30 Jahre Büro für Chancengleichheit in der württembergischen Landeskirche
Ein Interview mit Ursula Kress, Beauftragte für Chancengleichheit im Evangelischen Oberkirchenrat und Ansprechperson bei sexualisierter Gewalt
1994 nahm das neu gegründete Büro der Frauenbeauftragten die Arbeit im evangelischen Oberkirchenrat auf. Aus ihm ging später das heutige Büro für Chancengleichheit hervor, das neben der Gleichstellung von Mann und Frau eine Vielzahl weiterer Themen bearbeitet. Seit dem Jahr 2000 leitet Ursula Kress diese Dienststelle. Neben ihrer Tätigkeit als landeskirchliche Beauftragte für Chancengleichheit ist sie als Ansprechperson auch für Fälle sexualisierter Gewalt zuständig. Im folgenden Interview erklärt sie die Historie ihres Arbeitsbereichs und gibt Einblick in aktuelle Themen und Herausforderungen.
„Heute liegt das ‚Kampf- und Betätigungsfeld‘ im Bereich von Geschlechterressentiments, Sexismus, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus oder Fremdenhass. Auch dies müssen wir genau beobachten und entsprechend mit Angeboten reagieren, die Diversität und Gleichberechtigung fördern und stärken, denn unsere Freiheit und Demokratie sind in Gefahr“, so Ursula Kress im Interview.
Wie sehen die Aufgaben des Büros für Chancengleichheit aus?
Ursula Kress: Dazu zitiere ich zunächst formal aus der "Ordnung der Beauftragten für Chancengleichheit“ von 2007: „Die oder der Beauftragte tritt für die Chancengleichheit von Frauen und Männern bei der Mitgliedschaft in den Organen und Gremien sowie Verwaltungen, Werken und Diensten der Kirche ein und erarbeitet dazu Vorschläge und Konzeptionen.“ Bereits 2007 hatte sich der Name der Beauftragung geändert: Aus der früheren Frauenbeauftragten in der Landeskirche wurde die Beauftragte für Chancengleichheit für Frauen und Männer. Inzwischen hat sich das Spektrum der Aufgaben noch mehr erweitert, daher wird in der neuen Ordnung für diese Beauftragung, die 2025 in Kraft treten soll, Chancengleichheit definiert für alle Menschen, unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft. Dafür setze ich mich im Rahmen der Kirche ein. Meine Aufgaben umfassen z.B. die Planung, Organisation und Gestaltung von Veranstaltungen, die Erhebung von Personaldaten zur Erarbeitung von Maßnahmen und Konzepten zur Förderung bzw. Verbesserung von Gleichstellung, die Erstellung von Broschüren und Arbeitshilfen, die Vertretung in Gremien der Kirche und Politik, aber auch immer die konkrete Beratung von haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Kirche, die diskriminiert oder nicht gleichberechtigt behandelt werden und sich an mich als Beauftragte wenden.
Wie hat sich Ihre Arbeit in der Zeit des Bestehens des Büros für Chancengleichheit entwickelt?
Ursula Kress: Anfangs ging es beispielsweise um Bildungsveranstaltungen für Kirchengemeinderätinnen, also Ehrenamtliche, sowie für hauptamtlich tätige Frauen, im Sinne der Frauenförderung. Es ging schon immer auch um das Thema der Überwindung von Gewalt. Ein Schwerpunkt war die Positionierung und der Runde Tisch zu Feministischer Theologie sowie Frauenliturgien und Frauengottesdienste. Vor 2007 gab es daher auch Stellen für Pfarrerinnen im Büro. Inzwischen heißt die Stelle „Büro der Beauftragten für Chancengleichheit für Frauen und Männer“. Wir setzen jetzt auf Vielfaltsdimensionen wie Geschlechter, Alter, Herkunft, Inklusion und andere Diversitätskriterien. Lange haben wir für die Gleichstellung von Frauen in diversen Ämtern gekämpft, seit 2013 haben wir die freiwillige Quote für die Landeskirche. Ziel war eine chancengleiche und paritätische Zusammensetzung der Gremien, Organe und Leitungsstellen bis 2023. An vielen Stellen gibt es Fortschritte, aber in der Praxis ist noch einiges zu tun: Wie erreichen wir mehr Vielfalt in Gremien? Wie werden wir eine milieusensible Kirche?
