| Gesellschaft

Zehn Jahre danach

Winnenden gedenkt der Opfer des Amoklaufs

Mit einer öffentlichen Gedenkfeier hat Winnenden zehn Jahre nach dem Amoklauf an die 15 Opfer erinnert. „Zum zehnten Mal stehen wir am Jahrestag zusammen, erinnern und spenden uns gemeinsam Trost“, sagte der Oberbürgermeister der baden-württembergischen Kleinstadt, Hartmut Holzwarth, am Montag bei der Gedenkfeier im Stadtgarten. 

Gedenkstaette der Opfer des Amoklaufs von Winnenden mit dem Titel „Der gebrochene Ring“ von dem Künstler Martin Schoeneich in Winnenden bei Stuttgart.epd-bild/Gerhard Bäuerle

Nur wenige Meter von der Albertville-Realschule in Winnenden ist es unnatürlich still. Mehrere hundert dunkel gekleidete Menschen stehen bei eisigem Wind im Stadtgarten in einem Halbkreis um einen riesigen durchbrochenen Ring, der an den Amoklauf vor zehn Jahren erinnert. 

Schüler legen einen selbst gestalteten Kranz in das Denkmal. Dann bildet sich eine Kette aus Schülern und Lehrern, die sich an den Händen halten und ihre Schule mit dem Denkmal und den Menschen der dortigen öffentlichen Gedenkfeier verbindet. 

Um 9.33 Uhr durchbricht das Glockengeläut aller Winnender Kirchen die Stille. Am Mittwoch, den 11. März 2009, veränderte sich zu dieser Uhrzeit auf einen Schlag in nur wenigen Minuten das Leben vieler Menschen: Der 17-jährige Tim K. stürmte damals die Albertville-Realschule und erschoss dort 12 Menschen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen und später sich selbst. Die Tatwaffe hatte sein Vater, ein passionierter Sportschütze, unverschlossen aufbewahrt. 

Durch die Wiedergabe dieses Videos speichert YouTube möglicherweise persönliche Daten wie Ihre IP-Adresse.

„Zum zehnten Mal stehen wir am Jahrestag zusammen, erinnern und spenden uns gemeinsam Trost“, sagt der Oberbürgermeister der baden-württembergischen Kleinstadt, Hartmut Holzwarth (CDU). Amoklauf, Terror, Krieg - jede Gewalttat auf dieser Erde mache die Menschen in Winnenden besonders betroffen, betont er. Er erinnerte daran, dass damals genau ein Tag vor der Winnender Bluttat auch im US-Bundesstaat Alabama elf Menschen durch einen Amoklauf ums Leben kamen. 

Als die Namen der Getöteten verlesen werden, bricht sich für einen kurzen Moment die Sonne ihren Weg durch die Wolken. Zwei Mädchen umarmen sich tröstend gegenseitig, eine Frau trägt eine große Sonnenbrille, um ihre durchs Weinen aufgequollenen Augen zu verbergen. 

Die Eltern, die ihre Kinder beim Amoklauf verloren haben, verstecken sich zum Teil in den hinteren Reihen, um nicht von den Kameras ins Visier genommen zu werden. Beim anschließenden ökumenischen Gottesdienst sind Kameras aller Art verboten. Der evangelische Pfarrer Reimar Krauß sagt in seiner Predigt in der Schlosskirche, für manche sei seit zehn Jahren alles anders: Beziehungen hätten sich verändert, Weihnachten sei anders als zuvor, selbst die Sonne scheine für viele anders seit dem Amoklauf. Erlebte Gemeinschaft, ein gutes Wort oder eine gute Tat könnten im Rückblick auch ein Zeichen dafür sein, dass Gott trotz allem da ist, sagte Krauß.

Was ist Hoffnung? In meinen Augen ist Hoffnung das Licht im Dunkeln, das Gute im Schlechten. Hoffnung öffnet mir den Weg ins Gute.

Schülerin bei der Gedenkfeier

Schülerinnen der Albertville-Realschule lesen ihre selbst geschriebenen Texte vor. „Was ist Hoffnung? In meinen Augen ist Hoffnung das Licht im Dunkeln, das Gute im Schlechten. Hoffnung öffnet mir den Weg ins Gute“, sagt eine Zehntklässlerin und legt einen Stein mit der Aufschrift „Hoffnung“ auf den Altar. 

In der Albertville-Realschule findet an diesem Tag kein normaler Unterricht statt, in den ersten zwei Schulstunden wird die Tat thematisiert, anschließend geht es zu Gedenkfeier. Außerdem kommen viele ehemalige Schüler, die damals den Amoklauf miterlebten, zu einem nichtöffentlichen Gedenken in ihre frühere Schule. Der Amoklauf - aber vor allem auch das anschließende gemeinsame Trauern - verbindet sie auch noch ein Jahrzehnt später mit ihrer Schule, erzählt Heinz Rupp, ein katholischer Lehrer der Schule.  

„So viele Wunden sind noch nicht geheilt“, sagt er. Manche der betroffenen Schüler kämen erst jetzt in Trauer, da die damaligen Zehntklässler nach der Tat funktionieren mussten, eine Prüfung zu bestehen hatten und berufliche Weichen stellen mussten. 

