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Die Arbeit der Militärgeistlichen: „Seelsorge steht im Mittelpunkt“

Im Gespräch Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg und Pfarrerin Sandra Mehrl

Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben sich die Diskussionen rund um die Bundeswehr und auch die Atmosphäre in der Truppe verändert. Wie wirkt sich diese Situation auf die Soldaten und Soldatinnen aus? Wie auf die Arbeit der Militärgeistlichen, die unter dem Dach der Bundeswehr einen sehr speziellen Dienst tun? Und was machen eigentlich Militärpfarrerinnen und -pfarrer? Darüber haben wir mit der württembergischen Pfarrerin und Militärdekanin Sandra Mehrl und dem evangelischen Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg gesprochen.

Sandra MehrlBild: privat

„Ich spüre: Man hört sehr genau zu“ – Gespräch mit der Militärseelsorgerin Sandra Mehrl

Sandra Mehrl ist in ihrem Dienst als Militärseelsorgerin in der Ulmer Wilhelmsburgkaserne für rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten zuständig und arbeitet zugleich als stellvertretende Leitende Militärdekanin für den gesamten süddeutschen Raum.

Warum sind Sie Militärpfarrern geworden, was hat Sie an der Militärseelsorge als Aufgabe gereizt?

Sandra Mehrl: Ich stelle mich gerne neuen Herausforderungen, und Bundeswehr war 2017 eine fremde Welt für mich. Auch die Aussicht, viel unterwegs zu sein, fand ich reizvoll, denn Abwechslung schätze ich sehr im Berufsalltag. Seelsorge in einer Institution kannte ich bereits aus der Zeit in der Klinikseelsorge und fand es spannend zu erfahren, welchen Platz man innerhalb eines weiteren „festen Gefüges“ einnimmt. 

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?

Sandra Mehrl: Die Offenheit und Bereitschaft der Soldaten, sich auf die Militärseelsorge einzulassen, ihr Interesse an Gottesdienst und Verkündigung. Rückmeldungen zum Inhalt, gerade von Predigten, bekomme ich oft sehr differenziert und direkt. Ich spüre dann: Man hört sehr genau zu. Darüber hinaus schätze ich, dass ich viel Zeit für Seelsorge habe, die sehr stark nachgefragt wird, und dass ich mit vielen jungen Erwachsenen in Kontakt komme. Ich schätze besonders den Idealismus und die Treue der Soldaten zur Bundeswehr, obwohl die Zeiten und der Beruf nicht immer einfach sind.

Was sind die größten Unterschiede zum Dienst als Gemeindepfarrerin – vielleicht auch gerade die nicht ganz augenfälligen Unterschiede?

Sandra Mehrl: Ganz oft habe ich freie Wochenenden, das macht das Familienleben etwas einfacher. Eine große Entlastung und Freude ist die Arbeit der Pfarrhelferin bzw. des Pfarrhelfers, der uns Pfarrer an jeder Stelle als Vollzeitkraft unterstützt. Diese Entlastung im Bereich der Verwaltung kommt der Truppe zugute, wenn ich mehr Zeit für Menschen habe und mich weniger mit Papier beschäftigen muss. Der hohe Anteil an Erwachsenenbildung und Unterricht kostet zwar viel Vorbereitung und Kraft, ist aber andererseits auch eine Herausforderung, sich immer politisch, gesellschaftlich und ethisch auf hohem geistigen Niveau zu halten.

Wie hat sich Ihre Arbeit mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs verändert?

Sandra Mehrl: Soldatinnen und Soldaten haben aus meiner Sicht sehr ernsthaft auf die Lage reagiert und das auch in Gesprächen und im Zusammenhang mit dem Gottesdienst thematisiert. Die Frage, wie es Menschen endlich gelingt, in Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt zusammenzuleben, beschäftigt meine „Gemeinde“. In der Gesellschaft ist Bundeswehr wieder zu einem Thema geworden und das wird in der Truppe registriert. Alles in allem wird auch intensiv über die Themen Tod und Verwundung gesprochen.

Was muss man mitbringen, um ein guter Militärseelsorger oder eine gute Militärseelsorgerin zu sein?

Sandra Mehrl: Ideenreichtum und Energie, Neugier auf ein fremdes System ist das eine, was man mitbringen sollte. Anderseits aber auch ein stabiles Selbstverständnis und Rollenklarheit, um ein guter Gesprächspartner und ein belastbares Gegenüber der Soldatinnen und Soldaten zu sein. Eine Militärseelsorgerin ist in erster Linie eine Pfarrerin mit Büro in der Gemeinde in der Arbeitswelt. Sie sollte Freude daran haben, ihre Türe den ganzen Tag über offen zu halten für die Menschen, die vorbeikommen. Wichtig ist ein hohes Maß an Kontaktfreude und Kommunikationskompetenz und gute Kondition, um die oft recht großen Kasernengelände zu durchstreifen und die Menschen am Arbeitsplatz zu besuchen.

Militärbischof Dr. Bernhard FelmbergBild: © Dieter Hollinde, EAS

„Bei unserer Arbeit steht die Seelsorge im Mittelpunkt“ – Gespräch mit Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg

Bischof Dr. Bernhard Felmberg leitet die evangelische Militärseelsorge mit über 100 evangelischen Geistlichen in Deutschland und ist zuständig für alle Angelegenheiten im Miteinander von Bundeswehr und evangelischer Kirche. Im Frühjahr 2023 traf er sich mit Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl zum Austausch in Stuttgart. Am Rande dieses Treffens ist das folgende Interview entstanden.

Wie sieht die Arbeit der Militärseelsorge in Deutschland aus?

