Die Diakonissen aus Aidlingen verstehen sich als Brücke zwischen Party und Gott
Stuttgart. Bierzelt, Pommesbude, Riesenrad: Das ist der Cannstatter Wasen. Doch auf dem Volksfest tummeln sich auch Exoten. Zum Beispiel die Aidlinger Schwestern, die dort seit 85 Jahren Bibeln verkaufen. Und nebenbei auch noch Spaß haben am zweitgrößten Volksfest Deutschlands.
Statt Dirndl trägt sie Schwesterntracht: graues Kleid, schwarze Schürze, weißes Häubchen. Die Diakonisse aus Aidlingen (Kreis Böblingen) wirkt zwischen Bierzelt, Pommesbude und Autoscooter etwas deplatziert auf dem Cannstatter Wasen, dem zweitgrößten Volksfest Volksfeste Deutschlands.
Rosemarie Bongartz - oder Schwester Rosemarie, wie sie sich selbst nennt - sieht das anders. „Wir stehen hier, um Jesus Christus zu verkündigen“, sagt die resolute Mittsechzigerin. Ihr biblischer Missionsauftrag laute: „Geht hin in alle Welt!“
Auf dem Wasen jedoch sei es umgekehrt: „Hier kommt die Welt zu mir.“
Sogar Bibel auf Hebräisch verkauft
Gemeinsam mit anderen Schwestern vom Diakonissenmutterhaus Aidlingen verkauft Schwester Rosemarie auf dem Wasen Bücher, CDs, Kalender, Postkarten - und Bibeln. 30 davon gingen in der ersten Wasen-Woche schon über den Ladentisch - nicht nur deutsche, sondern auch ein italienisches, russisches und hebräisches Exemplar.
„Gegengewicht zum Essen, Trinken und Feiern"
Aus allen Weltgegenden kämen ihre Kunden, sagt sie. Ein Besucher, der gerade einen Stopp am Bibelstand einlegt, findet die Aktion „eigentlich ganz cool“. Sie bilde „ein Gegengewicht zum Essen, Trinken und Feiern“, meint er. Auf den Kontrast hat es auch eine Frauengruppe in Dirndln abgesehen - allerdings als Fotomotiv für Selfies.
„Für die bete ich dann“
Den Wasen-Exoten schlägt allerdings nicht nur Wohlwollen entgegen. Manche Passanten würden sie belächeln oder sogar verspotten, erzählt Schwester Rosemarie. „Für die bete ich dann.“
Schützenhilfe erhält sie von der Betreiberin des Kettenkarussells gegenüber. „Das ist unser Glaube“, bekräftigt die Frau. „Warum sollen wir den ausgrenzen?“
Gutes Verhältnis zu den Schaustellern
Generell sei das Verhältnis zu den Nachbarständen gut, bestätigt Schwester Rosemarie. „Man freut sich aufeinander, redet miteinander, guckt nacheinander.“
Auch Jörg Klopfer, Sprecher der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart, sagt, das Engagement der Schwestern werde von den Schaustellern und deren Kindern geschätzt. Für einen Gottesdienst auf dem Wasen etwa hätten die Schwestern gemeinsam mit Schausteller-Kindern jüngst ein Lied einstudiert. „Sie sind mit sehr viel Herz und Freude bei der Sache“, lobt Klopfer.
Die Schwester auf dem Riesenrad
Schwester Rosemarie steigt auch mal ins Riesenrad und ins Kettenkarussell, Pommes kauft sie regelmäßig beim Grill nebenan.
Einen Widerspruch zu ihrer Berufung sieht sie darin nicht. „Christ zu sein, ist nichts Verschrobenes“, sagt sie, und ihre wachen Augen funkeln hinter der randlosen Brille. „Da gehört jede Menge Lebensfreude dazu.“
„Rummelplätze immer geliebt“
Gott habe sie an diesen Platz gestellt, davon ist Schwester Rosemarie überzeugt. Und dort fühlt sie sich wohl.
„Schon als Kind habe ich Rummelplätze immer geliebt“, erinnert sie sich. Ihre zweite Leidenschaft gilt der Technik. Jahrelang hat sie als Krankenschwester Patienten in einer Klinik in Kirchheim u. Teck (Kreis Esslingen) betreut - erst in der Chirurgie, dann in der Anästhesie, schließlich im Herzkatheterlabor.
Brücke zwischen Partygästen und Gott
All das sei möglich gewesen, obwohl oder gerade weil sie mit 25 Jahren in die Aidlinger Schwesternschaft eingetreten sei. Die pietistische Gemeinschaft wurde 1927 gegründet, hat aktuell 230 Mitglieder und gehört zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Ihre Angehörigen leben den Dienst an Gott und den Menschen im Rahmen der Diakonie als Religionslehrerinnen, Altenpflegerinnen und Krankenschwestern. Oder eben auf dem Cannstatter Wasen als Brücke zwischen Partygästen und Gott.
Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Presseagentur (dpa)
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