In sich versunken sitzt Wolfgang Kutter im Chor der Esslinger Franziskanerkirche. Durch die hohen Kirchenfenster dringt Sonnenlicht. Im Raum herrscht tiefe Stille. Es ist Samstagmittag. In wenigen Minuten beginnt das Mittagsgebet „12 nach 12“. Seit zehn Jahren leitet es Wolfgang Kutter ehrenamtlich.
„Als ich nach Esslingen zog, wollte ich mich in das kirchliche Leben einbringen, ganz wie Martin Luther von uns ‚normalen‘ Christen fordert, die Kirche mit Leben zu füllen“, sagt der 54-Jährige. Und deshalb schlug er Citypfarrer Peter Schaal-Ahlers vor, ein Stundengebet anzubieten. An jedem zweiten Samstag im Monat findet seit zehn Jahren nun das Mittagsgebet „12 nach 12“ genau zu dieser Uhrzeit statt. Es ist ein ökumenisches Angebot, an dem immer wieder andere Menschen teilnehmen. „Ich mache dort das, was ich zuhause auch mache, nur eben gemeinsam mit anderen. Das ist schöner.“
Mit dem Chor der ehemaligen Franziskanerkirche, wo heute das „Kloster für die Stadt“ mit zahlreichen spirituellen Angeboten beheimatet ist, fand sich ein idealer Raum für das überwiegend gesungene Mittagsgebet. „Der Raum wirkt ganz stark spirituell, man spürt, es ist ein Gebetsraum, der früher nur den Mönchen zugänglich war“, erklärt Schaal-Ahlers. Die Akustik kommt dem gregorianischen Gesang entgegen. „Der Raum ist voller Klang, wenn man singt“, ergänzt Kutter. Mit dem Stundengebet knüpfe man an die mönchische Tradition an. Das kommt auch in den weißen Gewändern zum Ausdruck, die an Mönchskutten erinnern.
Wolfgang Kutter, der auch im Kirchengemeinderat der evangelischen Johanneskirche und im Esslinger Gesamtkirchengemeinderat engagiert ist, hat das Stundengebet schon in seiner Jugend bei einem kirchenmusikalischen Kurs für sich entdeckt. In seiner Heimatgemeinde nahm er Orgelunterricht und sang im Kirchenchor. Das Stundengebet praktizierte er aber überwiegend für sich alleine. „Ich nahm die Elemente, die mir wichtig waren. Das hat sich mit den Jahren auch immer wieder verändert.“ Das Innehalten, die Gebete und die Kontemplation geben ihm Kraft im Alltag – für seinen Beruf als Lagerist, aber auch für sein Engagement in der Flüchtlingsarbeit. Seit 13 Jahren begleitet Kutter einen Flüchtling, mit dem er auch viele schwierige Situationen und Zeiten durchgestanden hat. Deshalb ist Kutter das Wort des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer - „nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen“ - wichtig. „Die Gebete helfen mir, nicht aufzugeben. Sie wirken beruhigend und aufbauend.“ Auch Bonhoeffer habe erkannt, dass man Räume und Stille brauche, um sich zurückzuziehen und zu sammeln, erklärt Schaal-Ahlers. In der Spiritualität der Gregorianik habe er sie gefunden.
Das Stundengebet wirkt durch das Vormachen. Es wird einem alles vorgesungen, deshalb ist es leicht, alles mitzumachen
Dass sich oft nur wenige Menschen zum Mittagsgebet einfinden, bedauert Kutter. „Das hat bei uns Evangelischen vor allem in Württemberg keine Tradition mehr. Diese ging in der Aufklärung verloren.“ Dabei sei das Stundengebet im kleinen Kreis eigentlich eine altkirchliche Tradition, betont Schaal-Ahlers. Andererseits seien es oft Menschen, die sonst wenig in die Kirche gehen, die sich vom Mittagsgebet ansprechen lassen, weiß Wolfgang Kutter. „Das Stundengebet wirkt durch das Vormachen. Es wird einem alles vorgesungen, deshalb ist es leicht, alles mitzumachen“, erklärt Kutter. Allerdings werde in den kurzen Andachten ohne Predigt auch nichts erklärt oder gedeutet.
Kutter wird beim Mittagsgebet und den längeren Abendgebeten, die viermal im Jahr in der evangelischen Kirche in Esslingen-Mettingen stattfinden, von Manuela Olschewski und Peter Plappert unterstützt. Das Team hat im Lauf der Jahre immer wieder gewechselt. Wolfgang Kutter ist jedoch wichtig, „dass das keine Privatveranstaltung von mir ist. Jeder bringt seine eigene Persönlichkeit und seine Fähigkeiten ein.“
Ulrike Rapp-Hirrlinger
Das nächste Mittagsgebet findet am 10. September statt. In Mettingen gibt es am 23. Oktober um 18 Uhr ein Abendgebet.
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