Müsste man eine Weltmeisterschaft, deren Gastgeber Grundrechte mit Füßen tritt, nicht eigentlich boykottieren? Rundfunkpfarrer Andreas Koch plagen Gewissensbisse. Was Gott davon hält und wie er damit umgeht erklärt er im neusten Beitrag seiner Kolumne „Am Ball".
Seit ein paar Tagen habe ich Gewissensbisse, und daran ist meine ältere Tochter schuld. Dabei hat sie mir lediglich mitgeteilt, dass sie anders als ursprünglich geplant die Fußballweltmeisterschaft in Russland nun doch nicht boykottiert: „Grund genug dafür gäbe es ja, aber was erreiche ich schon damit? Juckt doch keinen, ob ich Fußball schaue oder nicht!“
Wie gesagt, seit diesem Anruf ist’s mit meinem Seelenfrieden vorbei. Wirklich wohl war mir zwar im Blick auf die Putin-Spiele noch nie. Im Unterschied zu meiner Tochter aber habe ich die Frage nach persönlichen Konsequenzen umdribbelt wie vor Jahren der Schalker Stan Libuda seine Gegenspieler – und Gott. „An Gott kommt keiner vorbei“, stand damals auf einem Plakat zu lesen. Daneben hatte ein Spaßvogel geschrieben: „außer Stan Libuda“.
Aber ich will nicht ablenken. Dafür ist das Problem mit dem Sport hier, den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit da zu ernst – und alles andere als neu. Zum Beispiel Argentinien 1978: die WM im Land einer Militärjunta? „Nein danke!“ lautete im Evangelischen Stift in Tübingen die Devise, und tatsächlich war der Fernsehraum meist ziemlich leer. Ich selber war auch schon damals kein Bedenkenträger: „Juckt doch niemand, ob ich Fußball schaue oder nicht!“
Und heute? Heute hat sich meine Tochter auf jeden Fall mehr Gedanken gemacht als ich. Ob ich ihr hätte sagen sollen: „Komm, wir boykottieren gemeinsam“? Bei ganz, ganz vielen Vätern und Töchtern und Müttern und Söhnen zusammen würde es ja vielleicht schon jemand „jucken“.
„Das Gewissen des Menschen ist das Denken Gottes“, schreibt Victor Hugo. Ich kann mir denken, was Gott über die WM in Russland denkt – und über Deutschlands 0:1 gegen Mexiko sowieso.
Andreas Koch
Andreas Koch ist Rundfunkpfarrer, steht in Freud und Leid treu zu seinem VfB Stuttgart und hat zahlreiche fußballerische Großevents mit Kolumnen und „Kabinenpredigten“ begleitet. Zur Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland erscheint von ihm auf www.elk-wue.de in unregelmäßiger Reihenfolge „Am Ball“.
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