| Gesellschaft

Der letzte Lebensweg

Interview mit Pfarrerin Carola Münd über eine Abschiedskultur in Pflegeheimen

Die meisten Menschen wünschen sich, dass sie bis an ihr Lebensende in ihren eigenen vier Wänden leben können. Doch häufig ist der letzte Wohnort nicht die eigene Wohnung, sondern ein Senioren- oder Pflegeheim. Pfarrerin Carola Münd aus Stuttgart-Botnang ist seit vielen Jahren in der Altenheimseelsorge tätig. Sie tritt für eine Kultur des Abschieds bereits im Alltag eines Heims ein. Was darunter zu verstehen ist, erläutert sie im Interview mit Ute Dilg.

Pfarrerin Carola Mündprivat

Wie fühlen sich alte Menschen, wenn sie die letzte Zeit ihres Lebens im Pflegeheim verbringen und irgendwann auch wissen, dass sie es nicht mehr lebend verlassen werden?

Es gibt alte Menschen, die sich ganz bewusst für ein Seniorenheim entscheiden in dem Wissen, dort auch zu sterben. Meist haben diese Leute eine Patientenverfügung gemacht und können gut damit leben. Andere Senioren schieben den Tod eher weg und hoffen, dass es noch lange nicht so weit ist. Und dann gibt es noch die Gruppe, die ihre Endlichkeit völlig verleugnet und großes Heimweh hat nach der früheren, eigenen Wohnung. Diese Menschen sind oft sehr zornig und haben große Angst.

Dürfen die Menschen im Alten- oder Pflegeheim in ihrem eigenen Zimmer sterben?

In der Regel wird das Sterben so eingerichtet, wie es von den Sterbenden oder Angehörigen gewünscht wird. Es ist gut, wenn das vorher im Kontakt mit dem Pflegepersonal und dem behandelnden Arzt besprochen wurde. Wenn jemand überhaupt nichts vorgibt, ist es schwierig.

Wie erleben Sie den Sterbeprozess als Seelsorgerin in einem Altenheim?

In den vergangenen Jahren hat sich im Bereich der palliativen Pflege sehr viel getan. Es gibt in fast allen Heimen Pflegerinnen und Pfleger mit einer spezifischen Ausbildung in diesem Bereich, die sich intensiv damit beschäftigt haben, wie man Sterbende begleitet und wie deren Wünsche berücksichtigt werden können. Je bewusster im Altenheim mit dem Thema Sterben und Tod umgegangen wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen so sterben dürfen, wie es sich wünschen – also etwa im eigenen Bett und ohne Ernährung durch eine Sonde.

In Pflegeheimen herrscht Personalmangel. Haben die Mitarbeiter überhaupt die Zeit und die Ruhe die Menschen beim Sterben zu begleiten?

Es kann die Situation sehr entspannen, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege an dieser Stelle mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten. In dem Seniorenheim in Stuttgart-Botnang, in dem ich für die Seelsorge zuständig bin, gibt es die sogenannte Sitzwache. Das sind Ehrenamtliche, die in Alten- und Pflegeheime gehen, um Menschen auf ihrem letzten Lebensweg zu begleiten.

Welche seelsorgerlichen Möglichkeiten gibt es, den Sterbenden und ihren Angehörigen den Abschied zu erleichtern?

In einem System wie einem Altenheim ist es wichtig, dass es eine Struktur gibt – also etwa ein Team für palliative Pflege, das in den Sterbeprozess mit einbezogen ist. Aber man braucht auch eine Kultur des Abschieds auf allen Ebenen des Alltags. Das fängt schon bei der Aufnahme eines neuen Bewohners oder einer neuen Bewohnerin an, bei der das Thema Sterben nicht ausgeklammert sein sollte. Das geht weiter wenn jemand stirbt. Die Mitbewohner bekommen das mit und sehen, wie mit dem Sterbenden und dem Sterben umgegangen wird. Es geht auch darum, dass die Angehörigen rechtzeitig informiert werden, eine Sitzwache da ist, die Pflegerinnen besonders aufmerksam sind, dass es eine Abschiedsfeier gibt, eine Kerze angezündet wird, andere Heimbewohner vom Tod informiert werden. Und dass ein Zimmer eben nicht sofort nachbelegt wird, als wäre nichts gewesen.

Was tun können Sie als Pfarrerin tun?

Wenn ich ans Sterbebett gerufen werde, dann bete ich mit den alten Menschen, segne sie oder wir feiern noch ein Abendmahl, oft auch mit den Angehörigen. Manchmal sind Sterbende sehr unruhig. Dann hilft es, einfach da zu sein und die Unruhe mit auszuhalten. Ich muss dann einfach ausprobieren, was die Menschen entlastet, etwa singen oder beten.

Welche Möglichkeiten hat ein Pflegeheim, um den Trauerprozess der Angehörigen, der anderen Heimbewohner und auch der Mitarbeitenden zu begleiten?

In vielen Heimen laden die Pflegekräfte zu kleinen Abschiedsfeiern ein. In Botnang haben wir Pfarrerinnen und Pfarrer dafür einen Ordner erstellt mit Texten und Anregungen. Anfangs wurde ich immer dazu gerufen, mittlerweile gestalten die Pflegerinnen und Pfleger die Feier alleine. Dann werden Kerzen angezündet und alles weggeräumt, was mit Pflege zu tun hat. Es ist nicht nur für die Angehörigen wichtig, Abschied zu nehmen, sondern auch für die Heimbewohner und das Pflegepersonal. Sie haben den Verstorbenen ja oft jahrelang begleitet. Sterben gehört zu ihrem Beruf dazu. Abschied nehmen ist meistens schwer und traurig. Es ist wichtig, dass es dafür einen Ort gibt. Deshalb sind auch die jährlichen Gedenkgottesdienste wichtig, die es in vielen Heimen gibt und zu denen die Angehörigen dann noch einmal ins Heim kommen. 


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