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Kirchenglocken und Kanonendonner

Die Wiederauferstehung des evangelischen Kirchleins in Gruorn

Jetzt ist es soweit, wenn auch mit den Einschränkungen, die die Corona-Pandemie erfordert: Die neue Saison hat in Gruorn begonnen. Das alte Dorf bei Münsingen musste einem Truppenübungsplatz weichen. Geblieben sind sein Schulhaus, sein Friedhof und seine Kirche. Sie zu besuchen ist ein  berührendes Erlebnis inmitten einer großen Naturlandschaft.

In den 60-er Jahren war von diesem Kirchlein nur noch ein Torso übrig. Andreas Steidel

Die Panzer zogen ein

Zwischen den Bäumen und Wacholdersträuchen der weiten Alb-Heide bei Münsingen lugt ein kleiner Glockenturm heraus. Wenn es dort zum Gottesdienst läutet, zieht der Glöckner das Seil von Hand. Es ist ein wenig wie damals, im April 1939, als der Mesner zum allerletzten Mal die Menschen zum Abendmahl zusammenrief.

An jenem Apriltag 1939 ging die Geschichte des Dorfes Gruorn auf der Schwäbischen Alb zu Ende. Die Panzer zogen ein und mit ihnen die Soldaten der Wehrmacht. 665 Menschen mussten einem Truppenübungsplatz weichen und ihre Höfe, Felder und Kirche verlassen. Sie verfielen nach und nach unter dem Kugelhagel der Militärs und den Einflüssen von Wind und Wetter.

Ein Foto zeigt das Ausmaß der Zerstörung.

Das letzte Stündlein schien geschlagen

Anfang der Sechzigerjahre – inzwischen beherrschten die Franzosen den Truppenübungsplatz – war von der alten Kirche nur noch ein Torso übrig. Das Dach war eingefallen und der Turm marode. Im Oktober 1966 schien ihr letztes Stündlein geschlagen zu haben: Das Denkmalamt kündigte an, die Kirche von Gruorn aus der Liste der Baudenkmäler zu streichen.


Auch in Corona-Zeiten sind Ausflügler und Pilger unterwegs, vor allem einzeln, nur tageweise und auf regionalen Wegen. Elk-wue.de stellt in diesem Jahr in unregelmäßigen Abständen Glaubens- und Pilgerwege vor und spricht mit Menschen über ihre Pilgererfahrungen.


Es war das Todesurteil, das Zeichen dafür, dass man sie nun aufgegeben hatte. Wer heute in der komplett renovierten Kirche von Gruorn sitzt, kann das kaum glauben. Reibt sich erstaunt die Augen, was hier in den vergangenen 50 Jahren passiert ist. 

Andreas Steidel

Ein kleines Wunder der Wiederauferstehung eines evangelischen Kirchleins, das so bezaubernd ist, dass man Gott für seine Erhaltung danken möchte.

Gruorner Bürger werden aktiv

Kurz nach der Löschung aus der Denkmalliste waren ein paar alte Gruorner Bürger aktiv geworden. Schon seit den frühen Fünfzigerjahren hatten sie sich zu Pfingsten in ihrem alten Dorf versammelt. Per Ausnahmegenehmigung der Franzosen, ein Nostalgietreffen gleich neben der Panzerschießbahn. Die Gruorner begannen Pläne zu schmieden für den Wiederaufbau, für die Restaurierung ihrer alten Kirche, die ihnen noch immer heilig war.

Ein Kirchlein, so bezaubernd, dass man Gott für seine Erhaltung danken möchte.Andreas Steidel

1973 konnte tatsächlich wieder der erste Gottesdienst dort gefeiert werden. Es ist ein Erlebnis, in dieser Kirche zu sitzen. Gottesdienst zu feiern mit den Menschen, die sich hier heute dreimal im Jahr versammeln: Anfang April in Erinnerung an das letzte Abendmahl, beim traditionellen Treffen der Gruorner am Pfingstsonntag, und zu Allerheiligen, dem Gedenktag für die Toten.


Von Andreas Steidel erschienen ist zum Thema das Buch „Glaubenswege für Genießer – Die Schwäbische Alb“, Edition Evangelisches Gemeindeblatt, Stuttgart, 2018, ISBN: 978-3-945369-66-1


Steinerne Zeugen der Geschichte

Der Friedhof um die Kirche ist mindestens so bezaubernd wie die Kirche selbst. Ein Gottesacker mit uralten Gräbern und Grabkreuzen, ein Ort der Stille mit den steinernen Zeugen der Geschichte. Bis 2005 stand die Kirche auf einem aktiven Truppenübungsplatz. Nach den Franzosen hatte die Bundeswehr das Gelände übernommen.

Kutteln, Maultaschen oder Wurstsalat, dazu Kaffee, Säfte und ein lokales Bier: die Gastronomie im alten Schulhaus hat wieder geöffnet.Andreas Steidel

Seit 2006 wieder frei zuänglich

2006 wurde der Truppenübungsplatz aufgelöst und in ein Naturschutzgebiet verwandelt. Nun war Gruorn erstmals wieder frei zugänglich. Neben dem Friedhof und der Kirche hat auch das alte Schulhaus die Zeiten überdauert. Dort wurde ein Museum eingerichtet und eine Gastronomie. Sie wird seit einigen Jahren professionell bewirtschaftet und ist in der Saison von  Mittwoch bis Sonntag täglich geöffnet. Kuchen gibt es da, deftige Speisen wie Kutteln, Maultaschen oder Wurstsalat, dazu Kaffee, Säfte und ein lokales Bier. Genau das Richtige für Menschen, die unterwegs sind und einkehren möchten.

Heute ist der alte Truppenübungsplatz das Kernstück des Biosphärengebietes Schwäbische Alb, eine Insel der Ruhe und des Friedens. Andreas Steidel

Heute ein Kernstück des Biosphärengebietes

Die Landschaft um die Kirche und das Schulhaus ist ein Juwel. Die jahrzehntelange Abgeschiedenheit ohne forst- und landwirtschaftliche Nutzung hat dort eine Natur erhalten, die ihresgleichen sucht. So gibt es kaum künstliches Licht, wenig dauerhaft befahrene Straßen und keine Neubaugebiete oder Gewerbeareale. Der alte Truppenübungsplatz ist heute das  Kernstück des Biosphärengebietes Schwäbische Alb, eine Insel der Ruhe und des Friedens, dort wo einst Panzer verkehrten und Kanonen donnerten.


Anfahrt
Grundsätzlich sind Gruorn und der ehemalige Truppenübungsplatz für Privat-PKW gesperrt. Ausnahme: das jährliche Gruorn-Treffen am Pfingstsonntag, das dieses Jahr nicht stattfinden konnte. Wann  Reisebusse nach Voranmeldung wieder nach Gruorn fahren dürfen oder Sonderführungen möglich sind, ist derzeit noch nicht absehbar. Weitere Informationen gibt es bei der Touristik Information Münsingen.

Gottesdienst und Kirchenführungen
können derzeit in Gruorn noch nicht stattfinden. Einzelnen Besucherinnen und Besuchern steht aber die Kirche offen.

Einkehren
Direkt neben der Kirche ist im alten Schulhaus nicht nur ein Museum, sondern auch eine professionelle Gastronomie untergebracht. Sie ist wieder geöffnet.


Autor: Andreas Steidel



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