| Gesellschaft

„Das Gebet für den Frieden ist der Anfang allen Tuns“

Stellungnahme des württembergischen Friedenspfarramtes zum Konflikt im Nahen Osten und zum Ukraine-Krieg

Stefan Schwarzer, landeskirchlicher Friedenspfarrer, und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (EAK-Württemberg) haben einen Text veröffentlicht, in dem sie sich mit Blick auf den Ukraine-Krieg und der Lage im Nahen Osten für eine differenzierte und vor Allem umfassend empathische Auseinandersetzung mit diesen Konflikten einsetzen.  Im Folgenden lesen Sie diese Stellungnahme im Volltext.

Stefan Schwarzer
Stefan Schwarzer, Friedenspfarrer der württembergischen LandeskircheBild: privat

Gedanken zum Frieden

Als Vertreterinnen und Vertreter der Friedensarbeit in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg nehmen wir die verschärften Spannungen und Polarisierungen unmittelbar wahr, die seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges und des Krieges im Nahen Osten unsere ganze nationale wie internationale Gesellschaft und darin natürlich auch unsere Kirchen betreffen. Je nach eigener Haltung pflichten Menschen den offiziellen kirchlichen Verlautbarungen bei oder sind empört. Dies als kleine, wenig überraschende Situationsbeschreibung.

Was kann unsere Kirche tun? Und was ist die Aufgabe kirchlicher Friedensarbeit in dieser Situation?

Das Gebet für den Frieden ist der Anfang allen Tuns. In der liturgischen Hinwendung zu einer uns Menschen übersteigenden Schöpferkraft anerkennen wir unsere Begrenztheit, bitten um Kraft und Weisheit, die Welt nach Gottes Willen zu gestalten und geben die letzte Verantwortung für das Leben aus der Hand.

So ausgerichtet ist es Aufgabe von Kirche, zu reden: Innerhalb der eigenen Institution, aber auch und immer mehr in die säkulare Welt hinein deren Teil wir sind. Menschen, Initiativen ins Gespräch bringen, Ideen austauschen, Meinungen bestärken oder hinterfragen, Unterschiedlichkeiten aushalten. Das Leben in all seinen Schattierungen fördern, schützen, bewahren und in einer Art sturen Hoffnung daran festhalten, dass wir an einen Gott des Friedens glauben, der im ersten Buch Mose ganz zu Beginn unserer Heiligen Schrift über seine Schöpfung befindet: „Und siehe: Es war sehr gut.“

Unsere Gedanken stellen keinen erneuten Aufruf zu dem Pro und Contra von Waffenlieferungen oder einer einseitigen Solidarität mit Israel oder Palästina dar, sondern sind Ausdruck dessen, was uns mehr und mehr erschüttert: Die viel zitierte „Unfähigkeit zu Trauern“ (Margarete und Alexander Mitscherlich, 1967) kommt uns in den Sinn, wenn Eindeutigkeit propagiert und verlangt wird – eindeutig gut und eindeutig böse: Diese Zuschreibungen helfen uns, auf der richtigen Seite, also der Seite der Guten zu stehen.

Nein, wir relativieren nicht das klar Erkennbare: Selbstverständlich wurde die Ukraine völkerrechtswidrig von Russland angegriffen. Selbstverständlich ist der unfassbar brutale Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 durch nichts zu rechtfertigen. Dennoch wollen wir der Versuchung widerstehen, Gut und Böse vereindeutigten Lagern zuzuordnen, um schließlich mit den Opfern der einen Seite solidarisch zu sein und bei den Opfern der anderen Seite ratlos mit den Schultern zu zucken. Das Bedürfnis nach Eindeutigkeit ist menschlich verständlich, denn unser gelingendes Zusammenleben basiert vor allem auf klaren Verhältnissen.

