| Gesellschaft

„Zur wirklichen Gleichberechtigung ist es noch ein weiter Weg“

Silke Stürmer, Beauftragte der Landeskirche für die Zusammenarbeit mit Sinti und Roma, zum internationalen Romatag am 8. April

Pfarrerin Silke StürmerBild: Bernd Eidenmüller

„Der internationale Romatag am 8. April macht uns darauf aufmerksam, dass für Angehörige der Minderheit der Alltag noch immer aus vielen Diskriminierungen besteht – obwohl sie zum Teil seit mehr als 600 Jahren hier leben.“ Darauf weist Silke Stürmer, Pfarrerin und landeskirchliche Beauftragte für die Zusammenarbeit mit Sinti und Roma hin.  Im Folgenden finden Sie ein Interview mit Silke Stürmer zu diesem Thema.

Warum ist für Sie als Pfarrerin und Beauftragte dieser Gedenktag bzw. das Gedenken, wichtig?

Silke Stürmer: Der internationale Romatag am 8. April macht uns darauf aufmerksam, dass für Angehörige der Minderheit der Alltag noch immer aus vielen Diskriminierungen besteht – obwohl sie z. T. seit mehr als 600 Jahren hier leben. Die Gott-Ebenbildlichkeit, von der 1. Mose 1,27 spricht, gilt für alle Menschen – wo diese Zusage in irgendeiner Form eingeschränkt wird, ist es meine Aufgabe als Pfarrerin, diese Menschen zu stärken, Gottes Zusage einzufordern. Das verbinde ich auch mit diesem internationalen Romatag.

Warum sollten sich besonders Christen und Christinnen und die Kirche hier engagieren?

Silke Stürmer: Die Geschichte der Sinti in Deutschland ist ein oft vergessener Teil der Geschichte der Christinnen und Christen seit dem 15. Jahrhundert in unserem Land. Als die Angehörigen der Minderheit um 1400 vor den Osmanen ins Heilige Römische Reich deutscher Nation flohen, begann nach kurzer Zeit ihre Unterdrückung durch die Christen. Man verwehrte ihnen oftmals die Taufe und hetzte von den Kanzeln gegen diese Menschen – auch Martin Luther. Diese Diskriminierung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Minderheit und gipfelte in der Ermordung von 500.000 Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten, ein Völkermord. Pfarrer öffneten die Kirchenbücher und lieferten Menschen dem Tod aus.

Wie sehen Sie die Situation der Roma und Sinti aktuell?

Silke Stürmer: Vieles hat sich in den letzten Jahren gebessert: Es wurde ein Staatsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem Landesverband deutscher Sinti geschlossen – die Worte von Ministerpräsident Winfried Kretschmann „Sinti und Roma sind Teil von Baden-Württemberg. Dieses Land ist unsere gemeinsame Heimat“ sind ein Meilenstein gewesen. Doch noch immer sagen 49,2 % „Sinti und Roma sollen aus den Innenstädten verbannt werden“ (Leipziger Autoritarismus-Studie 2018) und noch immer werden Kinder in Schulen benachteiligt, finden Menschen der Minderheit schwerer Wohnungen – obwohl sie Deutsche sind mit allen Rechten und Pflichten, ist es zur wirklichen Gleichberechtigung noch ein weiter Weg.

Hintergrund:

Der Gedenktag geht zurück auf den ersten Roma-Kongress vor mehr als 50 Jahren, der den Beginn der Roma-Bürgerrechtsbewegung kennzeichnet. An diesem Tag soll auf die bedrückende Situation der bis heute andauernden Diskriminierung der Minderheit und der Gewalt gegen ihre Angehörigen aufmerksam gemacht werden. Zugleich erinnert der 8. April an den vielfältigen Beitrag von Sinti und Roma zur Kulturgeschichte und daran, diesen angemessen wahrzunehmen und wertzuschätzen. 

Anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma im Jahr 2023 hatte die Evangelische Kirche in Deutschland die Arbeitsdefinition von Antiziganismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommen. Auch auf diese Weise sollen Zusammengehörigkeit und das Zusammenstehen mit Sinti und Roma gegen jede Form von Antiziganismus deutlich werden. In dieser Erklärung heißt es: „Die Abwertung und Ausgrenzung von Angehörigen der Sinti und Roma hat eine Geschichte, die sehr lange zurückreicht. Und nicht nur zur Zeit des Nationalsozialismus und des Völkermordes an Sinti und Roma war die Evangelische Kirche daran beteiligt, Menschen zu verraten und der Verfolgung und Vernichtung auszuliefern.(…) Umso dankbarer sind wir, dass inzwischen unsere Beziehungen gewachsen und gestärkt worden sind.(…) Darüber hinaus wird die Evangelische Kirche die institutionelle Partizipation von Sinti und Roma in Politik und Gesellschaft nach Kräften unterstützen.“


Hinweis für Kirchengemeinden

Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt@elk-wue.de nachzufragen, ob die Nutzungsrechte für den jeweiligen Zweck vorliegen. Gerne können Sie alle Bilder nutzen, die Sie im Pressebereich unserer Webseite finden.


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Grafik: elk-wue.de

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