Stuttgart/Hannover. Am Morgen des 1. Mai haben Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Rahmen des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Hannover im Theater am Aegi eine gemeinsame Bibelarbeit zu Markus 7,24-30 gestaltet. Die Bibelstelle erzählt von einem Wortgefecht zwischen Jesus und einer Frau, die um Heilung für ihre Tochter bittet und – nach anfänglicher Ablehnung Jesu – von der erfolgten Heilung. Landesbischof Gohl und Ministerpräsident Kretschmann zogen anhand der Bibelstelle verschiedene Analogien und Lehren zur Gegenwart in Bezug auf soziale Gerechtigkeit sowie Debattenkultur und Populismus und Umgang mit psychischen Erkrankungen. Bitte beachten Sie: Es gilt das gesprochene Wort.
„Jesus als Macho, der sich der Frau fügt“
Die Szene sei befremdlich und irritiere, sagte Kretschmann und fasste die Bibelstelle Markus 7,24-30, in der eine Frau um die Heilung ihrer Tochter bittet und zunächst abgewiesen wird, wie folgt zusammen: „Jesus als Macho, der sich dann doch der Frau fügt. Und eine unterwürfige Frau, die aber ordentlich Kontra gibt.“
Psychisch kranke Menschen nicht unter Generalverdacht stellen
Die kranke Tochter der Frau erinnere ihn daran, so Gohl, wie er als Pfarrer die Eltern kranker Kinder begleitet habe. Die Wundererzählung habe etwas Tröstliches. Er wünsche den Eltern kranker Kinder, „dass sie erfahren, wie Gott bei ihnen ist.“ Weiter wies Gohl auf die zerstörerische Kraft von psychischen Krankheiten und Süchten hin. Nach mehreren Anschlägen in den vergangenen Monaten in Aschaffenburg, Magdeburg und Mannheim durch psychisch kranke Täter sei es wichtig, psychisch kranke Menschen nicht unter Generalverdacht zu stellen.
Die Liebe Gottes als Quelle für Toleranz und soziales Miteinander – die Hoffnung der Auferstehung als Quelle für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit
Gohl ordnete auch den gesellschaftsgeschichtlichen Kontext des Geschehens in der Bibelstelle ein: Die Begegnung von Jesus und der wohlhabenden Frau sei eine Begegnung von arm und reich. Kretschmann führte mit Blick auf die Gegenwart aus, dass bei der sozialen Frage Populisten nicht zwischen „oben und unten“ unterscheiden würde, „sondern zwischen drinnen und draußen. (…) Sie versprechen, Wohlstandssorgen dadurch zu lösen, dass sie andere ausschließen. Zum Beispiel Migranten.“
So habe der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance kurz nach Amtsantritt die harte Migrations- und Deportationspolitik des US-Präsidenten Donald Trump damit gerechtfertigt, dass es christlich sei, „zuerst die eigene Familie zu lieben und erst dann die Nachbarn, die lokale Gemeinschaft, die Mitbürger und irgendwann danach den Rest der Welt.“ Vance verkehre aber damit – hier berief sich Kretschmann auf den kürzlich verstorbenen Papst Franziskus – Jesu Gebot der Nächstenliebe ins Gegenteil. Populisten wollten von Abstiegsängsten profitieren und versprächen die Lösung sozialer Herausforderungen durch Ausgrenzung und Abwertung. Hier seien Christen aufgefordert dagegenzuhalten und zu widersprechen: „Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe, Sicherheit dürfen sich nicht auf einige wenige beschränken. (…) Gottes Liebe gilt allen.“
Das Christentum habe „auch der modernen, säkularen Welt etwas zu sagen und zu bieten“: der Glaube an den „personalen Schöpfergott als Quelle für Humanität und Freiheit, die Liebe des menschgewordenen Gottes als Quelle für Toleranz und soziales Miteinander, die Hoffnung der Auferstehung als Quelle für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Teilen wir das mit den Menschen!“
Debatten und Streit über Lösungen und gehören zur Demokratie
Aus der Bibelstelle könne man für unsere derzeitige gesellschaftliche und politische Debattenkultur viel lernen, um die es aktuell weniger gut bestellt sei, so Kretschmann. „Denn mit dem Zuhören, Argumentieren, sich auf Neues Einlassen sieht es eher nicht so gut aus. Das fängt schon bei uns selber an, wenn wir eine vorgefertigte Meinung haben, einander das Wort abschneiden, uns lieber mit Gleichgesinnten umgeben.“ Die Debattenkultur werde aber auch durch Populisten bedroht, die aufhetzen und spalten würden. Dabei gehörten die Debatte, das Ringen um Lösungen und auch der Streit zur Demokratie.
Aber ein Streit mit Regeln, Respekt und Recht, der von der Bereitschaft lebe, dazuzulernen und Kompromisse zu schließen. Kritikfähigkeit sei dafür eine Notwendigkeit. „Sich immer gleich zu empören und sofort beleidigt“ zu sein, könne hingegen auch eine Form der Gesprächsverweigerung sein.
Dan Peter
Sprecher der Landeskirche
HINWEIS: Bilder von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl finden Sie im Pressebereich unserer Website. Bilder von Ministerpräsident Winfried Kretschmann finden Sie auf der Website des Staatsministeriums.