12.11.2025

„Es war eine der herausforderndsten Legislaturperioden in den letzten 20 bis 50 Jahren“

Karola Vollmer und Christoph Alber über kirchliches Ehrenamt und die Arbeit im Kirchengemeinderat

Am 30. November 2025 werden in der württembergischen Landeskirche bei der Kirchenwahl neben den Landessynodalen rund 7.000 Kirchengemeinderätinnen und -räte für die neue Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Sie leiten gemeinsame mit den Pfarrpersonen die knapp tausend Gemeinden der Landeskirche. Ihr Amt gehört zu den verantwortungsvollsten Aufgaben des kirchlichen Ehrenamts. Hier sprechen Karola Vollmer und Christoph Alber über diese Arbeit und über die Entwicklung des kirchlichen Ehrenamts im Ganzen. Vollmer ist Leiterin der Fachstelle Ehrenamt der Landeskirche. Alber arbeitet als Diakon, Gemeindeberater und Supervisor (DGSv).    

Kirchliches Ehrenamt und Kirchengemeinderatsarbeit - ein Interview

Hinweis: Der folgende Text enthält eine gekürzte Fassung des ausführlichen Video-Interviews.

Karola Vollmer
Karola Vollmer

Was macht die Kirchengemeinde als offenen Raum für ehrenamtliches Engagement interessant? 

Karola Vollmer: Kirchengemeinde hat sehr viele Felder für Engagement, diakonisch, politisch, theologisch. Man kann niedrigschwellig mitarbeiten. Die Gemeinde ist im Quartier präsent. Das macht es attraktiv. Die Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung (KMU 6) hat festgestellt, dass 91 % der Engagierten dies tun, um Gemeinschaft zu erleben und sich sozial zu engagieren. Und auch das ist etwas, das Kirchengemeinden bieten. Die Gemeinschaft spielt tatsächlich eine große Rolle.

Christoph Alber: Die Menschen wollen wirksam werden. Sie möchten sehen, dass ihr Einsatz etwas Gutes bewirkt. Deswegen sind etwa Vesperkirche und Hospizarbeit beliebt, weil ich von Anfang an sehe: Mein Wirken kommt an. Ich beobachte, dass immer wieder neue Arbeitsfelder entdeckt werden. Ich würde allen Kirchengemeinden wünschen, dass sie sich weit öffnen und sagen: Probieren wir die Idee aus, das kann nur gut werden. 

Frage: Was macht die Mitarbeit im Kirchengemeinderat spannend? Warum machen das manche Menschen über Jahrzehnte? 

Karola Vollmer: Kirchengemeinderatsarbeit ist ein leitendes Ehrenamt. Leitung kann Spaß machen. Leitung bedeutet Verantwortung und mitzubekommen, welche Entscheidungen gerade dran sind. Das sind Entscheidungen, die einen selbst betreffen: ‚Wie wollen wir Gemeinde sein? Wie wollen wir Kirche leben? Wie wollen wir unseren Glauben ausdrücken?‘ Diese Fragen sind bei allen Querschnittsthemen dabei. Und wenn's eine tolle Truppe ist, dann macht das Spaß und kann sehr konstruktiv werden.

Christoph Alber
Christoph Alber

Christoph Alber: KGRs berichten häufig von der Gemeinschaft: ‚Wir können gut miteinander leben und streiten und organisieren und entscheiden.‘ Andere sagen: ‚Mir liegt die Jugendarbeit, die Zielgruppenarbeit am Herzen.‘ Und andere sagten: ‚Mir liegen Verwaltung und Leitung in den Genen. Das mache ich wirklich gerne.‘ 

Frage: Was muss die Kirchengemeinde tun, um attraktiv zu sein für Menschen, die sich überlegen: Soll ich mich einbringen? 

Christoph Alber: Überlegen: Wie wirkt die Gemeinde nach außen? Griesgrämig und verschlossen oder freundlich, offen, entgegenkommend? Zur Attraktivität gehören auch Transparenz und Ehrlichkeit. Wir müssen uns nicht verstecken, weder mit dem Glauben noch damit, dass wir auch mit menschlichen Fragen umzugehen haben, mit Sparmaßnahmen oder was auch immer. Wer sich engagieren möchte, merkt sehr schnell: Bin ich hier willkommen oder bin ich das fünfte Rad am Wagen? Eine Frage der Attraktivität ist deshalb: Wie kann ich dieses ‚Du bist willkommen‘ vorleben und gestalten? 

