„Jeder kann Telefonseelsorge nutzen. Wir sind ein offenes Angebot“
SWR1 Begegnungen mit Pfarrerin Barbara Wurz
Barbara Wurz, Rundfunkpfarrerin der Landeskirche, hat für die Sendung Begegnungen in SWR1 Martina Rudolph-Zeller getroffen, die seit 2019 die evangelische Telefonseelsorge in Stuttgart leitet. Jeden Tag helfen sie und ihr Team von Ehrenamtlichen Menschen mit all ihren Sorgen und Nöten. Was die Ratsuchenden besonders umtreibt, ist häufig Einsamkeit und Angst.
Im Folgenden können Sie den Beitrag anhören:
Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge ist ein Beratungs- und Seelsorgeangebot der evangelischen und der katholischen Kirche. Sie ist kostenfrei und rund um die Uhr für ein anonymes und vertrauliches Gespräch zu erreichen.
Die Telefonnummern der Telefonseelsorge in Deutschland lauten:
0800 / 11101-11 (evangelisch) und
0800 / 11102-22 (katholisch).
Die Telefonseelsorge bietet neben Gesprächen am Telefon auch Beratung und Seelsorge per Mail und Chat im Internet an.
Barbara Wurz: Ich treffe Martina Rudolph-Zeller, die die evangelische Telefonseelsorge in Stuttgart leitet. Die 62-jährige Sozialpädagogin hat mehrere therapeutische Ausbildungen und ist bereits seit zehn Jahren dabei. Was für sie der Kern der Telefonseelsorge ist, beschreibt sie so:
Martina Rudolph-Zeller: Jeder kann Telefonseelsorge nutzen, jeder kann die Telefonnummer wählen. Wir sind so ein offenes Angebot. Wir fragen nicht nach der Krankenkasse, wir fragen nicht nach der Versicherung. Es kostet kein Geld.
Als ich Frau Rudolph-Zeller frage, wie viele Anrufe sie und ihr Team pro Tag bewältigen können, bin ich schier überwältigt:
Circa 40 pro Tag. Insgesamt führen wir pro Jahr über 13.000 Gespräche, ungefähr 1.500 Chats und sind im Kontakt mit 1.500 Menschen per Mail.
Und das allein im Großraum Stuttgart. Sehr viele Menschen suchen den Kontakt, weil sie sich einsam fühlen. Wie zum Beispiel eine junge Frau, die – neu nach Stuttgart zugezogen – einfach keinen Anschluss gefunden hatte.
Wir haben gemeinsam überlegt, welche Möglichkeiten sie noch finden kann, welche Hobbys sie hat und welche Vorlieben und wo sie noch mal schauen kann, welche Gruppe es da noch gibt, hier in der neuen Stadt. Sie ging ganz gestärkt und hoffnungsvoll aus dem Gespräch, in der Kraft, sich wieder neu dem Thema zuzuwenden und nicht aufzugeben.
Die Menschen wechseln ihren Wohnort und damit ihr soziales Umfeld viel häufiger als früher, meint Rudolph-Zeller. Gleichzeitig bleibt der Austausch über Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram eher oberflächlich.
Die tragfähigen Beziehungen, die sind rar. Menschen zu haben, mit denen man wirklich über die Dinge sprechen kann, die einen im Tiefsten berühren und nicht nur oberflächlich Smalltalk führen. Da gibt es einen hohen Bedarf und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Mangel.
Wer einsam ist, ist auch mit seinen Sorgen und Ängsten allein. Das kann hilflos machen. Und dann kann es passieren, dass diese Hilflosigkeit umschlägt in Wut und Aggression. Auch davon bekommen die Ehrenamtlichen an den Apparaten der Telefonseelsorge einiges ab.
Wir hören vor allem zu. Wir versuchen auch nachzuvollziehen und zu verstehen: Wie kommt es zu dieser Haltung? Ganz oft hören wir dann von viel Ungerechtigkeit, die erlebt wurde im Leben. Das Gefühl: alle kriegen und ich krieg nix oder ich komme zu kurz, es geht über mich hinweg. Keiner sieht mich, keiner nimmt Rücksicht.
Der Bedarf nach einem offenen Ohr und einem persönlichen Gespräch ist groß. Und um dem gerecht werden, ist das Team der Telefonseelsorge beständig auf der Suche nach Nachwuchs. Zusammen mit ihrer Stellvertreterin und einer 50%-Honorarkraft betreut sie 120 Ehrenamtliche, die sich in der Stuttgarter Telefonseelsorge engagieren. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für die die Ehrenamtlichen gut ausgebildet und sorgfältig ausgewählt werden.
Man muss sich bei uns bewerben. Wir führen Kennenlerntage durch, wir nehmen uns richtig Zeit miteinander, führen Einzelgespräche: Wie stabil ist die Person, wie gut hat sie auch die Dinge, die sie erlebt hat, verarbeitet? Welche Motivation hat die Person, dieses Ehrenamt zu machen?
Diejenigen, die schließlich ins Team kommen, erwartet eine Tätigkeit, die fürs eigene Leben sehr bereichernd ist.
Ehrenamtliche sagen, dass sie eine Gemeinschaft gefunden haben. Ganz viele sind sehr beglückt über die sinnhafte Tätigkeit und viele sagen, sie selber haben sich auch ein bisschen verändert und können ihre Themen, Konflikte besser angehen.
Trotzdem gehen die Sorgen und Nöte der Menschen nicht spurlos an den Ehrenamtlichen vorbei. Regelmäßig treffen sie sich deshalb in Kleingruppen zur Supervision, um das Erlebte aufzuarbeiten. Und auch Einzelgespräche sind jederzeit möglich:
Wir haben hier eine Mitarbeiterin, die ein Einzelgespräch bei mir suchte. Ihr Mann war plötzlich verstorben, schon vor einigen Jahren. Und sie dachte, sie hätte es gut verarbeitet. Und dann hat sie am Telefon eine trauernde Frau gehabt, die ihren Mann verloren hat. Und sie war sehr konfrontiert mit ihrer eigenen Trauer, die sie richtig überschwemmte in diesem Gespräch. Und das musste sie erst mal für sich wieder verarbeiten.
40 Telefonate gehen bei der Stuttgarter Telefonseelsorge täglich ein. Der Bedarf wäre sogar noch größer, aber dazu fehlen schlicht und ergreifend die Mittel. Neben der Finanzierung durch die evangelische Kirche und die Stadt Stuttgart ist die Telefonseelsorge jetzt schon auf Spenden angewiesen, und wie die Arbeit auch in Zukunft solide finanziert werden kann, ist ungewiss. Martina Rudolph-Zeller jedenfalls will den Menschen Mut machen, zum Hörer zu greifen und die 0800 111 0 111 zu wählen, wenn die Sorgen übergroß geworden sind oder Einsamkeit und Angst nach der Seele greifen. Und sie unterstreicht, dass die Sehnsucht nach einem offenen Ohr konfessionslos ist:
Es gibt Menschen, die sich bei uns melden und mit Gott hadern, die sagen: Warum lässt Gott das zu, dass es mir schlecht geht? Wie kann Glaube mir helfen? Und es gibt aber auch Menschen, da ist das Thema Glaube und Gott und Kirche überhaupt gar kein Thema. Die sind ganz in ihrer Situation und suchen jetzt eine Gesprächspartnerin, die für sie da ist und mit ihnen nach einer Lösung und nach einer Erleichterung sucht und auch nach einem Trost.
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