Da wir in der Landeskirche kein Gleichstellungsgesetz haben, fokussierten wir seit 20 Jahren schon auf Chancengleichheit und Personalentwicklung. Nach wie vor ist es wichtig, Mitarbeitende zu unterstützen, zu begleiten und zu fördern zum Beispiel mit dem Mentoringprogamm für Frauen und Männer. Aber es geht auch um die Beratung zum Umgang mit eigenen Ressourcen, um eine Work-Life-Balance, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Also auch, wie man Überlastungssituationen, Mehrfachbelastungen oder Entgrenzung der Arbeit vermeidet. Außerdem die Frage, wie am Ende des Erwerbslebens der Abschied gut und wertschätzend gestaltet werden kann – das sogenannte Offboarding blickt damit auf die Sicherung des Wissensmanagements und versucht, eine gute Abschiedskultur zu gestalten.
Welche Themen oder besondere Aspekte einzelner Themen ziehen sich durch?
Ursula Kress: Unterm Strich sind viele Themen gleichgeblieben. Es geht darum, Stereotypisierungen und Diskriminierungen aufzuspüren und zu bearbeiten. Beispielsweise darauf hinzuweisen, wenn in einem Bewerbungsverfahren Frauen weniger zugetraut wird als Männern. Oder wenn Frauen, die sich um Leitungspositionen bewerben, gefragt werden, wie sie die Stelle mit der Kinderbetreuung vereinbaren wollen – Männer werden das in der Regel nicht gefragt. Um diese Ungleichheiten zu vermeiden, haben wir standardisierte Fragenkataloge für Bewerbungsgespräche entwickelt. Daneben gibt es das Angebot von Coaching und Bewerbungstrainings. Ein weiteres Thema ist der Bereich des inklusiven und geschlechtergerechten Sprechens, oft als „Gender-Sprech“ diskriminiert.
Von Anfang an hatte das Büro für Chancengleichheit (früher der Frauenbeauftragten) auch mit dem Thema der sexuellen Gewalt im Rahmen der Kirche zu tun. Hierzu gab es schon während der Dekade „Gewalt überwinden“ (2001-2010) Aktionen zur Sensibilisierung, zum Beispiel 2006 die Ausstellung „Rosenstraße 76“ im Rahmen des Bündnisses gegen häusliche Gewalt. In der Schalterhalle des Stuttgarter Hauptbahnhofes wurde eine Modell-Wohnung aufgebaut, in der man interaktiv dem Thema Häusliche Gewalt begegnen konnte, also praktisch hinter die Fassade schaute. Begleitet wurde diese Ausstellung auch durch psychologische, therapeutische und sozialdiakonische Beratung vor Ort. Auch die Interessen und Anliegen von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Pfarrpersonen mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und theologische Gedanken zu geschlechtlicher Vielfalt sind ein Teil des Auftrags.
Welche Ergebnisse betrachten Sie als besondere Erfolge?
Ursula Kress:
Den ersten und zweiten Ökumenischen Frauenkongress in den Jahren 1997 und 2007, den wir gemeinsam mit den anderen ACK-Kirchen und über 2.000 Frauen veranstaltet haben.
Als Beispiel für gelebte Vielfalt das EKD-Pilger-Projekt „Go for gender justice“ (2022). Unter dem Titel „Verborgene Frauenwelten“ sind Männer und Frauen an einem Wochenende zu Hoffnungs- und Schmerzorten in Stuttgart und Esslingen gepilgert, haben sich dabei über Prostitution, Menschenhandel und Ausbeutung informiert und waren im Austausch mit Fachberatungsstellen.
2013 ist es gelungen, eine freiwillige Quote in der Landeskirche einzuführen. Ziel war eine chancengleiche und paritätische Zusammensetzung der Gremien, Organe und Leitungsstellen bis 2023. In manchen Bereichen, zum Beispiel bei den Schuldekanaten, in den Kirchengemeinderäten oder in der Leitung der kirchlichen Verwaltungsstellen ist die Parität schon fast erreicht. In anderen Bereichen, zum Beispiel in der Synode, ist der Anteil der Frauen allerdings rückläufig.
Nach vielen Jahren der Bearbeitung der Themen im Bereich des Umgangs mit sexualisierter Gewalt, also Prävention, Intervention, Aufarbeitung und Hilfe für Betroffene, wurde mit der Einführung des Gesetzes über die Allgemeinen Bestimmungen zur Prävention sexualisierter Gewalt 2022 die Fachstelle sexualisierte Gewalt aus dem Büro für Chancengleichheit heraus als eigenständige Fachstelle gegründet.