Karola Vollmer: Die „Konkurrenz“ schläft nicht. Die Blaulichtorganisationen, die Sportvereine und ähnliches haben auch Nachwuchssorgen und Engagement-Probleme. Aber da steht das Ehrenamt an alleroberster Stelle. Die haben eine professionelle Ehrenamtsförderung. Wenn man da mal Social Media und Homepages anguckt, da geht es nur um Wertschätzung und nur um: ‚Was bieten wir euch und was könnt ihr bei uns bewirken? Was können wir euch ermöglichen?‘ Da hat unsere Landeskirche durchaus Entwicklungsbedarf, tatsächlich die Ehrenamtsförderung professionell aufzustellen.

Wir haben noch sehr viel gewachsenes, selbstverständliches Ehrenamt. Aber um in dieser vielfältigen bunten Ehrenamtslandschaft mithalten zu können, brauchen wir mehr Professionalität.

Frage: Was hat sich in der Arbeit der Kirchengemeinderätinnen und -räte (KGR) in den letzten Jahren verändert? 

Karola Vollmer: Die Gremien hatten vor zehn Jahren noch viel mehr Zeit, sich auch mit thematischen Fragen zu beschäftigen. Inzwischen beobachte ich, dass die Gremien in einem dauerhaften Krisenmodus sind. Es fing an mit Corona. Und danach kamen  Projekte der Landeskirche, mit denen man sich beschäftigen musste, Pfarrplan, Oikos und Verwaltungsreform. Es war eine der herausforderndsten Legislaturperioden in den letzten 20 bis 50 Jahren. Die Gremien haben das mehrheitlich super gelöst. Man muss mit Respekt und Anerkennung sehen, was die Kirchengemeinderäte in diesen letzten sechs Jahren geleistet haben.

Christoph Alber: Die Rollenverteilung im Kirchengemeinderat hat sich neu ausdifferenziert. Es gibt Kirchengemeinderäte, die sehr viel organisatorisch oder im Krisenmodus unterwegs sind. Aber es gibt auch viele Gremien, die ein neues Leitungsverständnis gestaltet haben: Wer ist für was zuständig und wer treibt was voran? Ein Kirchgemeinderat hat zum Beispiel einen Jugend-Kirchengemeinderat ins Leben gerufen mit der Idee, den Nachwuchs heranzubilden und ihm frühzeitig demokratische Handlungsmöglichkeiten zu geben. In diesem Miteinander entsteht dann auch neue Freude.

Frage: Welche Sorge sollen sich die neuen Kirchengemeinderätinnen und -räte auf keinen Fall machen? 

Christoph Alber: Es braucht schon eine gewisse Glaubenszuversicht, um zu sagen: ‚Ja, wir packen es an, wir gehen Schritt für Schritt. Und das wird schon werden.‘ Natürlich sind die Fragen groß und die die Entscheidungsthemen vielfältig und gravierend. Aber dennoch zu sagen ‚Wir arbeiten am Reich Gottes, und das ist nicht morgen schon erledigt, sondern wir tragen in unserem Teil dazu bei, dass es gelingt‘ - ich glaube, das wäre eine gute Haltung, um auch etwas sorgenärmer vorangehen zu können. 

Karola Vollmer: Man braucht sich keine Sorgen zu machen, wenn man im Kirchengemeinderat mitarbeiten möchte. Es ist eine freiwillige Sache, es ist ein Ehrenamt. Und wenn man das Gefühl hat, dass es zu sehr beschwert, findet man Möglichkeiten der Entlastung.

Manche machen sich auch Sorgen, falsche Entscheidungen zu treffen. Ja, vielleicht bewertet man Entscheidungen nach zwei oder fünf Jahren anders. Aber jede Entscheidung wird doch nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Das geht nur im jetzt und hier. Niemand ist allein mit einer Entscheidung. Im Gremium kann man sich die Verantwortung teilen und gegenseitig Mut machen.

Frage: Haben Sie Beispiele im Kopf, wo aus einer Krise heraus ein Switch stattgefunden hat zu etwas Kreativem, Positivem? 

