| Gesellschaft

An der Wiege des Roten Kreuzes

Wohl nirgends in Deutschland war der Pietismus prägender als in Württemberg. Die evangelische Frömmigkeitsbewegung hat mit Waisenhäusern, Tüftlergeist, disziplinierter Arbeit und Bildungshunger das Land im Südwesten geprägt. Noch bis zum 11. September zeigt das Hauptstaatsarchiv eine Ausstellung zu diesem Thema. Dort erfährt man unter anderem, dass an der Wiege des Roten Kreuzes und der Genfer Konvention ein württembergischer Pietist stand.

Stuttgart. Der Stuttgarter Pfarrer Christoph Ulrich Hahn (1805 - 1881) gilt als Diakonie-Pionier, der sich in verschiedenen Vereinen gegen Armut und soziale Missstände engagierte. 1863 gründete er nach einer Begegnung mit Henry Dunant, dem Ideengeber für das Rote Kreuz und späteren Friedensnobelpreisträger, den Württembergischen Sanitätsverein. Das war die erste nationale Rotkreuz-Gesellschaft in Deutschland. Hahns Einsatz für die Genfer Konvention, die das Verhalten von Staaten im Krieg humaner gestalten wollte, wurde damit geehrt, dass er als Theologe dieses völkerrechtliche Dokument für das Königreich Württemberg als erster unterzeichnen durfte. 

Die Stuttgarter Ausstellung spannt den Bogen des Pietismus von den Anfängen bis zur Gegenwart. Den Startschuss gab 1675 der lutherische Theologe Philipp Jacob Spener, der mit seinem Buch "Pia Desideria" (Fromme Wünsche) ein leidenschaftliches Plädoyer für einen im Alltag praktizierten Glauben hielt. Zu den großen pietistischen Zentren entwickelten sich Halle an der Saale, wo August Hermann Francke erst sein Waisenhaus und dann einen großen Sozialkonzern baute, und Herrnhut in der Oberlausitz, wo Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf eine neue Art christlichen Gemeindelebens in seiner Brüdergemeine etablierte.

Während in den anderen Regionen Deutschlands die Pietisten fast immer am kirchlichen Rand standen, wurde in Württemberg 1743 mit dem "Pietistenreskript" ihr Status in der Landeskirche fest verankert. So billigte man ihnen zu, sich in eigener Regie zu "Erbauungsstunden" zu versammeln. Der frühere Leiter des württembergischen landeskirchlichen Archivs und Kurator der Ausstellung, Hermann Ehmer, weist darauf hin, dass in Württemberg - im Gegensatz zu anderen Regionen - der Pietismus stark von Pfarrern und Kirchenoberen getragen wurde. Bis heute sind Pietisten dort auch in kirchenleitender Funktion zu finden, in der basisdemokratisch gewählten Landessynode ist die pietistisch-evangelikale "Lebendige Gemeinde" weiterhin die stärkste Gruppierung. 

Historische Bücher, Gemälde, Drucke und Informationswände bilden den Schwerpunkt der Ausstellung. Sie zeigen pietistische Gründerväter großer diakonischer Werke, die heute etwa in der BruderhausDiakonie oder den Einrichtungen in Stetten im Remstal fortwirken. Selbstverständlich ist auch das legendäre Bild "Der breite und der schmale Weg" zu sehen, das zigtausendfach in pietistischen Haushalten hing und damit tagtäglich zu einem hingabevollen christlichen Leben ermahnte. Das Bild stellt Menschen vor die Entscheidung: Der schmale Weg des Glaubens verlangt Opfer, Einsatz für den Nächsten und eine Abkehr von sündigem Verhalten - als Belohnung lockt das ewige Paradies. 

Der breite Weg bietet Vergnügungen und Lustbarkeiten aller Art und endet in der Hölle. In diesem Bild zeigt sich allerdings auch ein extrem enges Kulturverständnis. So gehören das Theater und der Maskenball zum "breiten Weg", ja sogar die Eisenbahn, weil diese auch sonntags (am "Tag des Herrn") verkehrte und die Menschen zu allerlei sündigen Plätzen karrte. 

Die pietistischen Anstrengungen, Menschen auf allen Kontinenten für den christlichen Glauben zu gewinnen, hat Württemberg zu Internationalität verholfen. Unter den Missionaren waren einige Sprachgenies, die etwa afrikanischen oder indischen Sprachen eine Schriftform geben konnten und so einen wertvollen Beitrag zur Kulturerhaltung leisteten. Weil die Mission Geld kostet, wurde in den Gemeinden eifrig für diesen christlichen Dienst gesammelt. In vielen Kirchen und Gemeindehäusern stand ein "Missionsneger" - ein schwarzer Junge auf einer Spendenbüchse, der aufgrund der eingebauten Mechanik dankbar sein Haupt neigte, sobald eine Münze eingeworden wurde. Auch dieses Objekt ist in der Stuttgarter Ausstellung zu sehen.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (EPD)

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