| Gedenktag

Ein Württemberger in Jerusalem

Johann Ludwig Schneller: Das Werk des Lehrers und Missionars ist weiter lebendig

Johann Ludwig Schneller kam 1820 im Alb-Dorf Erpfingen zur Welt und starb 1896 in Jerusalem.Landeskirchliches Archiv Stuttgart

Am 15. Januar jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal: Als Johann Ludwig Schneller 1820 in Erpfingen als Sohn des in bescheidenen Verhältnissen lebenden Landwirts- und Weber-Ehepaars Johann und Anna Katharina Schneller zur Welt kam, schien ihm zunächst ein Leben wie das seiner Eltern vorbestimmt. Doch mit viel Energie, Fleiß und Begabung machte der junge Johann Ludwig schnell auf sich aufmerksam. 

Unterstützt vom Pfarrer und Lehrer seines Heimatorters, bestand er mit nur 18 Jahren das Lehrer-Examen mit Auszeichnung. Nach dem zweiten Examen durfte er dann selbst Lehrer für Württemberg ausbilden.

Ruf nach Basel

Nach einigen Schulstellen im Württembergischen wurde Schneller, der seine geistige Heimat früh in den pietistischen Kreisen von Korntal fand, von Christian Friedrich Spittler nach Basel berufen. Als Hausvater in der Pilgermission führte er ein äußerst karges Leben ohne Gehalt und nur das Nötigste an Nahrung und Kleidung für sich und zwanzig Zöglinge. Gemeinsam mit ihnen wohnte er im Turm der Kapelle. 

Schneller galt als äußerst asketisch und hart gegen sich selbst - aber dies half ihm bei seiner weiteren Laufbahn.

Heirat im Jahr 1854

Im Jahr 1854 lernte Johann Ludwig Schneller die Gastwirtstochter Magdalene Böhringer nicht nur kennen, sondern offenbar auch lieben: Bereits am 8. August 1854 heirateten die beiden. Sie war gewissermaßen eine Kollegin - sie arbeitete als Lehrerin der Ziegler'schen Anstalt in Wilhelmsdorf.

Noch im selben Jahr brach das Ehepaar von Basel aus mit weiteren Zöglingen nach Jerusalem auf. Dort diente Johann Ludwig Schneller in dem von Spittler 1846 gegründeten Brüderhaus als Hausvater. Dank der Mitgift seiner Frau gelang es ihm bald, ein eigenes Grundstück außerhalb der Stadtmauern zu erwerben, wo er ein einfaches Haus errichtete.

Mehrere Überfälle

Hierzu gehörte viel Mut, denn rings um die Altstadt gab es damals weder Bauten noch bebautes Land. Mehrfach wurde Schneller überfallen. Die Familie musste daraufhin wieder in das Brüderhaus nach Jerusalem zurückkehren.

Erst als die osmanischen Behörden - das Gebiet des heutigen Israel gehörte damals zum Osmanischen Reich - die Straße zwischen Jerusalem und der Hafenstadt Jaffa bewachen ließen, konnten Schnellers wieder in ihr Haus ziehen.

Zerstörtes christliches Viertel in Damaskus im Jahr 1860.gemeinfrei

Unruhen im heutigen Libanon

Die nächste Wendung bekam das Leben von Johann Ludwig Schneller und seiner Frau im Jahr 1860. Im Sommer war im heutigen Libanon ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Eine Revolte christlicher Maroniten gegen die drusischen Landbesitzer im Libanongebirge mündete im „Massaker von Damaskus“: Mindestens 20.000, andere Quellen sprechen von mehr als 30.000 Christen, waren innerhalb kurzer Zeit von Drusen und Muslimen umgebracht worden. Viele weitere wurden aus ihren Dörfern und Städten vertrieben - und flüchteten unter anderem in die Region Beirut.