Wo wird in den nächsten Jahren der Schwerpunkt des Büros für Chancengleichheit voraussichtlich liegen?
Ursula Kress:
Die Maßnahmen für Gleichstellung und Vielfalt in der Kirche: Dafür brauchen wir Qualifizierung, Strukturen und Kultur. Für die Qualifizierung haben wir spezielle Programme entwickelt, in denen Menschen für Führungs- und Leitungsaufgaben qualifiziert werden, egal ob Frauen oder Männer. Zweitens Strukturen. Sind wir als Kirche eine familienfreundliche Arbeitgeberin? Wir brauchen die Möglichkeiten der Stellenteilung und vieles andere mehr. Das dritte ist die Kultur und die Veränderung von Rollenstereotypien: Ist der junge männliche Bewerber immer noch der ideale Kandidat oder stellen wir bei gleicher Qualifikation eine Frau oder auch jemanden mit einer Behinderung ein? Wie kann Kirche diverser werden?
Queere Menschen in der Kirche: Noch immer können sich queere Menschen in der württembergischen Landeskirche nicht sicher sein, in Kirchengemeinden nicht mit homophoben Haltungen konfrontiert zu werden. Gemeinden können Regenbogengemeinden werden, aber das Verfahren ist kompliziert. Es gibt zwar die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare im öffentlichen Gottesdienst, genaugenommen werden aber hier die Personen als Einzelne gesegnet. Ich hoffe sehr, dass es auch in unserer Landeskirche bald Trauungen für queere Paare gibt.
Die Zähigkeit bzw. der Backlash bei den Geschlechterrollen: Gesamtgesellschaftlich gibt es die Tendenz, dass Menschen wieder in die alten Rollenmuster zurückfallen – allen Emanzipationsbewegungen zum Trotz. Heute liegt das „Kampf- und Betätigungsfeld“ im Bereich von Geschlechterressentiments, Sexismus, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus oder Fremdenhass. Auch dies müssen wir genau beobachten und entsprechend mit Angeboten reagieren, die Diversität und Gleichberechtigung fördern und stärken, denn unsere Freiheit und Demokratie sind in Gefahr.
Hintergrund: Die Geschichte des Büros für Chancengleichheit
April 1981: Aus der Tagung in Bad Boll mit dem Titel "Wir Frauen in der Kirche" entsteht eine Konsultationsgruppe zur Förderung der Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche.
1991: Ausschuss für Kirche, Gesellschaft und Öffentlichkeit bringt in der Synode erfolgreich den Antrag zur Einrichtung eines Frauenreferates ein.
1. Januar 1994: Gabriele Bartsch beginnt als Frauenbeauftragte in dem neu gegründeten Büro der Frauenbeauftragten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Die Beauftragte wird durch einen Beirat berufen und unterstützt, dessen Mitglieder aus den Prälaturen, der Landessynode, dem Ev. Frauenwerk, der landeskirchlichen Mitarbeitervertretung, der Pfarrervertretung und diversen landeskirchlichen Einrichtungen und Werken sowie dem Oberkirchenrat entsandt werden.
Oktober 2000: Ursula Kress übernimmt die Beauftragung.
Seit 1. Juni 2007 lautet der Name: Büro der/des Beauftragten für Chancengleichheit von Frauen und Männern.
2011 Ursula Kress wird zusätzlich auch Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt, ab 2014 wird dieser Bereich ausgeweitet um die Projektstelle „Koordinierung Prävention sexualisierte Gewalt“, besetzt mit Miriam Günderoth.
2022: Ursula Kress übernimmt mit 50% das Stellendeputat der Ansprechstelle und Leitung der neu gegründeten Fachstelle zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Heute besteht das Büro für Chancengleichheit aus einem Team mit Ursula Kress als Beauftragte für Chancengleichheit (50%), Ursula Werner als Referentin für Chancengleichheit (50%) und Dr. Ulrike Voigt (50%) als Assistenz.
Die Fachstelle sexualisierte Gewalt wird von Ursula Kress (Ansprechstelle 50%) geleitet. Zum Team gehören Miriam Günderoth als Referentin für Prävention vor sexualisierter Gewalt (75%), Julia Jünemann als Meldestelle (25% für die Landeskirche, 25% für die Diakonie) und Dr. Ulrike Voigt als Assistenz (25%).
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