Karola Vollmer: Es gibt zum Beispiel viele Fusionsprozesse, die, wenn sie gut begleitet sind, auch gut verlaufen. Wenn rechtzeitig Prozessbegleitung dabei ist, die auch auf atmosphärische Dinge achtet, dann kann so was gelingen. 

Christoph Alber: Ich erinnere mich an eine Kirchengemeinderatsklausur mit zwei Gemeinden, wo es darum ging: Wie werden wir jetzt nach der Fusion im großen Gremium weitermachen? Eine Kirchengemeinderätin sagte zu mir: ‚Eigentlich wäre ich lieber mit meinem Frauentreff unterwegs oder mit dem, was neu mit Kindern entsteht. Und ich habe mich auch gefragt: Will ich hier Kirchengemeinderätin sein? Komme ich vielleicht gar nicht zu dem, was mir eigentlich Spaß macht?‘ Da kann sich aus dem vermeintlichen Negativen ‚wir müssen jetzt fusionieren‘ auch viel Gutes entwickeln, weil man eben auch je nach Begabungen und Neigungen neu anfangen kann und sagen kann: ‚Ja, und jetzt gelingt was anderes‘. 

Frage: Wie bewahrt man sich in schwierigen Zeiten – etwa auch angesichts des Mitgliederrückgangs – als Kirchengemeinderat eine positive und produktive Haltung? 

Christoph Alber: Es ist schwierig, einen Schritt zurückzutreten und wahrzunehmen: Es liegt nicht an mir und es liegt nicht an den Menschen, die in der Kirchengemeinde mitarbeiten, sondern es ist eine Krise, die die ganze Gesellschaft und vielleicht auch das ganze christliche Abendland betrifft. Die Rückbesinnung auf die Quellen kann Ressource sein: Auch zu biblischen Zeiten war nicht immer alles Glanz und Gloria. 

Karola Vollmer: Es ist wichtig, die Trauer zuzulassen, auch die Konflikte auszuhandeln, die damit häufig einhergehen, dem Raum zu geben und dann wieder positiv in die Zukunft zu blicken, produktiv zu sein.

In einer Stresssituation ist es schwierig, gute und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Aber da, wo Gremien gut begleitet sind, funktioniert das auch. 

Beteiligung ist ein weiteres wichtiges Stichwort. Es ist wichtig, im Gremium über solche Entwicklungen zu sprechen. Viele beschäftigt das. Gemeinsam kann dann nach einem konstruktiven und zukunftsorientierten Umgang damit gesucht werden. 

Frage: Warum soll man zur Kirchenwahl gehen?

Karola Vollmer: Weil Beteiligung immer Wirksamkeit zur Folge hat. Man nimmt wahr, wer sich zur Wahl stellt, wen man kennt, wer interessant ist. Und es ist ja ein Privileg, in Württemberg die Landessynodalen wählen zu können. Das ist in anderen Landeskirchen anders geregelt. 

Christoph Alber: Es gehört zur Grundaufgabe unserer Demokratie, zur Wahl zu gehen. Es ist eine wichtige Möglichkeit, hier seinem Willen Ausdruck zu verleihen. Egal wie sich das dann kirchenpolitisch oder landespolitisch oder bundespolitisch auswirkt.

Wenn wir wollen, dass Demokratie lebt, können wir es zeigen, indem wir auch zur Wahl gehen und uns einbringen, weil uns Kirche am Herzen liegt, weil uns Demokratie am Herzen liegt, weil uns Meinungsfreiheit am Herzen liegt.

Frage: Das Kirchengemeinderats-Handbuch erscheint zur neuen Legislaturperiode in einer Neuauflage – was ist das Neue daran? 

Christoph Alber: Es erscheint nicht mehr als Buch. Wir werden des Kirchengemeinderats-Handbuch auf die neue Webseite kgr-handbuch.de stellen. Da kann es gelesen und heruntergeladen werden. Das ist natürlich eine Umgewöhnung für viele Menschen, die eher der Buchtyp sind. Die zweite Neuerung sind eingestreute Texte über den Zweck der kirchlichen Arbeit, darüber, was wir mit dieser Organisation erreichen möchten: Biblische Botschaft weitergeben, Glauben verkündigen und Menschen einladen, den Glauben zu leben. 

 

 

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