| Gedenktag

Vom Bäcker zum Bürgermeister

475. Todestag von Jos Weiß

Für einen kurzen Moment trat die kleine Reichsstadt Reutlingen auf die Bühne der Weltgeschichte: Als im Juni 1530 in Augsburg die „Confessio Augustana“ unterzeichnet wurde, standen neben den Unterschriften der großen protestantischen Fürsten auch die zweier Reichsstädte – die des reichen Nürnberg und die Unterschrift des Reutlinger Bürgermeisters Jos Weiß. Heute vor 475 Jahren ist er gestorben.

Christian Beyer verliest vor Kaiser Karl V. die „Confessio Augustana“Wikimedia Commons

Reutlingen war damals in einer heiklen Lage: Die Predigten des Reformators Matthäus Alber waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Doch war die Reichsstadt abhängig vom katholischen habsburgischen Kaiser und außerdem permanent bedroht vom umgebenden, zu der Zeit ebenfalls habsburgischen Württemberg. Es bedurfte also einer vorsichtigen, klug abwägenden Politik von Seiten der Bürgerschaft, um an der Reformation festhalten und gleichzeitig machtpolitische Bedrohungen abwehren zu können. Niemand prägte diese Politik so sehr wie Jos Weiß.

Über sein persönliches Leben weiß man recht wenig. Geboren wurde er vermutlich um 1480. Hielt man ihn früher für einen Weingärtner, wird heute eher angenommen, dass Weiß Bäcker war. Seit 1520 durchlief er die Stufen einer politischen Karriere in Reutlingen – als Zunftmeister, Spendenpfleger, Angehöriger des Rats und ab 1530 bis zu seinem Tod als Bürgermeister. Weiß vertrat Reutlingen auf Städtetagen und Reichstagen, reiste nach Ulm und Frankfurt, nach Schmalkalden und Schweinfurt. Er schloss sich 1529 der Speyrer Protestation an, schmiedete Bündnisse, suchte den Schulterschluss mit den reformiert geprägten oberdeutschen Städten und verankerte Reutlingen mit der Unterschrift unter die Augsburger Konfession doch fest im Lager der Lutherischen.

Über Wochen und Monate war Weiß unterwegs. Immer wieder bat er die Bürgerschaft um Ablösung oder wenigstens um mehr Spesen. Die langen Abwesenheiten waren schließlich auch ein wirtschaftliches Risiko. Von Augsburg schrieb er, man solle ihn doch abberufen, "darmit ich auch zu meinem Handel komen köne, in den Herbst, denn es liegt mir vill daran".

Jos Weiß starb auf der Anreise zu einem Reichstag in Nürnberg am 11. August 1542 in Eschenbach. Sein Andenken wird in seiner Heimatstadt in Ehren gehalten. Als man dort Ende des 19. Jahrhunderts die Marienkirche aufwändig sanierte, stellte man vier Statuen auf, Heiligenbilder der Reformation: die Großreformatoren Luther und Melanchthon, den Reutlinger Reformator Matthäus Alber und eben Jos Weiß – drei Theologen und ein Handwerker.

Jos Weiß steht für die Erkenntnis, dass die Reformation ebenso ein politischer wie ein theologischer Prozess war, auch da, wo es nicht nur um Machtpolitik ging. Reutlingen konnte sich als eine kleine Reichsstadt in gefährlichen Zeiten behaupten, ohne von seinen religiösen Überzeugungen zu lassen. Nur so war dort die Reformation überhaupt (so früh) möglich. Weiß hatte daran mit kluger, umsichtiger Politik großen Anteil – auch weil er sie, nach allem, was man weiß, mit fester Glaubensüberzeugung verband.

