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Synagogenführerin aus Leidenschaft

Vom 2. bis 16. November finden in Stuttgart die Jüdischen Kulturwochen 2014 statt. Auf dem Programm steht dabei u. a. eine Synagogenführung mit Rahel Dror. Trotz ihres hohen Alters macht die 1921 in Königsberg geborene Jüdin, für ihre Verdienste um die christlich-jüdische Zusammenarbeit mit der Otto-Hirsch-Medaille ausgezeichnet, solche Führungen nach wie vor mit Leidenschaft – und aus Verantwortung der jungen Generation gegenüber. Nadja Golitschek hat mit ihr gesprochen.  

Rachel Dror, 93 Jahre, erzählt über ihre Vergangenheit.EMH – Nadja Golitschek

Frau Dror, wie haben Sie die Anfänge des Nationalsozialismus in Deutschland erlebt?
Rachel Dror:
Zur Zeit der sogenannten Machtergreifung 1933 war ich zwölf Jahre alt. Eines Tages rief mich meine Mutter und sagte, dass ich meinen Freund nicht mehr treffen darf. Ich wusste gar nicht, warum. Ich dachte, ich bin doch nicht schmutzig, stinke ich etwa? Und dann sagte sie mir, dass es daran liegt, dass ich Jüdin bin. Am nächsten Tag kam ich in die Klasse. Da mussten alle Juden auf einmal hinten sitzen. Für mich war das aber keine Strafe, weil ich sehr unaufmerksam war. Nach einem halben Jahr musste ich die Schule verlassen und auf die Mittelschule wechseln [Anm. d. Red.: heute Realschule]

Sie sind 1939 nach Palästina ausgereist. Wann haben Sie beschlossen, auszuwandern?
Dror:
Zuerst wurde mein jüdischer Freund nach Polen verschickt. Und als ich nach dem 9. November 1938, der Reichspogromnacht, nach Hause kam und sah, dass mein Elternhaus zerstört war, mein Vater geschlagen wurde und mein Bruder so bedroht, dass er nur noch stotterte – da beschloss ich wegzugehen. Meinte Tante lebte bereits seit 1913 in Palästina. Sie schickte mir eine Fahrkarte und konnte mich so retten. Meine Eltern hatten kein Geld mehr zum Ausreisen. 1952 habe ich durch Zufall erfahren, was mit ihnen passiert ist: In Haifa kam mir eine Frau entgegen, die mich anstarrte. Es stellte sich heraus, dass sie in dem gleichen Transport nach Auschwitz war wie meine Eltern. Mein Vater hatte angeblich ein Bild von mir in seinem Sträflingsanzug. Und so hat sie mich erkannt und mir von ihnen erzählt.

Nach 18 Jahren in Israel sind Sie nach Deutschland zurückgekehrt. Wie kam es dazu?
Dror:
Mein Ehemann hatte in Deutschland studiert. Als in den 50er Jahren der Wirtschaftsaufschwung nach Deutschland kam, sagte er, dass wir hier beide arbeiten können. Ich wäre lieber nach England, als gute Ehefrau bin ich trotzdem mitgegangen. Hierher zurückzukommen habe ich aber mit keinem bestimmten Gefühl verbunden.

Inwieweit beeinflusst Sie das Erlebte heute?
Dror:
Ich bin selbstbewusster geworden. In Israel wurde ich als erste Frau Polizistin. Wenn man plötzlich jemand wird und vorher wie Dreck behandelt wurde, dann spielt das eine Rolle. Und ich finde es wichtig, mit jungen Menschen über das Vergangene zu reden.

Warum ist es wichtig, diese Erinnerung im persönlichen Gespräch weiterzugeben?
Dror:
Junge Leute sollen die Geschichte von Menschen erzählt bekommen, die sie selbst erlebt haben. Wenn ich einen Menschen hinter dem Schicksal sehe, wird es greifbarer. Ich versuche auch, im Gespräch Bezug auf die heutige Zeit zu nehmen. Das kann doch heute niemand mehr nachvollziehen, dass man Menschen in den Ofen gesteckt hat. Ich komme auch nicht mit erhobenem Zeigefinger. Die jungen Leute heute können nichts dafür, was damals passiert ist. Aber sie leben heute und sind verantwortlich für morgen. Dabei sollen sie wissen: Jeder Mensch hat einen Wert, egal aus welcher Religion oder Nation er kommt.

Frau Dror, danke für das Gespräch!

Die nächste Führung durch die Stuttgarter Synagoge und zur koscheren Küche durch Rachel Dror findet am Dienstag, 4. November, um 17.30 Uhr statt. Treffpunkt: Hospitalstraße 36 in Stuttgart.
Am Donnerstag, 6. November, 17:45 Uhr bis 22 Uhr, ist Rachel Dror Gastgeberin für einen "schmackhaften Exkurs" (Kochkurs) zu koscheren Speisen und jüdischem Festkalender. Veranstaltungsort: Treffpunkt Rotebühlplatz 28a in Stuttgart.
Anmeldung zu beiden Veranstaltungen bei der VHS Stuttgart.

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