- und Bettag 1938.

Das Gemeindeblatt war zwischenzeitlich eine vielseitige Publikation mit einem Bild auf der Titelseite und weiteren Fotos im Innenteil. 1960 wurde der erste Titel in Farbe gedruckt, passend zur Frühlingszeit an Pfingsten. Die neuen Themen der Zeit erfassten auch die Kirchenzeitung: Fernsehen, Verstädterung, Atomgefahr, Ehekrisen und Scheidungen. Die heile Wirtschaftswunderwelt bekam Risse und das spiegelte sich auch im kirchlichen Leben wider, wo übrigens noch immer ausschließlich Männer das Sagen hatten: Erst 1968 wurde in Württemberg die erste Pfarrerin ordiniert.
Leitende Positionen sollten Frauen aber noch lange nicht haben, auch nicht beim Gemeindeblatt: Bis 2003 gab es nur Chefredakteure. Der erste, der ganz offiziell auch so hieß (und nicht mehr Schriftleiter), war Pfarrer Kurt Rommel. 17 Jahre lang, von 1974 bis 1991, drückte er dem Gemeindeblatt seinen Stempel auf.
Dem agilen Jugendpfarrer und bekannten Liederdichter lag besonders viel am Kontakt mit den Lesern. So entstanden in seiner Zeit zwei Angebote, die bis heute Bestand haben: Die Leserreisen, die 1976 mit einer Familienfreizeit in Südtirol begannen. Die zweite Rommel-Idee waren die Wanderungen in die Kirchengeschichte: 1984 lud das Gemeindeblatt erstmals zu einem Ausflug aufs Land ein, mit Gottesdienst, Bewirtung und kulturellen Angeboten. Heute heißt die Aktion „Glaubensweg“, bei dem sich einmal pro Jahr die Leser an einem anderen Ort treffen.
Die Jahrtausendwende brachte dann auch beim Gemeindeblatt einschneidende Veränderungen mit sich: Mit dem Ausscheiden von Chefredakteur Andreas Rössler 2003 übernahm erstmals eine Frau die Leitung der Redaktion. Sie war zugleich auch die erste Führungsperson, die nicht mehr aus der Pfarrerschaft kam: Petra Ziegler war studierte Theologin und ausgebildete Journalistin.
Publizistische Professionalität sollte in einer sich rasant ändernden Medienwelt nun eine immer größere Rolle spielen. Auch das Evangelische Gemeindeblatt hat mit Auflagenrückgängen zu kämpfen. Die Kirchenbindung schwindet und die Menschen lesen immer seltener eine gedruckte Zeitung.
Dennoch ist das Blatt nach verkaufter Auflage noch immer die größte evangelische Kirchengebietszeitung in Deutschland. Mit etwa 30.000 Abonnenten und einem Vielfachen an Leserinnen und Lesern bleibt die Relevanz hoch. Was im Gemeindeblatt steht, macht schnell die Runde.
Seit 1. Januar 2019 ist das Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg Teil des Evangelischen Medienhauses der Landeskirche. Ein Übergang von einem diakonischen Träger (Evangelische Gesellschaft) zu einem publizistischen Unternehmen, in dem das Gemeindeblatt die wichtige Rolle des Printproduktes übernimmt.
Die gedruckte Zeitung als Baustein eines Gesamtkonzeptes im Zusammenspiel mit anderen Informationsangeboten wie Radio, Fernsehen, Multimedia und Internet – das ist das, worauf es heute ankommt.
Dafür sorgt seit 2019 mit Tobias Glawion auch ein Chefredakteur, der allen Redaktionen des Medienhauses vorsteht. Er kann sich darüber freuen, dass im Januar 2024 mit dem Evangelischen Gemeindeblatt für die Pfalz ein neuer Partner hinzukam. Eine Zusammenarbeit über Landeskirchengrenzen hinweg.
Das Gemeindeblatt ist gesetzt, daran lässt der Chefredakteur keinen Zweifel. Ein unverzichtbarer Kernbestandteil eines publizistischen Angebots, das sich heute wie damals den Menschen in den Kirchengemeinden verpflichtet fühlt.
Von Andreas Steidel, Evangelisches Gemeindeblatt in Württemberg
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