Als Christian Friedrich Spittler in Basel von der Katastrophe erfuhr, gab er dem Leiter des Pilgermissionsgeschäftes in Jerusalem im September 1860 einen Auftrag: „Wie leicht hätte Jerusalem ein zweites Damaskus werden können, und Er hat Euch so unaussprechlich gnädig bewahrt. Aus Dankbarkeit und im Vertrauen auf Ihn habe ich unsern Freunden [in Europa] angezeigt, daß wir in Jerusalem ein Syrisches Waisenhaus errichten wol­len, wobey der liebe Bruder Schneller Waisen-Vater seyn soll, dem ich bereits umständlich über dieses Vorhaben geschrieben habe. Sobald mir Beiträge für diesen wichtigen Zweck eingehen, will ich Euch solche zuschicken, damit Schneller nach Beirut abreisen und vorläufig sechs Knaben holen und dann einen kleinen Anfang machen kann. Ich bitte Euch, ihn auch mit Rath und That zu unterstützen ...“

Syrisches Waisenhaus von Jerusalem

Am 29. Oktober 1860 reiste Schneller nach Beirut, um von dort Waisenkinder zu holen. Er kehrte am 11. November mit neun Waisenkindern zurück. So entstand das Syrische Waisenhaus von Jerusalem.

Spittler sandte ihm einige Zöglinge der bei Basel gelegenen Pilgermission St. Chrischona als Lehrer und Helfer. „Unsere Waisen schlafen samt und sonders noch auf dem Boden“, schreibt Schneller. „Eine zusammengerollte Matte unter dem Kopfe dient für je vier Kinder als gemeinschaftliches Kopfkissen. Außerdem hat jedes eine mangelhafte Decke, in die es sich einwickeln kann“.

Zweiter Sohn hilft von Köln aus

In den ersten drei Jahrzehnten seines Bestehens hat Johann Ludwig Schneller das Syrische Waisenhaus zusammen mit einem Kuratorium in Jerusalem geleitet, welches der Pilgermission unterstellt war.

Allerdings löste sich Schneller mit Hilfe des „Vereins für das Syrische Waisenhaus in Jerusalem mit Sitz in Deutschland“ von der Pilgermission: Unter der Leitung seines zweiten Sohnes Ludwig wurde fortan die Heimatarbeit und die Spendenbeschaffung von Köln aus organisiert.

Pietistisches Erziehungsideal

Schneller brachte neue erzieherische Ansätze in den Orient. Orientiert an den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Württemberg entstandenen „Rettungsanstalten“, propagierte die Leitung des Syrischen Waisenhauses ein Erziehungsideal, das „Gott“ und die „Welt“ zusammensah: angestrebt wurde nicht nur die religiöse Erziehung der Kinder im Geiste des Neupietismus, sondern auch die Vermittlung fundierter beruflicher Kenntnisse.

Mit dieser Konzeption war das Syrische Waisenhaus ein Novum nicht nur im Palästina des 19. Jahrhunderts, sondern im gesamten Osmanischen Reich. Es entwickelte sich zur größten und wichtigsten Erziehungsanstalt des Vorderen Orients.

Größer als die Jerusalemer Altstadt

Die Blütezeit des Waisenhauses fiel in die Spätphase der osmanischen Herrschaft und die Anfänge der britischen Mandatszeit, das heißt: in die Jahre 1890 bis 1930. Die vor den Toren Jerusalems gelegene Anstalt vergrößerte sich um ein Vielfaches, um schließlich im Jahr 1914 die Fläche der Altstadt Jerusalems zu übertreffen.

Kapelle des Syrischen Waisenhauses im Jahr 1935.gemeinfrei

Haus auch für Mädchen offen

Zeit ihres Bestehens suchte das Syrische Waisenhaus Tradition und Moderne in einer für den württembergischen Pietismus spezifischen Weise zu verbinden: Für Johann Ludwig Schneller als Leiter der Anstalt und seine Nachfolger blieb der missionarische Gedanke von zentraler Bedeutung. Kinder arabischer Christen sowie muslimische Kinder sollten für den Protestantismus gewonnen werden.