Vereinfachungen führen zu sogenannten Lösungen, die Eindeutigkeit signalisieren. Genau zu wissen, wer die Guten sind und wer die Bösen, hilft, die Unordnung der Trauer in geordnete Bahnen zu lenken. Doch wir fragen: Ist ein junger ukrainischer Mann, der als Soldat starb, mehr oder weniger ein Kind Gottes als ein junger russischer Mann, der als Soldat starb? Ist eine am 7. Oktober 2023 in Israel bestialisch vergewaltigte und ermordete Frau mehr oder weniger ein Kind Gottes als ein Kind im Gazastreifen, das bisher noch von keinem Bombensplitter getötet, aber heute in Folge des Hungers gestorben ist? Wir wünschen uns mehr „Und“ – auch in unserer Landeskirche: Wir trauern über tote Menschen aus der Ukraine und aus Russland. Wir trauern über tote Menschen in Israel und im Gazastreifen.

So gegründet treten wir einen Schritt zurück von den Eindeutigkeiten dieser Tage und stellen fest: Wenn aus christlicher Sicht die Kriege unserer und aller Zeiten immer neu eine Bankrotterklärung des Menschen an sich selbst und an das Leben sind, dann soll und darf uns das nicht davon abhalten, an Besseres zu glauben und die Schritte dorthin im Glauben zu gehen.

Das heißt auch, kritisch zu fragen, was seit der sogenannten Zeitenwende (die eine deutsche sein mag, gewiss jedoch keine globale Zeitenwende ist) eindeutig zu sein scheint: Dass es Sicherheit für uns Menschen dann gibt, wenn wir genug und besser als die anderen (also die Bösen) gerüstet sind. Dieser Begriff von Sicherheit basiert auf grundsätzlichem Misstrauen. Als Christenmenschen üben wir uns jedoch darin, einander zu vertrauen.

Dieses Vertrauen brauchen wir, da wir als Menschheit vor großen Herausforderungen wie der Klimakrise stehen, die wir nur gemeinsam, gerecht und friedlich miteinander bewältigen können. Die Analysen des Weltklimarates sind eindeutig. Alle Waffen dieser Welt werden uns nicht vor unseren eigenen zu hohen Emissionen schützen.

Insofern ist eine andere Zeitenwende im Sinne von Gottes Friedenshandeln notwendig: Sicherheit wird es erst dann geben, wenn wir als Menschen zu einem Frieden finden, in dem die Ressourcen fair und klimagerecht verteilt sind und möglichst viele Orte unseres Planeten sinnvoll bewohnbar bleiben. Hoffnungsstärkende Beispiele dazu gibt es Gott sei Dank auf der ganzen Welt. Diese zu benennen und Friedensinitiativen Raum zu geben, ist ein konkreter Beitrag kirchlicher Friedensarbeit.

„Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.“ – mit diesem Trost- und Mutwort aus dem Philipperbrief und damit mit dem Hinweis auf die Begrenztheit aller, also auch unserer Vernunft, schließen wir.

Pfarrer Stefan Schwarzer, Friedenspfarramt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) in Württemberg


Hinweis für Kirchengemeinden

Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt@elk-wue.de nachzufragen, ob die Nutzungsrechte für den jeweiligen Zweck vorliegen. Gerne können Sie alle Bilder nutzen, die Sie im Pressebereich unserer Webseite finden. Sie möchten in Ihrem Schaukasten auf unsere Webseite verlinken? Hier erfahren Sie, wie Sie dafür einen QR-Code erstellen können. 

Kirchensteuer wirkt!

Mehr News

  • Datum: 05.11.2024

    Zum Tod von Prof. Dr. Martin Rößler

    „Er hat selbst den Trost des Evangeliums anderen weitergegeben und mit seiner Person ausgestrahlt“ – so würdigt Oberkirchenrätin Kathrin Nothacker den württembergischen Professor und Pfarrer i.R. Dr. Martin Rößler, der am 31. Oktober im Alter von 90 Jahren verstarb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 05.11.2024

    Zum Tod von Oberkirchenrat i. R. Prof. Dr. Hartmut Jetter

    Oberkirchenrat i. R. Prof. Dr. Hartmut Jetter ist am 31. Oktober im Alter von 94 Jahren gestorben. Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl würdigte den ehemaligen Theologischen Dezernenten, Hochschul-Dozenten und -Professor als "geschätzten Lehrer der Landeskirche“.