Johannes Grützmacher


Mehr News

  • Datum: 04.05.2024

    1.000 Menschen feiern Fest der Innovation

    Rund 1.000 Haupt- und Ehrenamtliche aus allen Regionen der württembergischen Landeskirche sind in Reutlingen zusammengekommen, um ihre Ideen für die Zukunft der Kirche zu präsentieren, zu diskutieren und um sich von den Ideen anderer inspirieren zu lassen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    „Gott provoziert Veränderungen und begleitet sie“

    Die Kirchengemeinden hätten viel Gestaltungsspielraum, sagte Anna-Nicole Heinrich (Präses der 13. Synode der EKD) auf dem Innovationstag der Evangelischen Landeskirche in Reutlingen, und ermutigte dazu, ihn zu nutzen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    Kira Geiss: „Kirche ist für mich Lebensfreude"

    Beim Innovationstag der Landeskirche trafen sich Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und Kira Geiss, Miss Germany 2023 und christliche Influencerin, um über ihre Erfahrungen mit Innovation in der Kirche zu sprechen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    „One size fits all funktioniert nicht mehr“

    Dr. Klaus Douglass, Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) betonte auf dem Innovationstag der Landeskirche, Kirche müsse sich von innen heraus erneuern. Es gebe auch zahlreiche Belege für Erneuerung in der Bibel.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    „Hoffnung macht mir die Kirche, die nah bei den Menschen ist“

    Beim Innovationstag der Landeskirche tauschen sich rund 1.000 ehren- und hauptamtliche Teilnehmende über Innovationsideen und -projekte aus und lassen sich in Workshops und Vorträgen inspirieren. Hier finden Sie das Eröffnungsgrußwort von Landesbischof Gohl im Volltext.

    Mehr erfahren
  • Datum: 03.05.2024

    „Begeisterung für Fußball erleben“

    Vom 14. Juni bis 14. Juli findet in Deutschland die Fußball-EM der Männer statt. Fünf der Spiele werden in Stuttgart ausgetragen. Die Landeskirche begleitet das Großereignis unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit vielen Angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 03.05.2024

    TV-Tipp: Vierfacher Vater plötzlich Witwer

    Innerhalb weniger Wochen änderte sich Stefan Bitzers Leben komplett. Er verlor seinen Job, seine Frau, seinen Vater – und blieb zurück mit vier Kindern. Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb spricht mit ihm darüber, wie er diese kritische Lebensphase bewältigte.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.04.2024

    „Stadtradeln“ mit Gottes Segen

    Die württembergische Landeskirche unterstützen die Aktion „Stadtradeln“ mit dem Landesarbeitskreis „Kirche und Sport“ und mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart sowie dem Württembergischen Landessportbund. Unter dem Motto Achtsamkeit werden ein Andachtsentwurf und kostenfreie Aufkleber „Bleib behütet auf all deinen Wegen“ angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.04.2024

    So begeistert Gemeinde – sieben Projekte

    Unter dem Motto #gemeindebegeistert stellen Menschen auf dem Innovationstag Projekte vor, die auf neue Weise Kirche der Zukunft gestalten: Von „4 Pfarrer auf 1 Streich“ bis „Schwätzbänkle“. Wir haben gefragt, was die Ideen besonders macht und welche Vision dahintersteckt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.04.2024

    Video: „Gottesdienste sind fast wie Urlaub“

    Was macht an dem Beruf der Mesnerin besonders Spaß? Welche Herausforderungen bringt er mit sich, und warum fühlt er sich manchmal wie Urlaub an? Rundfunkpfarrerin Barbara Wurz hat bei SWR1 Begegnungen Gabi Sauer, die Mesnerin der evangelischen Veitskirche in Nehren, zu Gast.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. Martin Rößler

    „Wir gratulieren Martin Rößler und wünschen ihm Gottes Segen. Einen passenderen Sonntag als diesen gibt es für Martin Rößler nicht: Sonntag Kantate, der das geistliche Singen in den Mittelpunkt stellt.“ Landesbischof Gohl gratuliert Prof. Dr. Martin Rößler zum 90. Geburtstag.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    „Das Gesangbuch ist ein Lebensbuch“

    „Singen ist Lebenshilfe. Das Gesangbuch ist mehr als eine Sammlung von Liedern für wechselnde Jahreszeiten und sonstige Anlässe. Das Gesangbuch ist ein Lebensbuch.“ Das sagt Landesbischof Gohl in seiner Predigt aus Anlass des 500-jährigen Jubiläums des evangelischen Gesangbuchs.

    Mehr erfahren
Mehr laden