Dabei hat sich die Schule auf Initiative Johann Ludwig Schnellers schon früh für Mädchen geöffnet - eine absolute Neuheit in der arabisch geprägten Region. Die Erziehung erfolgte geschlechtsspezifisch, orientierte sich an deutschen Normvorstellungen und Erzielungsidealen und bot ein weites Spektrum beruflicher Möglichkeiten im Bereich der Landwirtschaft und des Handwerks.

Die handwerkliche Ausbildung war in den Anfängen der Anstalt an deren Grundbedürfnissen orientiert. Danach wurde eine Schusterei, Schneiderei, Drechslerei, Tischlerei, Schlosserei, Töpferei, Ziegelei, Buchbinderei und Buchdruckerei gegründet. Somit konnten die Schüler gemäß ihren Neigungen und Begabungen einen Beruf erlernen, mit dem sie später ihr Brot verdienen sollten.

Höhere Schule gegründet

Im Jahr 1888 gründete Johann Ludwig Schneller gemeinsam mit seinem ältesten Sohn Theodor (1856–1935) eine höhere Schule, die mit deutschen Gymnasien vergleichbar war. Aus ihren Absolventen rekrutierte sich die Lehrerschaft der Anstalt, der arabischen Schulen und die Beamtenschaft - zuerst des Osmanischen Reiches, dann der englischen Mandatsregierung.

Die küstennahe Region rund um Ramla. Am oberen Bildrand ist der Ben-Gurion-Flughafen, der größte Airport Israels, zu erkennen.Google Earth

Ein weiterer Plan Johann Ludwig Schnellers war es, eine moderne, evangelisch-arabische Gesellschaft, die vom Ackerbau leben würde, zu gründen. Die württembergischen Templer, die sich 1869 im Land niedergelassen hatten, brachten ihn auf die Idee, eine arabische Siedlung in der Nähe von Ramle zu gründen. Zu diesem Zweck wollte Schneller 1877 von der türkischen Regierung in der Küstenebene Boden kaufen.

Aber erst 1889 gelang es ihm – mit Unterstützung von Kaiser Wilhelm II. – das Terrain Bir Salem (Der Friedensbrunnen) auf 40 Jahre zu pachten. 1907 konnte sein Sohn Theodor das Gelände dann endgültig kaufen. Die dort errichtete Ansiedlung sollte unter Leitung von Matthäus Spohn (1866–1935) in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht zum Vorbild in Palästina werden.

Elite in ihrem Wirkungskreis

Johann Ludwig Schneller konnte sein Ziel, eine evangelische christlich-arabische Gesellschaft zu gründen, nicht erreichen. Wohl aber trug er zur Entwicklung der Landesbevölkerung und deren Ausbildung in handwerklichen und landwirt­schaftlichen Berufen bei. Die rund 5.000 Kinder, die in den Schneller‘schen Anstalten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ihre Ausbildung erhielten, waren mithin in ihrer arabischen Umwelt privilegiert, sie stellten die Elite in ihrem jeweiligen Wirkungskreis.

Das Grab von Johann Ludwig Schneller und seiner Frau Magdalene auf dem Zionsfriedhof in Jerusalem. Während er 1896 im Alter von 76 Jahren starb, lebte seine ein Jahr jüngere Frau bis 1902.Ulf Heinsohn/CC BY-SA 4.0

Infolge des Zweiten Weltkriegs kam die Arbeit des Syrischen Waisenhauses in den Jahren 1939/40 zum Erliegen. Nach 1945 war, bedingt durch den Holocaust, an eine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit in dem 1948 entstehenden Staat Israel nicht zu denken.

Aktiv im Libanon und in Jordanien

Nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten entschloss sich der Vorstand des Vereins des Syrischen Waisenhauses, mit Hermann Schneller einen Enkelsohn des Gründers mit dem Wiederaufbau des Schulwesens im Libanon zu beauftragen. Heute betreibt das Syrische Waisenhaus Bildungseinrichtungen im Libanon (Khirbet-Kanafar) und Jordanien (Amman).


Dr. Jakob Eisler, Landeskirchliches Archiv Stuttgart


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