    Mehr erfahren
  • Datum: 05.11.2024

    Landesbischof Gohl predigt in Langenau

    In seiner Predigt in Langenau am 3. November hat Landesbischof Gohl gewarnt, dass sich zunehmend Antisemitismus hinter Israelkritik verstecke. Er reagierte damit auch auf Anfeindungen, unter denen die Gemeinde, der Pfarrer und seine Familie seit Oktober 2023 leiden.

    Mehr erfahren
  • Datum: 05.11.2024

    Eine Schatzkiste zur Konfirmation

    Podcast des Innovationstages #gemeindebeigeistert: Paula Maisch, Diplom-Religionspädagogin und Gemeindepädagogin, berichtet über ihr Projekt Schatzkiste für Konfirmanden und Konfirmandinnen. In ihren Seminaren entstehen ganz persönliches Geschenke zur Konfirmation.

    Mehr erfahren
  • Datum: 02.11.2024

    TV-Tipp: Plötzlich Stiefmutter von drei Kindern

    In Marica Schroeter Francesevics Haushalt leben vier Kinder – drei Stiefkinder und ein leibliches Kind. Trotz großer Bedenken ließ sie sich aus Liebe zu ihrem Mann auf diese Familienkonstellation ein. Darüber spricht sie mit „Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 31.10.2024

    25 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung

    Am Reformationstag vor 25 Jahren wurde die ökumenische Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung unterzeichnet. Aus diesem Anlass erinnert Oberkirchenrat Dr. Jörg Schneider an die Bedeutung der Erklärung und weist auf die bleibende Aufgabe ökumenischer Gemeinschaft hin.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.10.2024

    Michael Schofer über die Arbeit im VCP Württemberg

    Podcast des Innovationstages #gemeindebeigeistert: Michael Schofer vom Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder Württemberg e.V. (VCP) im Gespräch mit Nabil Atassi über die Pfadfinderarbeit, in der Kinder und Jugendliche Natur erleben und gefördert werden.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.10.2024

    Zum 200. Todestag von Christian Gottlob Pregizer

    Der vor 200 Jahren verstorbene Christian Gottlob Pregizer war ein württembergischer Pfarrer, der die freudige Religiosität des für immer erlösten Sünders in das Zentrum seiner Verkündigung stellte. Eine bis heute bestehende pietistische Gruppierung trägt seinen Namen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.10.2024

    Landesbischof Gohl am Reformationstag in Sulz

    Am Reformationstag am 31. Oktober predigt Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl in der Stadtkirche In Sulz am Neckar. Gohl erinnert dabei an den historischen Moment an der Schlosskirche Wittenberg 1517, wie und aus welchen Beweggründen Martin Luther die Reformation auslöste.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.10.2024

    Inspiration und Vernetzung

    Rund 200 Haupt- und Ehrenamtliche haben beim „Gründergeist-Gipfeltreffen“ einen Tag voller Inspiration und Vernetzung erlebt. Die Veranstaltung der badischen und württembergischen Landeskirchen befasste sich mit neuen, ergänzenden Formen von Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.10.2024

    Herzensanliegen: Trost im Glauben

    In der Videoserie der EKD Menschen geben Einblick in ihre Erfahrungen und machen Lust, den eigenen Herzensanliegen nachzuspüren und Worte dafür zu finden. In diesem Filmausschnitt erzählt Susanne über den Verlust ihres Partners und wie sie Trost im Glauben gefunden hat.

    Mehr erfahren
  • Datum: 24.10.2024

    „Das Gebet für den Frieden ist der Anfang allen Tuns“

    Friedenspfarrer Stefan Schwarzer und die Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK-Württemberg) setzen sich für eine differenzierte und umfassend empathische Auseinandersetzung mit dem Ukraine-Krieg und dem Konflikt im Nahen Osten ein.

    Mehr erfahren
Mehr laden