Dr. Bernhard Felmberg: Derzeit sind etwa 260 bis 270 Personen für die Militärseelsorge tätig. Knapp 200.000 Menschen werden durch diesen Dienst begleitet. In der Bundeswehr gibt es mit 50 bis 60 Prozent einen höheren Anteil an Christinnen und Christen, die einer der großen Kirchen angehören, als im Bundesdurchschnitt.

Welche Unterstützung leistet die Militärseelsorge?

Dr. Bernhard Felmberg: Wir bieten zum Beispiel den Familien Rüstzeiten in evangelischen Tagungshäusern an, an denen pro Jahr 14.000 bis 15.000 Angehörige der Bundeswehr teilnehmen. Bei solchen Freizeiten ist Raum, um über „Gott und die Welt“ zu sprechen. Damit entlasten wir die Familien. Daneben gibt es den Lebenskundlichen Unterricht für die Soldatinnen und Soldaten, mit dem wir rund 40.000 Menschen erreichen. Dies ist kein religiöser Unterricht, sondern eine berufsethische Qualifizierungsmaßnahme. Dazu kommen Gottesdienste aller Art und manchmal auch intensive Lebensbegleitung. Die Militärseelsorge tauft auch ab und zu, denn es gibt beim Militär durchaus auch Erstbegegnungen mit der Kirche.

Wie wird die Militärseelsorge in der Bundeswehr wahrgenommen?

Dr. Bernhard Felmberg: Wir werden sehr unterschiedlich wahrgenommen, die Bandbreite reicht von „UFO“ bis zu „hier hört mir jemand wirklich zu“. In manchen Bereichen werden die Psychologinnen und Psychologen stärker nachgefragt als die Seelsorge. Aber weil die Seelsorge außerhalb der militärischen Hierarchie arbeitet, hat sie oft eine höhere Akzeptanz. 

Wie viele Militärseelsorger und -seelsorgerinnen gibt es in Deutschland?

Dr. Bernhard Felmberg: Wirhaben 104 evangelische Militärgeistliche in Deutschland, verteilt über das ganze Bundesgebiet, und in der Regel acht bis zehn Militärgeistliche, die in Auslandseinsätzen ihren Dienst tun und dort die Soldatinnen und Soldaten begleiten. Drei- bis vier Mal im Jahr gibt es einen Austausch der Militärseelsorgenden auf Konventen. Wichtig ist: Bei unserer Arbeit steht die Seelsorge im Mittelpunkt, nicht die friedensethische Haltung der EKD.

Was ist für die Militärgeistlichen das Besondere bei den Auslandseinsätzen?

Dr. Bernhard Felmberg: Für unsere Militärgeistlichen ist das Besondere an den Auslandseinsätzen, dass sie vier Monate am Stück vor Ort sind: Ob in Mali, in der Slowakei oder an anderen Orten, auch auf dem Meer, bei der Marine. Sie leben mit den Soldatinnen und Soldaten: Sie essen gemeinsam, treiben zusammen Sport, sie feiern gemeinsam Gottesdienst. Dabei nehmen die Soldatinnen und Soldaten die Seelsorge-Angebote in Anspruch. Das heißt: Sie leben intensiv miteinander, die Geistlichen sind ein gutes und kritisches Gegenüber und begleiten bei den Herausforderungen des Alltags. Insgesamt gehen Geistliche gerne in die Auslandssituation, denn sie erleben dort eine große Wertschätzung ihrer Arbeit.

Was hat sich in der Militärseelsorge mit dem Ukraine-Krieg verändert?

Dr. Bernhard Felmberg: Durch die veränderte großpolitische Lage steht plötzlich auch die Landes- und Bündnisverteidigung im Raum. Das bedeutet im Vergleich zu den Aufgaben der vergangenen Jahre eine neue Situation. In Afghanistan beispielsweise gab es im Rahmen des Einsatzes über einen langen Zeitraum hinweg insgesamt 50 bis 60 Tote. In Mali hingegen verbrachten die Einsatzkräfte ihre Zeit hauptsächlich im Lager. Jetzt sind die Seelsorgerinnen und Seelsorger plötzlich auch für den Fall X aufgestellt.

Die Militärseelsorge genießt eine hohe Akzeptanz, weil sie auch die Auslandseinsätze begleitet. Denn die Belastungen durch Auslandseinsätze haben zugenommen; die Familien stehen viel stärker unter Druck. Die evangelische Militärseelsorge reagiert darauf mit den geschilderten Angeboten. Die Soldatinnen und Soldaten nehmen ihren Beruf sehr ernst, sie sind sich jetzt ihrer Aufgabe viel stärker bewusst geworden. Sie fühlen sich stärker wertgeschätzt, weil der Gesellschaft wieder bewusster wird, wie wichtig Menschen sind, die unsere Demokratie schützen.

Werden die Soldatinnen und Soldaten, die in Bündnisstaaten tätig sind, besonders vorbereitet?

Dr. Bernhard Felmberg: Es gibt Vorbereitungen auf jeden Einsatz, sowohl für die Soldatinnen und Soldaten als auch für die Militärgeistlichen.  Das ist erforderlich, damit die Aufgabe, die am Einsatzort gestellt ist, gut erfüllt werden kann, und es zu keinen bösen Überraschungen kommt.

Wie nehmen Sie die Mitarbeit der Landeskirchen wahr?

Dr. Bernhard Felmberg: Ich bin dankbar dafür, dass die Landeskirchen die Militärseelsorge dadurch unterstützen, dass sie immer wieder Pfarrerinnen und Pfarrer in die Militärseelsorge schicken. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir hier meistern, daher bin ich auch dankbar für die gute Zusammenarbeit mit der Landeskirche in Württemberg.



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Grafik: elk-wue.de

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