Nicht nur die Winnenden Schüler, sondern alle Schulen baden-württembergweit hatten die Möglichkeit, sich in einem Projekt der Winnender „Stiftung gegen Gewalt an Schulen“ anlässlich des zehnten Jahrestages kreativ mit dem Thema Gewalt auseinanderzusetzen. In einem Fotobuch und einer Ausstellung ist beispielsweise ein Messer zu sehen, das in einem Holzklotz steckt und von Rosen umrankt wird. „Don´t kill, plant roses“ steht dazu auf einem Schild. Wenn sich Schüler Gedanken machen, wie sie miteinander umgehen und mit Empathie ihren Mitmenschen begegnen, dann habe dieser schreckliche Anlass vielleicht doch wenigstens einen kleinen Schimmer an Gutem, sagt die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) bei der Präsentation des Projekts. 

Wenige Stunden nach der Gedenkfeier spielen Kinder in der Nähe des Denkmals im Stadtgarten auf einem Spielplatz. Am Rathaus in der Winnender Innenstadt flattern die Fahnen mit Trauerflor auf Halbmast, während in einer Bäckerei zwei ältere Frauen lachend beisammenhocken, bis sie dort aus dem Radio von der Gedenkfeier an ihrem Ort hören. „Echt, schon 10 Jahre ist das her?“ sagt eine nachdenklich und schüttelt verwundert den Kopf. 


Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)


Mehr News

  • Datum: 04.05.2024

    1.000 Menschen feiern Fest der Innovation

    Rund 1.000 Haupt- und Ehrenamtliche aus allen Regionen der württembergischen Landeskirche sind in Reutlingen zusammengekommen, um ihre Ideen für die Zukunft der Kirche zu präsentieren, zu diskutieren und um sich von den Ideen anderer inspirieren zu lassen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    „Gott provoziert Veränderungen und begleitet sie“

    Die Kirchengemeinden hätten viel Gestaltungsspielraum, sagte Anna-Nicole Heinrich (Präses der 13. Synode der EKD) auf dem Innovationstag der Evangelischen Landeskirche in Reutlingen, und ermutigte dazu, ihn zu nutzen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    Kira Geiss: „Kirche ist für mich Lebensfreude"

    Beim Innovationstag der Landeskirche trafen sich Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und Kira Geiss, Miss Germany 2023 und christliche Influencerin, um über ihre Erfahrungen mit Innovation in der Kirche zu sprechen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    „One size fits all funktioniert nicht mehr“

    Dr. Klaus Douglass, Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) betonte auf dem Innovationstag der Landeskirche, Kirche müsse sich von innen heraus erneuern. Es gebe auch zahlreiche Belege für Erneuerung in der Bibel.

    Mehr erfahren
  • Datum: 04.05.2024

    „Hoffnung macht mir die Kirche, die nah bei den Menschen ist“

    Beim Innovationstag der Landeskirche tauschen sich rund 1.000 ehren- und hauptamtliche Teilnehmende über Innovationsideen und -projekte aus und lassen sich in Workshops und Vorträgen inspirieren. Hier finden Sie das Eröffnungsgrußwort von Landesbischof Gohl im Volltext.

    Mehr erfahren
  • Datum: 03.05.2024

    „Begeisterung für Fußball erleben“

    Vom 14. Juni bis 14. Juli findet in Deutschland die Fußball-EM der Männer statt. Fünf der Spiele werden in Stuttgart ausgetragen. Die Landeskirche begleitet das Großereignis unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit vielen Angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 03.05.2024

    TV-Tipp: Vierfacher Vater plötzlich Witwer

    Innerhalb weniger Wochen änderte sich Stefan Bitzers Leben komplett. Er verlor seinen Job, seine Frau, seinen Vater – und blieb zurück mit vier Kindern. Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb spricht mit ihm darüber, wie er diese kritische Lebensphase bewältigte.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.04.2024

    „Stadtradeln“ mit Gottes Segen

    Die württembergische Landeskirche unterstützen die Aktion „Stadtradeln“ mit dem Landesarbeitskreis „Kirche und Sport“ und mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart sowie dem Württembergischen Landessportbund. Unter dem Motto Achtsamkeit werden ein Andachtsentwurf und kostenfreie Aufkleber „Bleib behütet auf all deinen Wegen“ angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 30.04.2024

    So begeistert Gemeinde – sieben Projekte

    Unter dem Motto #gemeindebegeistert stellen Menschen auf dem Innovationstag Projekte vor, die auf neue Weise Kirche der Zukunft gestalten: Von „4 Pfarrer auf 1 Streich“ bis „Schwätzbänkle“. Wir haben gefragt, was die Ideen besonders macht und welche Vision dahintersteckt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.04.2024

    Video: „Gottesdienste sind fast wie Urlaub“

    Was macht an dem Beruf der Mesnerin besonders Spaß? Welche Herausforderungen bringt er mit sich, und warum fühlt er sich manchmal wie Urlaub an? Rundfunkpfarrerin Barbara Wurz hat bei SWR1 Begegnungen Gabi Sauer, die Mesnerin der evangelischen Veitskirche in Nehren, zu Gast.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. Martin Rößler

    „Wir gratulieren Martin Rößler und wünschen ihm Gottes Segen. Einen passenderen Sonntag als diesen gibt es für Martin Rößler nicht: Sonntag Kantate, der das geistliche Singen in den Mittelpunkt stellt.“ Landesbischof Gohl gratuliert Prof. Dr. Martin Rößler zum 90. Geburtstag.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.04.2024

    „Das Gesangbuch ist ein Lebensbuch“

    „Singen ist Lebenshilfe. Das Gesangbuch ist mehr als eine Sammlung von Liedern für wechselnde Jahreszeiten und sonstige Anlässe. Das Gesangbuch ist ein Lebensbuch.“ Das sagt Landesbischof Gohl in seiner Predigt aus Anlass des 500-jährigen Jubiläums des evangelischen Gesangbuchs.

    Mehr erfahren
Mehr laden