| Gesellschaft

Der Netzwerker mit der Muschel

Hans-Jörg Bahmüller aus Winnenden dokumentiert und konzipiert Jakobswege

Jakobswege sind längst keine rein katholische Angelegenheit mehr. In Württemberg hat sich ein evangelischer Informatiker viel Wissen angeeignet. Er hat über 60 Routen in Deutschland und Europa erfasst und ist zum Experten für Pilgerwege nach Burgund geworden.

Hans-Jörg Bahmüller dokumentiert und konzipiert Jakobswege. Andreas Steidel / elk-wue.de

Als Kind hat sich der kleine Hans-Jörg Bahmüller immer gefragt, wer denn die Altar-Figur über Jesus ist. Es war nicht der liebe Gott, sondern Jakobus, der dort in Winnenden über Christus thronte. Ein Apostel und Heiliger, nach dem die Kirche in Winnenden benannt wurde, auch weil Winnenden im Mittelalter eine wichtige Station auf dem Jakobs-Pilgerweg war.

Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung

Doch darüber wusste man als Evangelischer eigentlich nichts. In den 42 Jahren, in denen Hans-Jörg Bahmüller evangelischer Kirchengemeinderat in seiner Heimatstadt war, hat Jakobus nicht wirklich eine Rolle gespielt. Dann aber kam der Ruhestand. 2003, mit 59 Jahren, verabschiedete sich der Informatiker von seiner Firma und suchte noch einmal eine neue Herausforderung. Etwas Eigenes und Selbstbestimmtes sollte es sein, und so hatte er mit zwei Freunden eine Idee: Warum nicht dort, wo einst die Pilger waren, wieder einen Pilgerweg machen?

Über 60 Jakobswege hat Hans-Jörg Bahmüller zwischenzeitlich dokumentiert. Andreas Steidel / elk-wue.de

In Windeseile gingen sie ans Werk und brachten das Kunstwerk fertig, ein Jahr später einen Jakobspilgerweg von Rothenburg ob der Tauber nach Rottenburg am Neckar vorzustellen. Am Jakobstag, dem 25. Juli 2004, wurde er eröffnet, in seiner Mitte lagen Winnenden sowie eine Vielzahl weiterer historischer Orte wie Schwäbisch Hall, Langenburg und Tübingen.


Pilgern boomt. Seit Jahren schon. Und auch in Corona-Zeiten sind Pilger unterwegs, vor allem einzeln, nur tageweise und auf regionalen Pilgerwegen. Elk-wue.de stellt in diesem Jahr in unregelmäßigen Abständen Glaubens- und Pilgerwege vor und spricht mit Menschen über ihre Pilgererfahrungen.


Viele Hürden zu überwinden

Beharrlichkeit und Ausdauer gehören zu den hervorstechendsten Merkmalen von Hans-Jörg Bahmüller. Im Laufe der Jahre hat der heute 76-Jährige sämtliche Tricks und Kniffe kennengelernt, die man im Umgang mit Behörden braucht. Gemeindeverwaltungen, Landesstellen, Forstämter, Grundstückeigentümer: Es gibt viele, die man auf dem Weg zu einer neuen Pilgerroute mit ins Boot nehmen muss.

Die historischen Strecken kommen zumeist nicht mehr in Frage, weil dort heute in aller Regel Straßen verlaufen. Also gilt es, die Pilger-Stationen auf schönen Pfaden neu zu verbinden, gerne mit Hilfe des vorhandenen Wanderwegenetzes und der dazugehörigen Wegewarte. „Man muss die richtigen Leute ansprechen“, sagt er, „dann kommt man voran“.

Pilgern geht auch in Coronazeiten. Mit Abstand.Andreas Steidel / elk-wue.de

Burgundische Pforte wieder entdeckt

Kaum war der Weg nach Rottenburg fertig, nahm er sich die Fortsetzung ins Elsass vor. „Bis dahin ging alles über die Schweiz, doch kaum etwas über die Burgundische Pforte“, erinnert er sich. Sie war schon seit der Antike eine strategisch wichtige Verbindung vom Rhein- ins Saônetal.

Also machte er sich auf in Richtung Frankreich, immer im Verbund mit weiteren Helfern. Ein Netzwerker, der an seinem Wegenetz ebenso unermüdlich knüpft wie an dem Beziehungsgeflecht zu anderen Pilgerbegeisterten.

Verlagsgründung und Digitalisierung der Wege

Irgendwann gründete Bahmüller einen eigenen kleinen Verlag, über den er die Pilgerführer vertreibt. Spiralgebundene Heftchen, die er selbst layoutet, mit Bildern versieht und betextet. Immer weitere Autoren kamen dazu sowie schließlich eine Vielzahl von GPS-Tracks, mit denen er die Pilger versorgte.

Denn die Digitalisierung der Wege ist das zweite große Projekt, dem sich Hans-Jörg Bahmüller verschrieben hat. Über die Strecken hinaus, die er mit seinem Jakobsteam Winnenden selbst konzipiert hat, ging er daran, die wichtigsten Routen in Deutschland und Europa elektronisch zu erfassen.

Den blauen Aufkleber mit der gelben Muschel hat Bahmüller immer im Gepäck.Andreas Steidel / elk-wue.de

Über 60 Jakobswege hat er dabei zwischenzeitlich dokumentiert, mit GPS-Tracks zum Download, Übersichtskarten, Bildern, wichtigen Links und Literaturangaben. Es gibt sogar interaktive Packlisten und eine Zusammenstellung der wichtigsten Unterkunftsverzeichnisse. Eine Fleißarbeit ohnegleichen, bei der der Informatiker auch sein ganzes Knowhow als Computer-Spezialist in die Waagschale werfen konnte: So hat er die meisten Tools für die Webseiten selbst entworfen und für den Zweck zurechtgemacht.

Noch immer geht Hans-Jörg Bahmüller regelmäßig pilgern. In den seltensten Fällen allerdings aus privatem Vergnügen, sondern weil es irgendwo wieder etwas zu erfassen oder zu verbessern gibt. Den blauen Aufkleber mit der gelben Muschel hat er immer im Gepäck.

Pilgern geht auch gut allein.Andreas Steidel / elk-wue.de

Nur Wege in Richtung Santiago de Compostela

In Santiago de Compostela war Bahmüller übrigens nur einmal – mit dem Auto. Als Fußgänger interessieren ihn die deutschen und mitteleuropäischen Zubringerwege viel mehr. Ihre Ausrichtung auf das Ziel ist dennoch wichtig, „Wege, die nicht in Richtung Santiago laufen, dokumentiere ich auch nicht“, sagt er.

Jakobsweg ist nicht gleich Jakobsweg, und seitdem das Pilgern in großer Mode ist, sind halt auch Routen darunter, die diesen Namen nicht wirklich verdienen.


Andreas Steidel



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